Go Go Goa

Die einzige Straße aus dem Ort hinaus, an der hinduistischen Totenverbrennungsstätte vorbei (die Fremde irrtümlich gerne für einen Barbecue-Grillplatz halten), dann rechts abbiegen, die Dünen hochstapfen, und oben ist das Ziel schon erreicht: die Strandhütte am Candolim Beach im indischen Goa.

Die Bude hat eine überdachte Veranda; ein paar Tische und Stühle stehen mitten im Sand, also: keine Pumps! Reggae-Musik von mittags bis nachts, viel Bob Marley. Immer eine Temperatur von 35 bis 40 Grad. Abends vertreten sich heilige Kühe im flachen Wasser die Beine und kühlen sich die Waden. Wahrscheinlich die kitschigsten Sonnenuntergänge der Welt, wie sie selbst Hollywood niemals hinbekäme. Nie.

In der Strandhütte wird immerzu Fisch gebrutzelt, der köstlichste heißt Pomfrit, was bei den Touristen oft zu Mißverständnissen führt. Und man trinkt Fenny, einen aus Cashew-Nüssen destillierten Schnaps, der, im Flachmann serviert, wie Brackwasser riecht — und auch so schmeckt. Fenny jedoch macht lustig (und manchmal blind).

Man muß viel Fenny trinken und darf den Joint nie ausgehen lassen, um den Gedanken ertragen zu können, daß es den Ozean immer noch geben wird, wenn wir schon längst nicht mehr sind und nie gewesen sein werden.

Niels Höpfner

Laubacher Feuilleton 18.1996, S. 5
 
Di, 17.02.2009 |  link | (1266) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Anderenorts



Von Weltstadt zu Weltstadt

In der Reihe Metropolis Visits war im Feuilleton einer Londoner Tageszeitung folgender Artikel über München gedruckt. Die Übersetzung besorgte unser London-Korrespondent Thomas Zacharias.

Der frühe und heftige Schneefall hatte die Stadt leise gestimmt und vorweihnachtlich eingedeckt, was sie in den luxuriösen Geschäften und Auslagen ebenfalls war. Beides, die Stimmung und der Luxus, fielen im heimeligen Devotionallengoldrausch mit Rauschgoldengeln und Glühwein auf dem Marienplatz zusammen, dem Herz der «Weltstadt mit Herz». Trotz grimmiger Gesichter im einzelnen konnte man dem Sport-Design im allgemeinen ansehen, daß Skifahren auch lustig und das Gebirge nah sein muß. Das obligatorische Hofbräuhaus schien gemütlicher, der Habitus des sogenannten Volkes weniger gemütlich als sein Ruf. Zwei mit Ausweisen, Pflichtbewußtsein und rüdem Lokalton bewaffnete Kleinbürger fielen bereits in der S-Bahn vom Airport einen levantinisch aussehenden Herren an, weil dessen sogenannter Fahrtauswels so ungenügend schien wie seine Deutschkenntnisse. Doch zugleich zeigte sich der neue Flughafen selbst als Muster großzügiger, weltoffener Leichtigkeit. Die U-Bahnsteige waren weiter als in London, die Plakate dagegen weniger witzig. Das meiste konnte man ohnehin zu Fuß erreichen, wo man ebenso wie im unterirdischen Verkehr gerempelt wurde und die Leute ebenso selten «Öha» sagten.

Dann überholte der plötzlich einbrechende Föhn (siehe auch: Alpenvorlandlüftchen) die städtischen Räumdienste, und der Matsch gab den Füßen ein Gespür für bodenständige Eigenart. Der Kleinhesseloher See sah nicht mehr aus wie in Holland und der Englische Garten wieder wie in England. Am Odeonsplatz schien man in Italien, am Königsplatz und in der Glyptothek in Griechenland, auf dem Viktualienmarkt In Schlaraffenland und vor den Postkarten von Neuschwanstein in Disneyland zu sein. Der holde Märchenkönig, dessen Tod im See so mysteriös blieb wie das Leben des Unholds Jack the Ripper im East End, war so allgegenwärtig wie die Politessen und die japanischen Kameras, wenn sie im Dickicht der Neuhauserstraße Gamsbartträger jagten. Sieht man von der Paradeallee The Mall ab, die von Buckingham Palace nach Whitehall führt, dann gibt es im Zentrum von London nichts Gerades von der Breite der Münchner Ludwigstraße. Sie geht von einer Kopie aus Florenz zu einer Kopie aus Paris, die wiederum ein imperiales Requisit aus Rom kopiert. Böge man dort beim Siegestor nach links, dann käme man an der Imitation eines barocken Königsschlosses vorbei, aber es wäre nur die Kunstakademie. Auf dem Fernsehturm im Olympiagelände wird man beim Kaffeetrinken rund um das Panorama gedreht. Die Domtürme mit den Ballonkappen stehen im Zentrum, eine Ansammlung gemäßigter Hochhäuser mehr seitlich vor den greifbaren Alpen, die den Zugang zum Mittelmeer verzögern. Im Straubinger Hof gab es «Lüngerl», «Kalbshirn» und etwas weißlich Gerolltes, das ein erkennbar Nicht-Einheimischer als «Milzblieswulst» bestellt hatte. Manchmal trifft man auf betretbare Parfum-Automaten, aber es handelt sich dann um Telephonhäuschen, die früher viel weniger schick und so gelb gewesen sein sollen wie sie bei uns zum Glück immer noch rot sind.

