Zwischenräume

Kennen Sie diese Eierschneider? Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß das hart gekochte Ei in eine hierfür vorgesehene Vertiefung gelegt wird, worauf mittels eines an dem Apparat schwenkbar befestigten Rahmens, der einige, in der Regel fünf, straff gespannte Drähte aufweist, das Ei in einer Anzahl von Scheiben geschnitten wird, die der Anzahl der Drähte entspricht.

Der Künstler Wolfgang Groh nahm die Zwischenräume des eigentlichen Eierschneidegerätes heraus, nämlich das mit dem Schneidedrähten versehenen Rahmens, und formte diese in extra hartem Zahnarztgips nach, was eine Reihung von höchst fragilen, eigentümlich gespannten kleinen Objekten ergab. Diese Objekte montierte er zusammen mit anderen auf einem großen Tisch, der wiederum im Rahmen einer Kunstausstellung gezeigt wurde.

Besucher dieser Kunstausstellung waren auch Mitglieder der Wirtschaftsjunioren in München e. V., deren eines in Unkenntnis der Fragilität der Objekte und möglicherweise aus einem den Wirtschaftsjunioren eigenen Übermut den einen Seitenzwischenraum derartig heftig mit dem Finger traktierte, daß dieser, nämlich der Zwischenraum, zerbrach.

Auf nicht unerheblichen Schadensersatz in Anspruch genommen (schließlich ist die Herstellung von Zwischenräumen in Zahnarztgips ein mühseliges Unterfangen), gestand er nur die Hälfte des geforderten Betrages zu. Er wurde auf die andere Hälfte verklagt, was zu einer Verhandlung vor dem Amtsgericht München führte.

Der Richter war mit der konkreten Erscheinungsform der Zwischenräume nicht derart vertraut, daß er nicht eigene Augenscheinnahme verlangte. Der Künstler Wolfgang Groh übergab durch seinen Anwalt dem Richter die beiden Bruchstücke des zerstörten Teiles und die nicht zerstörten Zwischenräume.

Der Richter nahm das Gegenstück des zerstörten Teiles in die Hand.

Zitat Protokoll (buchstäblich):

«Der Richter persönlich erklärt: Anläßlich der in Augenscheinnahme des streitgegenständlichen Objekts, habe ich einen Teil dieses Objekts in die Hand genommen. Aus Versehen ist es mir aus der Hand gefallen und auf dem Sitzungstisch in zwei Teile zerbrochen.»
Aktenzeichen: 161 C 9994/92

Mit dem Wirtschaftsjunior hat man sich in einer Weise verglichen, daß der größte Teil des Schadens gedeckt war; der bayerische Staat wurde erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

wsc

Laubacher Feuilleton 18.1996, S. 15
 
Mo, 08.08.2011 |  link | (1258) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Philosophisches






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