Hummel, Klein und Kummer «Keine Kunstwerke i. S. d. Abs. 1 Nr. 4 (des Urheberrechtsgesetzes) sind hier die sogenannten objets trouvés und ready-mades, Gegenstände also, die nicht vom Künstler gestaltet, sondern aufgefunden und als Kunstwerk präsentiert werden (dazu auch Kummer S. 103ff.; Rau S. 16f); bei ihnen liegt nicht einmal eine Schöpfung vor (vgl. näher Rdnr. 6). An der erforderlichen Individualität und Gestaltungshöhe wird es bei der Kunstrichtung der Minimalisierung (dazu Rau S. 18f). meist fehlen, etwa bei der Darstellung eines schwarzen Quadrats auf weißem Grund (Malewitsch), monochromen Bildern, die lediglich eine einzige Farbe, z. B. Blau, darstellen (Yves Klein, Ferrari, Manzoni) oder leeren, unbemalten Blättern (Rauschenberg).» Was ist denn das? Das ist ein Skandal. Es handelt sich um ein Zitat aus dem führenden Kommentar zum deutschen Urheberrecht, herausgegeben von Prof. Gerhard Schricker; Autor ist der Frankfurter Professor und Richter am Oberlandesgericht Frankfurt, Ullrich Loewenheim, ein renonunierter und glänzender Urheberrechtler. Wie kommt es denn zu diesem Zitat? Am Gesetzestext kann es nicht liegen: «Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.» (§ 2 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz) Abgesehen davon, daß das Gesetz in den Händen geschickter Juristen Wachs sein kann, eröffnet die Formulierung, besonders unter dem Aspekt des Geistigen, eine Möglichkeit, auch die von Loewenheim genannten Werke unter den Kunstbegriff zu subsumieren. Es besteht auch kein zwingender logischer Grund, dem ready-made die Qualität der Schöpfung abzusprechen; natürlich wird nicht das als ready-made präsentierte Objekt selbst geschaffen, sondern die Schöpfung besteht in dem geistigen Vorgang, ein Objekt aus einer gewohnter Zweckbestimmung herauszunehmen und in einem andere Kontext zu präsentieren. Freilich ist eine gewisse Gestaltungshöhe zu verlangen. Nur: was heißt Gestaltung. Max Ernst antwortete auf das Trivialargument, daß Kunst von Können komme, das sei schon richtig, aber was können: Gestalten können! Um ein Beispiel, welches in der urheberrechtlichen Diskussion eine gewisse Rolle spielt zu zitieren, sei die von einem Künstler gefundene Föhrenwurzel genannt, die er als Tänzerin präsentiert hat. Hätte er die Wurzel mimetisch genau nachgebildet, und dieses Ergebnis seines Handwerkes als Tänzerin ausgestellt, wäre der Effekt zwar derselbe, aber den Urheberrechtlern wäre ihr Argument aus der Hand geschlagen, daß es sich nur um ein objet trouvé handele. Was bleibt, ist die geistige Leistung in der Föhrenwurzel die Tänzerin zu erblicken. Die Frage, ob derartige Vorgänge eine hohe künstlerische Qualität haben, darf sich dabei allerdings nicht stellen; auch Werke niedrigen geistigen Niveaus sind geschützt, wie z. B. die süßlichen Kinderfiguren der Nonne Hummel. Eines der bedeutendsten Werke der modernen Kunstgeschichte, das schwarze Quadrat von Malewitsch, soll also nicht den Segnungen des Urheberrechtes teilhaftig werden, wogegen die Hummel-Figuren, die alle Merkmale des Kitsches erfüllen, geschützte Werke der Kunst sind? Das Urbeberrecht gibt nicht nur Ansprüche, gegen den Plagiator, sondern regelt umfassend die die geistigen und persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk und seiner Nutzung. Hierzu gehört insbesondere das Urheberpersönlichkeitsrecht, das es dem Urheber vorbehält, ob und in welchem Rahmen er sein Werk veröffentlichen will, das ihm gestattet, seinen Namen als Urheber mit dem Werk zu verbinden und das ihm erlaubt, sich gegen Entstellungen des Werks zu wehren. Nach Auffassung von Prof. Loewenheim wäre es also nicht verboten, falls die Nonne Hummel eine ihrer Figuren auf ein monochromes Bild von Yves Klein gemalt hätte, umgekehrt hätte sie Yves Klein auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch nehmen können, hätte dieser eine Hummel-Figur blau gefärbt. Die Verwertungsrechte (Ausstellung, Vervielfältigung, Verbreitung) ständen dem betroffenen Künstler nicht zu, ebensowenig das Recht des Zuganges zu ihren Werken und das Folgerecht, die Beteiligung der Künstler an Wertsteigerungen der Werke im