Die Alte Pinakothek war wegen Umbaus geschlossen, doch ihre prominenten Stücke hingen nebenan in der Neuen, bewacht vom Bühnenbild einer postmodernen Gralsritterburg. Im Unterschied zur National Gallery mußte man für den Eintritt in die Weltklasse-Sammlung bezahlen, dafür waren die Preise außerhalb hoch, wenn auch nicht so hoch wie in London. Weltklasse sind auch der FC Bayern, die Raketen aus Ottobrunn, die Panzer aus Allach, die Kernphysik aus Garching, die Süddeutsche Zeitung, das Symphonieorchester, die «Grantler» und die Biergärten, sagt man. BMW pflegt die britische Autoindustrie, und auch in der Taubenfrage sind sie uns über. Dafür sind wir in der Europa-Frage mehr gespalten und haben auch sonst die Demokratie schon länger. Der rote Bürgermeister von München ist ein Intellektueller, was man von den Politikern sonst weniger sagen kann. Er sitzt auf dem Schleudersitz der Landeshauptstadt, während die konservative Volkspartei, geführt vom Bonner Europaminister, von ihrem Stammsitz aus über den Freistaat herrscht. Von dort bewahrt sie mit kirchlichem Segen das Brauchtum und den Industriestandort vor dem Chaos und die Kruzifixschnitzer aus Oberammergau, wo der vorletzte Ministerpräsident herkam, vor dem Ruin. Die Staatskanzlei lagert hinter dem französisch gezirkelten Hofgarten als absolutistische Residenz im Auftritt einer modernen Großbank. Diese «Schwarzen» unterhalten gute Beziehungen nach Afrika, obwohl sich die Flotte auf einige Ausflugsdampfer auf den Seen im Oberland beschränkt, die von der Erdgeschichte für eine gut ausgestattete Freizeit reserviert wurden.

Die Flüge von London nach München und zurück sind in der Regel billiger als umgekehrt, die Stadt gilt als «heimliche Hauptstadt», was dem Besucher aus dem Norden unheimlich einleuchtet.

Laubacher Feuilleton 20.1996
 
Mo, 05.01.2009 |  link | (1350) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Anderenorts



Deutsches Volksmurren

Ich fange an, den guten Reisegeist zu spüren, und einige von der Legion Teufel, die ich im Leibe habe, sind schon ausgezogen.

Aber je näher ich der französischen Grenze komme, je toller werde ich. Weiß ich doch jetzt schon, was ich tun werde auf der Kehler Brücke, sobald ich der letzten badischen Schildwache den Rücken zukehre. Doch darf ich das keinem Frauenzimmer verraten.

Gestern abende war ich bei S. Die hatten einmal eine Freude, mich zu sehen! Sie wußten gar nicht, was sie mir alles Liebes erzeugen sollten, sie hätten mir gern die ganze Universität gebraten vorgesetzt. Mir Ärmsten mit meinem romantischen Magen! Nicht der Vogel Rock verdaut das. Die W. hat einen prächtigen Jungen. Ich sah eine schönere Zeit in rosenroter Knospe. Wenn die einmal aufbricht! Wie gern hätte ich ihn der Mutter gestohlen und ihn mit mir über den Rhein geführt, ihn dort zu erziehen mit Schlägen und Küssen, mit Hunger und Rosinen, daß er lerne frei sein und zurückkehre, frei zu machen.

In Heidelberg sah ich die ersten Franzosen mit dreifarbigen Bändern. Anfänglich sah ich es für Orden an, und mein Ordensgelübde legte mir die Pflicht auf, mich bei einem solchen Anblicke inbrünstig zu ärgern. Aber ein Knabe, der auch sein Band trug, brachte mich auf die rechte Spur.

Ich mußte lachen, als ich nach Darmstadt kam und mich erinnerte, daß da vor wenigen Tagen eine fürchterliche Revolution gewesen sein soll, wie man in Frankfurt erzählte. Es ist eine Stille auf den Straßen, gleich der bei uns in der Nacht, und die wenigen Menschen, die vorübergehen, treten nicht lauter auf als die Schnecken. Erzählte man sich sogar bei uns, das Schloß brenne, und einer meiner Freunde stieg den hohen Pfarrturm hinauf, den Brand zu sehen. Es war alles gelogen. Die Bürger sind unzufrieden, aber nicht mit der Regierung, sondern mit den Libaralen in der Kammer, die dem Großherzoge seine Schulden nicht bezahlen wollen. Das ist deutsches Volksmurren, das lass' ich mir gefallen; darin ist Rosinische Melodie.

Wenn Sie es mir nicht glauben werden, daß ich gestern drei Stunden im Theater gesessen und mit himmlischer Minna von Barnhelm bis zu Ende gesehen — bin ich gar nicht böse darüber. Aber das Unwahrscheinlichste ist manchmal wahr. Auf der Reise kann ich alles vertragen.

Die Theaterwache in Darmstadt war fünfzig Mann stark. Ich glaube auf je zwei Zuschauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu wenig in solcher tollen Zeit. Und diesen Morgen um sechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an meinem Fenster vorüber und trompeteten mich und alle Kinder und alle Greise und alle Kranken und alle süßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das geschieht wohl jeden Tag. Diese kleinen deutschen Fürsten in ihren Nußschal-Residenzen sind gerüstet und gestachelt wie die wilden Kastanien. Wie froh bin ich, daß ich aus dem Lande gehe.

Adieu, Adieu. Und schreiben Sie mir es nur auf der Stelle, sooft bei uns eine schöne Dummheit vorfällt.

Ludwig Börne

Briefe aus Paris, Erster Brief, 5. September 1830, Weiss Verlag, Dreich, Lizenzausgabe für den Fourier-Verlag, Wiesbaden 1986
Laubacher Feuilleton 1.1992, S. 12

 
Mo, 13.10.2008 |  link | (1697) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Anderenorts









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