Hans Pfitzinger †

Photographie: Volker Derlath (Januar 2010)


Liebe Freunde von Hans Pfitzinger,

Hans ist heute früh von uns gegangen.
er war sehr schwach zum Schluss, aber furchtlos und neugierig,
auf das, was kommen mag.

Er hat es als große Gnade empfunden,
bis zuletzt keine Schmerzmittel zu benötigen,
und verschied friedlich, mit vollem Bewusstsein.

Er wollte wissen.


«Wer vor dem Sterben zu sterben gelernt hat,
wer sich mit dem Tode angefreundet hat, hört auf, Knecht zu sein.
Er ist aller fremden Macht und Gewalt überlegen.
Wer lebt, nachdem er sein Dasein zu höchstmöglicher Vollendung geführt hat,
ist erhaben über die Wandlungen des Schicksals.
Er ist frei.»
(Seneca)

Wenn ich weiss, wo und wann die Trauerfeier sein wird,
melde ich mich per Email.

Axel Ganguin
•••
hap

Wann genau es war, weiß ich nicht mehr — irgendwann Mitte der siebziger Jahre, 1975 vielleicht, es mag auch 1976 gewesen sein. Aber an eines erinnere ich mich präzise, es hat festgemacht wie ein Standphoto aus einem Stück gemeinsamen Lebens. Ein graues Sakko hatte er an, darüber ein kalifornienbestrahltes Gesicht, von dem ich heute meine, es könnte Spuren eines damals in seiner Zwischenheimat hochgeschätzten Anti-Doping-Mittels gezeigt haben. Ich komme deshalb darauf, weil Ben ihn mir vorgestellt hatte, auch er aus dem Leben geschickt von dieser Krankheit, die hap, wie Hans bei uns bei seinem Kürzel genannt wurde, jetzt verabschiedet hat. Um die Ecke sollten wir ein paar Tage später, Ben, Hans, Mike und ich einen ganzen Nachmittag lang über eine Wiese bunten Lachgrases hüpfen, bis wir erschöpft in den Seilen des sommerlichen Hinterhofbalkons in der Münchner Türkenstraße hingen. Dieses Lächeln mag aber auch diesen offenbar uferlosen Optimismus gezeigt haben, den er aus dieser Aufständischen-Universität Berkeley, wo er nach der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität noch einige Semester Politische Wissenschaften absolvierte, mitgebracht hatte. Den entscheidenden Teil dieses Bildes auf der Adalbertstraße habe ich ebenso prägnant in Erinnerung. Auf meine Frage, was er denn nun hier zu tun gedenke, war seine knappe Antwort: Den Journalismus neu erfinden.

Wäre er nicht tot, müßte ich nun schreiben, daß er das vermutlich tun wird bis an sein Lebensende. Er hatte eine gänzlich andere Auffassung davon als der Journalismus, der sich bis heute gehalten hat. Er war ziemlich wütend, als Christina Schellhase und ich 1996 das Laubacher Feuilleton, für ihn und andere überraschend, verabschiedeten. Als wir uns wieder vertragen hatten, lieferte er eine Begründung für sein Schäumen nach: Er liebe das Blattmachen halt so. Und unser Blättchen hatte tatsächlich etwas von dem, das uns einte und weshalb es schließlich gegründet worden war. Annemarie Monteil hatte diese Gemeinsamkeit unnachahmlich in Worte gefaßt: Nabel der Welt. Hans Pfitzinger war (fast) von Anfang an dabei, er gehörte nicht nur zu den harten Aktivisten unserer Blauen Stunden, die das eine ums andere Mal auch so endeten — wenn er bei dieser Art der Geistsucherei auch einer der Zurückhaltensten war —, er fehlte nie. Auch nicht in seinen Anmerkungen zur Welt, von denen hier nur ein Bruchteil dokumentiert ist (was verfügbar ist, wird nachgetragen; im übrigen sei auf das Archiv der Gazette verwiesen, wo er weiter Blatt machte und in der recht viel des pfitzingerschen Verständnisses von Journalismus nachzulesen ist). Wie man seine Texte auch drehte und wendete, irgendwie hatte er immer recht. Deshalb war er immer im Blatt vertreten, nicht nur als Autor, sondern auch als Lieferant dessen, das unbedingt erneut veröffentlicht gehörte, zum Beispiel immer wieder diese Romantiker, die ein sehr viel anderes Weltbild abgaben, als diese Epoche gemeinhin wahrgenommen wird: E.T.A. Hoffmann und sein fränkischer Landsmann Jean Paul, für den er immer wieder Liebeserklärungen abgab wie hier in Die Gazette, den er so sehr liebte, daß er ihn sich auch schonmal zur Brust nahm. Das tat er auch mit der Zeitung, die er in die Richtung zurückschieben wollte, von der er meinte, daß sie die einzig gültige sei. So richtig genossen hatte das Blatt das nie, was aus dem verschämten Nachrüfchen ersichtlich wird. Aber wer hier gescheitert ist, der Erfinder eines neuen Journalismus oder der alte, unausrottbare selbst, das wird sich weisen. Aber das dürfte ihn kaum mehr interessieren können, den Hans.

hap und ich haben uns ein wenig aus den Augen verloren die letzten Jahre. Das ist jedoch in erster Linie geographisch bedingt. Es ist gut möglich, daß er mir in naher Zukunft derart aufleuchtet, auf daß ich mich noch einmal persönlicher zu Wort melden muß. Aber nun mag ich zunächst einmal in mich gehen.
 
Di, 23.02.2010 |  link | (6241) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Letzte Worte


edition csc   (23.02.10, 12:35)   (link)  
hap am 3. August 2009
«Hehehe, jetzt, mit deiner Erinnerung, fällt es mir auch wieder ein. Das war im Innenhof gleich neben dem La Bohème, und die Wohnung gehörte der Ortrud, Goldschmiedin aus der Arcisstraße, die zwischendurch auch mal mit dem Ben verbandelt war. Ich hab da nur kurz gewohnt, als sie in Urlaub war, wenn ich mich recht erinnere. –

Ja, jetzt kommt die Chemotherapie auf mich zu, mein naturheilkundlicher Allgemeinarzt sagt, dass die Zeit drängt und wir nicht abwarten können, ob und wann die Misteltherapie wirkt. Entweder das, oder elendes Verenden in kurzer Zeit. Also mache ich Chemotherapie. Ich will weiterleben.
Danke für die guten Wünsche – die Schmerzen halten sich immer noch in erträglichen Grenzen. Was kommt, weiß keiner.»






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