Hera — Juno

Hera ist die Gemahlin des Zeus, des höchsten Gottes. Die Römer nannten sie Juno. Unter einer junonischen Erscheinung verstehen wir eine hohe, herrscherliche Frauengestalt. Wir denken an den großartigen Kopf der Juno Ludovisi, zum Einsetzen in eine Kolossalstatue bestimmt, den Goethe so sehr verehrte. Wenn Aphrodite den weiblichen Liebreiz schlechthin, Demeter das Muttertum verkörpert, so ist Hera die herrschende Frau, die eifersüchtig ihre Rechte gegenüber dem Gatten wahrt. Sie ist die Matrone, deren Reiz Verwelkt und deren Mutterschaft erloschen ist. Was ihr im Alter bleibt, ist das Pochen auf ihre Stellung, das Erheischen von Achtung von seiten des Gatten Zeus, der sich so oft mit sterblichen Frauen einläßt. Es ist bekannt, wie sie in ihrer beleidigten Würde die uneheliche Brut des Ungetreuen verfolgt.

Dem Herakles schickt sie schon an die Wiege zwei Schlangen, die ihn töten sollen, und bürdet ihm ein Leben lang furchtbare Mühen und Leiden auf, die ihn allerdings zum berühmtesten aller Halbgötter machen sollten. Herakles heißt ja wörtlich «der durch Hera Berühmte». Als Leto, eine andere Geliebte des Zeus, gebären will, jagt Hera sie von Insel zu Insel und verweigert ihr den Ort der Geburt, bis sich Poseidon erbarmt und das schwimmende Eiland Delos mit vier Säulen auf dem Meeresboden festmacht, so daß Leto die Zwillinge Apollon und Artemis zur Welt bringen kann. Die schöne Io, die die Aufmerksamkeit des Zeus erregt, verwandelt Hera in eine Kuh, treibt sie mit einer Stechbremse durch die Lande und schlägt sie mit Wahnsinn. Ihr Leben mit dem Gatten Zeus bedeutet also fast tägliche Händel, und da sie meist vor den versammelten Göttern ausgetragen werden, ist die höchste Göttin fast immer in Gefahr, Heiterkeit zu erregen. Man möchte sagen, auch von ihr gelte der Satz, daß vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt sei. Um Aphrodite flattern Tauben und Sperlinge, neben Hera steht der Pfau, der stolze Vogel mit der schrillen Stimme.

Aber man muß ihr gerecht werden: erst durch die Frivolität des Gatten, Ausdruck der unbekümmerten Männerpolygamie der griechischen Adelszeit, wird sie ja zur Verteidigung und Widerspruch gezwungen, sie wird zur politischen Frau, wenn man darunter die Verstrickung in die Sphäre der Macht versteht, die oft unweiblich macht und für das echte Frauentum fast immer gefährlich ist. So scheint sie menschlich gegenüber Aphrodite und Demeter vermindert, aber auch hier herrscht wieder ein wunderbarer Ausgleich. Wenn Demeter der Aphrodite überlegen ist, denn eine Mutter ist mehr als eine Geliebte, so erscheint die Matrone Hera in ihrem Rangwert höher als beide durch das, was sie vertritt, die Institution der Ehe, ohne die selbst das Muttertum gefährdet ist. Ein Blick auf die hilflos irrende Demeter, die überall nach Beistand sucht, um ihr Kind zu erhalten, überzeugt, wie gebrechlich das Muttertum ohne den festen Bestand der Einehe ist. Ihre hohe Patronin ist Hera, und dies ist ihre sittliche Größe. Mit dem unerbittlichen Anspruch auf die Heiligkeit der Ehe wird sie zur Personifikation einer Kulturwende. Mit dem Ackerbau, den Demeter lehrte, beginnt die Zivilisation, mit der Einehe, von der Hera verteidigt, beginnt der Staat. Das Recht des einen Bettes, des einen Herdes, die klare Unterscheidung zwischen den legitimen und illegitimen Nachkommen festigt die griechische Familie gegen den orientalischen Harem und damit den Staat, der auf Ehe und Erbrecht aufgebaut ist. Selbst Perikles gelang es nicht mehr, nach dem Tod seiner rechtmäßigen Söhne die beiden Bastarde, die er von der Aspasia hatte, zu legitimen Erben erklären zu lassen. Das war, durch die Zeiten hindurch bis zum ausgereiften athenischen Staat, das Werk der Hera. Sie vertritt nicht das Mutterrecht gegen das Vaterrecht (das würde bedeuten, daß die Mutter über dem Vater stünde, dies ist längst vorbei), sondern die gleiche Partnerschaft in der vaterrechtlichen Ehe, die Achtung vor der ehelichen Frau.

So steht hinter der oft so zänkischen Göttin Hera eine tragische Gestalt. Sie ist die Verkörperung des ewigen biologischen Kampfes zwischen dem männlichen und weiblichen Prinzip. In dieser Bürde und Würde steht sie vor uns, und so ist sie mit Recht die gleichberechtigte Gemahlin des Königs der Götter.

Friedrich Schuh


Laubacher Feuilleton 9.1994, S. 15; Fortsetzung folgt
 
Di, 21.04.2009 |  link | (1840) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Goettliches


tropfkerze   (24.04.09, 13:16)   (link)  
Heute oder morgen bringe ich auch eine nette Geschichte von Juno. Allerdings nicht antik.






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