Strahlkraft

«Preisnotierung aus dem Getränkefachhandel: DM 5,95 für eine Flasche englischen Mineralwassers. Keine Zukunftsvision auf das Jahr 2007, vielmehr Alltagsrealität von 1993. Dem Wasserunkundigen hat der Inhalt vergleichbaren Liquiden gegenüber kaum einen schmeckbaren Qualitätsvorsprung, der eine derart exorbitante Preisdifferenz rechtfertigen würde. Es kann also nur an der spezifischen Natur der Verpackung liegen, wenn der Kunde solche Unverfrorenheit hinnimmt. Das Etikett informiert uns, daß die Flasche einen Preis für Glasdesign errungen hat. Dies wohl zum geringeren Teil wegen ihrer unübersehbaren Keulenform eines entsprechenden französischen Produkts nachempfundenen Gestalt, sondern eher an der Farbe des Glases, einem Blau von intensiv-transparenter Strahlkraft unweit der Schmerzgrenze. Eine Auszeichnung also durch letztlich zwei Preise für Farbe. Sei's gepriesen.»

Das ist ein Text unseres Beirats Bernhard Holeczek mit dem Titel Drei Paralipomena. Er stammt aus dem Ausstellungskatalog Open Space zu Nikolaus Koliusis im Kasseler Kunstverein von 1993. Als ich diese Zeilen gelesen hatte, überkam mich Begeisterung und Erinnerung gleichermaßen — Katalysatoren eines Telefax' nach Ludwigshafen am Rhein (aus der Erinnerung): Ich möchte diesen Text im Laubacher Feuilleton nachdrucken! Die Antwort: 1.: ich freu' mich, daß das Blättchen immer noch existiert; 2.: daß ich immer noch bemustert werde; 3.: gerne.

Der Text, ein klassisch feuilletonistischer und ganz im Sinne des Laubacher Feuilleton, weshalb ich ihn so schön fand und immer noch finde, wurde bislang bei uns nie (nach-)gedruckt. Erst paßte er nicht hinein ins Blatt, dann nicht aus ‹gestalterischen› Gründen, weil das sich ergebende ‹Loch› eben nicht vorhanden war, später geriet er, mal in den Stehsatz geraten, in Vergessenheit. Jetzt soll er, wie so viele andere Texte und deren Autor, nicht mehr in Vergessenheit geraten, denn er ist tot — der Autor.

Am Tag des Beginns der Auslieferung unserer Nummer 12, etwa ein Jahr nach Erhalt dieses Katalogs, den Bernhard Holeczek auf Grund meines Telefaxes und damit aus freundschaftlicher Freude heraus noch eigenhändig eingetütet hatte, und damit des Textes, erhielt ich die Todesnachricht.

Es wird viel gestorben in den letzten Jahren — außerordentlich. Dies allerdings ist ein Tod, der, wie das nun einmal ist mit (gestorbenen) Freunden, besonders ans Erträgliche geht. Es ist ein Tod, den allerdings ‹Stab› und Leser des Laubacher Feuilleton gleichermaßen berühren muß: Denn Bernhard Holeczek war der Initialzünder des Laubacher Feuilleton — ohne ihn gäbe es unser Blättchen nicht.

Kurz: Als ich im Sommer 1991 in Ludwigshafen an seinem Schreibtisch im Wilhelm-Hack-Museum, das er dirigierte, saß und die täglich-wöchentlich-monatlich-vierteljährliche Feuilleton-Situation beklagte und daß ich eine Idee hätte und daß ich aber nicht wisse, ob denn so etwas heute überhaupt realisierbar sei, sprach er (vermutlich den 35. Kaffee schlürfend und die 50. Zigarette rauchend): Hör' auf zu jammern, mach's doch einfach!

In demselben, erwähnten Katalog, steht noch noch ein — aphorismusgleicher Satz von Bernhard Holeczek:

«Wenn du das Licht suchst, bist du allein,
wenn du es gefunden hast, sind alle da.»


Laubacher Feuilleton 13.1995, S. 15
 
Di, 13.10.2009 |  link | (2790) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Letzte Worte






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