Kunsthandel. In den Werken der anderen wesentlichen deutschen Urheberrechtler findet man keine Gegenstimme; es wird zwar durchweg betont, daß das Recht sich einer Qualitätsbewertung von Kunstwerken enthalten soll, eine Lanze für die Extremformeni moderner (Malewitsch gehört zu unserer Großväter- oder bereits schon Urgroßvätergeneration) bricht jedoch niemand. Nur der Berner Pro£ Max Kummer hat das getan: In einem 1968 erschienenen Buch hat er die Formen moderner Kunst beschrieben und folgerichtig als Jurist sozusagen kapituliert. Er hat gefordert, das als Kunstwerk nach urheberrechtlichen Maßstäben das anzusehen sei, was der Künstler als Kunst präsentiert. So einfach ist das, so einfach kann das sein. Dieses rief den Nestor des deutschen Urheberrechtes, Prof. Eugen Ulmer, auf den Plan: In einer Rezension dieses Buches stellte er fest, daß es dem Gerechtigkeitsgedanken des Urbeberrechtes widerspreche, solchen Werken den Schutz des Gesetzes zuzuerkennen: « ... So sind wir uns doch einig darüber, das Ziel des Urheberrechts der Schutz des geistigen Schaffens, das in den Werken der Literatur und Kunst in Erscheinung tritt, können wir, von dieser Idee ausgehend, dem Urheber selbst die Entscheidung über die Schutzfähigkeit überlassen?» Natürlich können wir. Wir können es getrost der Kunstwelt überlassen, ob sie Werke annimmt oder nicht. Ob die notwendige Gestaltungshöhe vorliegt, muß im Einzelfall allerdings entschieden werden; hier stehen aber gegebenenfalls Sachverständige zur Verfügung. Wem geschieht denn etwas böses, wenn Malewitschs Schwarzes Quadrat den Schutz des Urheberrechtes genießt? Es ist im Gegenteil höchst ungerecht, einer derartig bedeutenden geistigen Leistung den Schutz zu versagen. Und das auch dann, wenn es eine weniger bedeutende Leistung wäre. Die neukantianische Rechtsphilosophie meint zwar, daß das Recht ebcnso wie das Gute, Schöne und Wahre auch existierte, wenn es keine Menschen gäbe; mir scheint es jedoch offensichtlich, daß das Recht dem Menschen dient und nicht umgekehrt. Wofür ist der Sabbat da? Ich hatte vor vielen Jahren Gelegenheit, Prof. Ulmer bei einer Diskussion über urheberrechtliche Fragen der modernen Kunst zu erleben. Er erklärte dabei temperamentvoll, es könne doch keine Kunst sein, wenn jemand von hinten mit wilden Schnitten eine Leinwand zerschneidet und das Ergebnis dann präsentiert. Gemeint waren die kühlen, genau kalkulierten Werke von Lucio Fontana. Es scheint, als ob dieser Auffassung ein grundsätzliches Mißtrauen, ja sogar eine Abscheu gegen die «moderne Kunst» zugrunde liegt, etwas, was ich im juristischen Bereich eigentlich für längst überholt hielt. Das ist sehr traurig, aber andererseits zeugt es von der Kraft der alten Avantgarde, daß sie immer noch ernsthafte Leute wie die Professoren Ulmer und Loewenheim, aber auch Humoristen wie Sigi Sommer und Ephraim Kishon ärgern kann. Wolf Schenk Laubacher Feuilleton 19.1996, S. 14
Gespenster Das Gesetz ist gierig, schreibt der Jurist und große Dichter Albert Drach. Seine Gier zielt nicht nur auf die Rechtsunterworfenen, sondern auch auf die Rechtsanwender, die Juristen. Das Gesetz ist eine Form der staatlichen Machtausübung, neigt jedoch dazu, sich zu verselbständigen. Soweit das im Rahmen einer quasi moralischen Aufladung geschieht, ist das ja noch verständlich, wenngleich es eine gewisse Konfusion mit dem Begriff des Rechtes voraussetzt, der keinesfalls identisch mit dem des Gesetzes ist; zutreffend spricht das Grundgesetz davon, daß der Staat an «Gesetz und Recht» gebunden ist. Nicht unkomisch ist es jedoch, wenn die im großen und ganzen durchaus vernünftigen Regeln des Gesetzes nicht nur als Regeln, sondern als Wirklichkeit aufgefaßt werden. Hierzu neigen Juristen ganz besonders. Manchmal scheint sich das Gesetz dieser Gefahr durchaus bewußt zu sein, spielt aber mit der Wirklichkeit. «Als Weihnachtsmann im Sinne dieser Verordnung gilt auch der Osterhase» (Regelung der Schokoladenwanddecke) oder: «Das uneheliche Kind gilt als mit seinem Vater nicht verwandt», (so das BGB bis zur Reform des Unehelichenrechtes 1969). Derartiges könnte ganz harmlos sein, denn methodisch handelt es sich