Vom Eros des Zeitschriftenmachens

Wie Monat für Monat Zeitschriften entstehen

Immer wieder erhalten die Zeitschriftenredaktionen Zuschriften von Lesern, die anfragen: Wie schafft ihr es nur, jeden Monat und immer wieder, Gruner & Jahr-aus und jahrein, eine Monatszeitschrift an den Kiosk zu knallen? Es gibt darauf nur eine Antwort: Zeitschriftenmachen ist erotisch.

Weil jeden Monat ungezählte Zeitschriften und Magazine auf den Markt kommen, haben wir schon begonnen, die Existenz von Hochglanzblättern als Selbstverständlichkeit anzusehen. Doch wer wirklich weiterfragt (und wir tun das mit zunehmendem Erfolg seit Jahren), der wird feststellen, daß der typische Zeitschriftenleser überhaupt keine Ahnung hat, wie denn so ein Monats- oder auch Wochenmagazin überhaupt entsteht (als herausragende Beispiele seien für beide Kategorien angeführt: Blähbauch — alles was Männer dick macht; Der Striegel — Das deutsche Reitermagazin). Nach neuesten Umfragen glauben immer noch 67,4 Prozent aller Alphabeten (der Anteil der Analphabeten unter den Zeitschriftenlesern wurde nicht berücksichtigt, nimmt aber zu), daß Magazine durch die Vereinigung von harten Druckplatten mit jungfräulichem Papier entstehen. Das ist nur zum Teil richtig, eine gewissermaßen auf die symbolische Ebene verlagerte Betrachtungsweise des tatsächlichen Zeugungsvorgangs. Denn auch im Zeitalter von Computersatz, Lichtsatz und elektronisch gesteuerten Druckmaschinen entstehen Zeitschriften auch heute noch wie vor hundert Jahren: Durch den Begattungsakt zwischen Redaktion (weiblich) und Verlag (männlich).

Obzwar diese grundlegende Erkenntnis schon kurz nach der Erfindung der Druckerpresse durch Hieronimus Gutenzweck theoretisch formuliert wurde, gelang es doch bisher nicht, den Zeugungsvorgang begrifflich korrekt darzustellen. Wir bringen deshalb weltweit zum erstenmal eine wissenschaftlich fundierte Darstellung von der Zeugung einer Zeitschrift. Prüde Zeitgenossen werden uns jetzt vielleicht vorhalten, daß wir damit endgültig die Grenze des Schicklichen überschreiten und uns auf einer Ebene mit den einschlägig vorbelasteten Hochglanzgazetten wiederfinden. Doch ein wagemutiger Redakteur kann da nur mitleidig lächeln. Denn unser Blatt ist nicht nur interessant, einmalig und höchst renommiert, es ist auch außergewöhnlich erfolgreich. Weshalb wir auch die Übernahme der Hochglanz-Devise Nummer eins («Sex erhöht die Auflage») immer kategorisch abgelehnt haben. Auf der anderen Seite findet nicht der Hauch einer erotischen Regung statt. Und was hat es uns eingebracht? Richtig, eine galoppierende Auflagenerhöhung, von denen die sexistische Kampfpresse nur wunschträumen kann. Sogar die rosafarbenen Gummibärchen im Playbock und verwandten Publikationen bringen nicht mehr Auflage als unsere keimfreie sterile Fehlanzeige in Sachen Sex. Im Gegenteil: Mit zunehmender Prüderie in der Öffentlichkeit werden wir sogar noch zulegen, denn unser Blatt ist so konzipiert, daß man weder beim Kauf am Kiosk noch beim Lesen in der U-Bahn den Blick senken und einen roten Kopf bekommen muß.

Doch genug der Abschweifungen, kehren wir zum Thema zurück: Der Entstehung des Monatsmagazins aus der Umarmung von Redaktion (weiblich) und Verlag (männlich). Jahrzehntelange Erfahrung im Zeitschriftenwesen hat uns gelehrt: Wer nicht anständig durchgebumst wird, wird es nie zur vollen Selbstbefriedigung bringen. Dieser nur scheinbar paradoxe Zusammenhang soll uns zunächst exemplarisch beschäftigen.

Die Redaktion (verführerisch, treusorgend, passiv gebend, unten liegend) trägt nicht von ungefähr die Charakteristiken des Weiblichen, während der Verlag (fordernd, züchtigend, aggressiv, obenauf schwebend) ganz unverkennbar Züge ewiger Männlichkeit sein eigen nennt. Das Verhältnis zwischen Redaktion und Verlag wurde denn in der Fachliteratur als ähnlich dem einer langjährigen Ehegemeinschaft« bezeichnet. (vgl. das Standardwerk von R. Augstein, Wie bumse ich einer unbotmäßigen Redaktion wieder Verstand zwischen die Heftseiten? Hamburg 1972, S. 768 ff.). Und wie eine gute Ehe entsteht auch eine Zeitschrift durch harmonisch ausgewogenes Geben und Nehmen. So gibt der Redakteur zum Beispiel jeden Tag acht und mehr Stunden seiner Lebenszeit (tempus viva), die der Verlag großzügig als selbstverständlich hinnimmt. Wer lange Jahre nach oben gebuckelt und nach unten getreten hat, weiß, wovon wir sprechen. Das geht so von Montag bis Freitag. Gelegentlich nimmt der Redakteur auch noch Arbeit ins Wochenende mit, und gibt sie Montag früh dem Chefredakteur, der sie mit dem Ausdruck des Entsetzens nimmt. (Auch hier, wie in jeder Hierarchie, ein permanentes Geben und Nehmen). Wenn man dann vier Wochen lang seine Zeit vergeben hat, kommt man selbst mit Nehmen an die Reihe: Es trifft ein verschlossener Bogen Papier ein, auf dem in schwarzen Zahlen vermerkt wurde, wieviele Währungheiten der Verlag auf das Konto des Redakteurs transferiert hat und wieviel der Staat einbehält. Die wichtigste Frage bleibt aber unbeantwortet: weshalb es nie reicht. In Kreisen der Normalbevölkerung heißt dieser besondere Tag im Monat Zahltag, in der Zeitschriftenbranche hält sich noch immer hartnäckig Hurenlohn (nicht zu verwechseln mit Hurenkind, einer Bezeichnung aus der Setzersprache. Vgl. den Aufsatz von P. Boenisch: Wer kommt für den Unterhalt von Absätzen am Seitenanfang auf?).

Doch, wie gesagt, der Verkehr zwischen Redaktion und Verlag beruht weitgehend auf dem Austausch zwischen gleichberechtigten, selbstbewußten Individuen, die jedoch gewisse Mittel zur Verhütung des Schlimmsten anwenden müssen.

Das Schlimmste zu verhüten wird im heutigen Zeitalter von AIDS (Allgemeiner Interessenschwund an Deutscher Sachkunde) immer wichtiger. Denn was geschieht, wenn die Auflage sinkt? Nun, im allgemeinen bumst es dann gewaltig zwischen Redaktion (weiblich) und Verlag (männlich). Wir wollten eigentlich unerschrocken im Selbstversuch erproben, wie sich der Verlag im Falle eines Umsatzrückgangs verhalten hätte. Doch wurde uns von höchster Stelle mitgeteilt, daß auch eine kalte Reportage, das heißt, mit Material aus dem Archiv, ihre aufklärerischen Zwecke erfüllen würde. Nun denn, was wir aus der Geschichte lernen (und was wir Ihnen nicht vorenthalten wollen) ist Folgendes (auch als der 1. und 2. Satz der Publikationsdynamik bekannt):
1. Je höher der Posten desto rascher der Abgang.
2. Je größer die Abfindung desto dümmer der Redakteur.

Wie Sie sich denken können, käme es keinem Verleger in den Sinn, einen Chefredakteur nur wegen sinkender Auflagen zu entlassen. In der Tat kommt das so gut wie gar nicht vor (nur in 0,0017 Prozent aller Fälle). Gewöhnlich (93,2 Prozent aller Fälle) trennt sich ein Verlag von seinem Geld (der Abfindung) und seinem Sexobjekt (dem Chefredakteur) aus Gründen «unterschiedlicher konzeptioneller Auffassung», was im Bereich des Ehelebens etwa der «unüberwindlichen Abneigung vor Schnarchen, Furzen und Nasenbohren» entspricht.

In der Regel (vgl. O. Kolle, Liebe in der Regel — nie oder erst recht?), kann der Erfolg eines Heftes auch durch einseitige Inkompetenz kaum verhindert werden. Auch wenn der Verlag keine Ahnung hat, weshalb eine Redaktion gerade mikt dieser Art von Zeitschrift üppige Auflagen hubert — erfolgreich wird sie aus Gründen, die ähnlich geheimnisvoll im Dunkel liegen wie der Zusammenhang zwischen Frühling und Condomabsatz. Doch schafft es eine Redaktion, aus welchen Gründen auch immer, den Auflagenzeiger einer Erektion gleich nach oben schnellen zu lassen, dann kommt das den bekannten Gefühlen im Wonnemonat gleich.
Der Verlag ist selig und nimmt den Gewinn, der Redakteur gibt sein Wochenende dran und nimmt die Arbeit mit nach Hause. Ja, geben und nehmen — nur so kann ein alle Beteiligten erfreuendes, strammes Magazin an den Kiosk gelangen.

Hans Pfitzinger

Laubacher Feuilleton 3,1992 S. 8
 
Mo, 12.07.2010 |  link | (1501) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache






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Letzte Aktualisierung: 05.12.2013, 18:31



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