hier lediglich um Verweisungen. Aber warum formuliert das Gesetz nicht einfach: Diese Verordnung gilt auch für Schokoladenosterhasen, oder: Die Regeln über Verwandtschaft sind nicht auf das Verhältnis des Vaters zu seinem unehelichen Kind anzuwenden? Vielleicht macht es den Gesetzgebern einfach Spaß, die Wirklichkeit ein wenig spielerisch zu manipulieren. Im Falle des Osterhasen ist es nur komisch, im Falle des unehelichen Kindes jedoch anzunehmen, daß ein ideologisches Interesse im Hintergrund stand. Die Zeitschrift GEO hatte im letzten Jahr eine Diskussion darüber entfacht, ob es Grundrechte für Tiere geben solle. Ein Leserbriefschreiber, ein Dr. jur., bewies juristisch haarscharf, daß dieses nicht möglich sei: Das Grundgesetz kenne nur natürliche und juristische Personen, und Tiere könnten ihre Rechte nicht wahrnehmen. Damit sitzt er ganz tief im Schlund des gierigen Gesetzes. Offensichtlich ist, daß jeder schon einmal ein Tier gestreichelt hat, und wohl auch eine ‹natürliche› Person, aber eine ‹juristische Person› (die überdies im französischen und österreichischen Sprachgebrauch — wohl nicht aus diesen Gründen — ‹moralische› Person heißt)? Eine juristische Person gibt es nämlich nicht, sie ist ein Gespenst, eine Fiktion: Das Gesetz sagt, daß auf bestimmte Phänomene die Regeln jedenfalls zum Teil anzuwenden sind, die für ‹natürliche Personen›, also Sie und ich, gelten: Solche Phänomene können Personenmehrheiten (nach einer Theorie des 19. Jahrhunderts ‹reale Verbandspersönlichkeiten›) sein, also z. B. der Staat oder der Kaninchenzüchterverein, aber auch ein Vermögen, das in die juristische Form der Stiftung gegossen ist. Dieses führt zu der keinen Juristen zum Erstaunen bringenden Konsequenz, daß ein Vermögen sein eigenes Grundrecht auf Eigentum hat. Der Leserbriefschreiber der Zeitschrift GEO verkennt etwas Grundlegendes: Aus juristischen Gründen ist nichts unmöglich. Selbstverständlich kann der Gesetzgeber bestimmen, daß Tiere Grundrechte haben und praktischerweise zur Ausübung dieser Rechte hierzu geeignete natürliche oder juristische Personen bestimmt werden. Hieran ist ebensowenig oder ebensoviel bemerkenswertes, wie an jeder juristischen Person: ‹Real› ist, wenn man sich nicht auf eine philosophische Diskussion über die Realität des geistigen Seins einlassen will, die juristische Person nämlich in keinem Falle. Sie ist ein Gespenst, das allerdings erstaunliche Macht entwickeln kann. Unser Leben wird weitgehend von derartigen Gespenstern bestimmt, nämlich von den GmbH und Aktiengesellschaften, die als Arbeitgeber oder Geschäfts- und Vertragspartner auftreten, von dem öffentlich-rechtlichen juristischen Personen bis hin zum Staat. Das Gespenst GmbH kann besonders tückisch sein. (Diese Gesellschaftsform ist übrigens erst 1892 beim deutschen Gesetzgeber ohne historisches Vorbild aus Zweckmäßigkeitsgründen erfunden worden; man sage also nicht, daß das Gesetz seine Legitimation aus ‹dem Volk› hole!) ‹Inhaber› einer GmbH kann auch eine einzelne Person sein, die gleichzeitig Geschäftsführer ist. Diese Person spricht dann auch davon, sie habe eine GmbH. Das Gegenteil ist richtig: Die GmbH hat sie. Als Geschäftsführer hat sie nämlich die Interessen der GmbH zu wahren und nicht die Interessen des Kapitalgebers. Sie kann deshalb unter Umständen sogar wegen Veruntreuung verurteilt werden, Veruntreuung von Geldern, die, so sollte man meinen, wirtschaftlich doch eher ihr selbst zustanden. All dieses ist uns selbstverständlich geworden, obwohl es doch eigentlich nicht menschlich ist; aber auch mit diesem Argument sollte man vorsichtig sein: Das Wort ‹homo› bezeichnete im alten römischen Recht denjenigen, der eben keine persönliche Rechte hatte, nämlich den Sklaven. Dieses könnte man zum Anlaß nehmen, zu behaupten, daß die Zuerkennung von Rechten, gleich welcher Natur oder Konstruktion, ohnehin eine Fiktion sei. Jedenfalls hätte der oben erwähnte GEO-Leserbriefschreiber als alter römischer Jurist argumentieren müssen, daß es unmöglich wäre, einem ‹homo› Rechte zu gewähren. Wolf Schenk Laubacher Feuilleton 18.1996, S. 14
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