Von der Würdelosigkeit des Schreibens

Schriftsteller sind die geheimen Gesetzgeber der Welt, sagte Shelley. Aber ich behaupte, sie sind nicht mal unsere Müllmänner und Straßenkehrer. Im Gegenteil: Umweltbewußt, wie wir sind, grüßen wir die lustigen kleinen Kümmeltürken in ihren Apfelsinenkluften und freuen uns, daß es sie gibt. Das hindert uns freilich nicht, uns zusätzlich zu freuen, daß für dieses Gekrame in unseren Abfällen irgendwelche Exoten existieren, die nichts dabei finden.

Und wirklich, es gibt ja edlere Berufe. Und wer ganz hoch hinauswill, bis drei zählen kann und Einfälle hat, setzt sich hin und schreibt.

Diese Arbeit ist schwer, schädlich und gesundheitsschädlich. Aber vor allem ist sie entwürdigend. Daß wir uns für sie noch keine Anatolier geholt haben, liegt nicht allein an der Sprachbarriere. Es liegt vor allem daran, daß das Entwürdigende dieser Arbeit als das natürliche Risiko dieses Berufes aufgefaßt wird — soweit es überhaupt bekannt ist.

Schriftsteller sind definiert durch das Privileg, ihre Neurosen in die Öffentlichkeit zu tragen. Ferner durch den glücklichen Umstand, daß sich oftmals Leute finden, die es ihnen bezahlen. Logisch, verlangt solches Privileg einen hohen Preis: Kein Berufstätiger muß so tief hinab wie der Schriftsteller.

Als ich im Zuchthaus war — damals hieß das noch so —, hatte ich u. a. auch zu tun mit dem Problem der Entwürdigung. Insofern war ich auf meinen Beruf gut vorbereitet. Aber für dessen besondere Seiten hat die alte Schule dann doch nicht ausgereicht. Etwa ist der Wächter dazu angehalten, die Gefangenen korrekt zu behandeln. Ja bereits im Vernehmungszimmer der Polizei hängt ein diesbezügliches Poster: «Die Würde des Menschen ist unantastbar.» Im Freigelände der Schreibkultur gibt es kein Ministerium, das besagte Korrektheit überwacht und keinen Wandschmuck, der an das Grundgesetz erinnern könnte.

Handstand kann nicht jeder, selbst Malen muß man irgendwie lernen, aber schreiben können alle. Und da das Schreiben neben dem Reden, dem menschlichen Mitteilungsbedürfnis, ideal entgegenkommt, tun sie's auch. Verrückterweise sind die Resultate hier verkäuflich, oder jedenfalls haben sie, selbst als Schubladenhüter, Warencharakter. Und so wälzt sich ein Strom schreibender Ameisen auf die Redaktionen zu: ein Fall von kultureller Naturkatastrophe. Man kann darauf herumtrampeln, wie man will, der Strom strömt und strömt, und die Redakteure und Lektoren können die Türen verrammeln, wie sie wollen: Die Post findet immer noch ein Loch und schmeißt ihnen die Papierpakete in die entsetzten Gesichter.

Die Würdelosigkeit beruht also erstens auf dem massenhaften Dasein der Schreiber und zweitens auf ihrer faktischen Nutzlosigkeit. Zwar: Das Fernsehen kann nicht leben ohne sie, es gäbe keinen einzigen Buchverlag ohne sie, aber gegen den kraftvoll konkreten Vorgang des Brotbackens etwa ist das bloß Rascheln mit Geist, doch ohne eine recht luftige, um nicht zu sagen seriöse Tat. Jemand, der etwas schafft, ohne wirklich etwas zu schaffen, muß wohl bereit sein, zu akzeptieren, daß seine dubiose Position die entsprechende Bedienung erfährt.

Mal angenommen, ich sei der Inhaber einiger leerstehender Wohnungen unbehandelten Zustands. Kaum wird das ruchbar, kommen die Könner schon angerannt: Möbeischreiner, Innenarchitekten, Maler. Nach sechs Wochen sind alle Zimmer in Schuß, und schon ein halbes Jahr später komme ich selbst höchst eigenhändigen Fußes, beschaue die Werke und schweige sie an. Jedoch — da sie mir nicht recht zusagen, drücke ich den Machern und Lieferanten einige hektographierte Blätter in die Hände des Inhalts, sie könnten ihr Zeugs wiederhaben, worin sie aber bitte kein Werturteil sehen möchten mit freundlichen Grüßen.

Ein derart behämmerter Vorgang kommt in unserem Wirtschaftsleben gottlob nicht vor. Eine Fülle gesetzlicher Sperren würde ihn schon im Ansatz verhindern, er hätte Scheußlichstes zur Folge: Zahlungsbefehle, Betrugsanzeigen, Drohungen mancherlei Anwaltskanzlei, es wäre schon gleich die Funkstreife da, um nach dem Irren zu schauen, und das Amtsgericht hätte sich alsbald mit der Frage zu befassen, ob über einen derart ausgefallenen Beschäftigten von Handwerksleuten nicht die Pflegschaft zu verhängen sei.

Aber wie gesagt, das alles geschieht ja nicht. Vielmehr besteht in unserer Wirtschaftsordnung doch ein großer Konsens darüber, daß jede Arbeit ihres Lohnes wert sei.

Der Schriftsteller ist in diesen Konsens nicht einbezogen, aber wie schon erwähnt, das ist sein eigenes Risiko. Es ist auch die Basis seiner Entwürdigung. Wer sich bereit findet, gratis zu arbeiten, kann konsequenterweise nicht erwarten, daß man ihn sonderlich hoch einschätzt. «Was nix kostet, ist auch nix», sagt der Volksmund, wobei er freilich in einem Punkt irren kann: Das Kostenlose kann durchaus etwas sein.

Richtig dagegen ist, daß es aus Händen kommt, die moralisch längst in den Gully gesaust sind. Kunstprofis aller Couleur kennen sich aus: von der Kultur etwas erwarten zu wollen, heißt Wasser finden wollen in der Wüste (womit schon eingeräumt ist, daß es Oasen gibt). Das Betragen der an den Machthebeln befindlichen Abendlandswächter würde oft kaum ausreichen für die Aufnahmekontrolle im Obdachlosenasyl. Wenn etwa Deutschlands edelster Verlag einem Schriftsteller mitteilt, im Zuge eines großen Hausputzes seien dessen Manuskripte entdeckt worden und «diese sind bei Ihnen doch sicherlich besser aufgehoben als bei uns», dann beschreibt das eben, um im Bild zu bleiben, die Beziehung eines Wüstenscheichs zu seinen Kamelen. Er braucht sie zwar wie die Luft zum Leben, weiß man, aber unbestreitbar stinken sie und benötigen ab und zu einen Tritt.

Dieser Stil, so originell er sich anhört, folgt jedoch nur dem uralten Grundmuster des Absolutismus. Zwischen unangreifbar Mächtigen und total Abhängigen gibt es schon theoretisch keine Möglichkeit vernünftiger Kommunikation. Das Bestreben des Schriftstellerverbandes, bessere Klauseln zu erreichen, bedeutet da nur ein Kurieren an Symptomen: ein Teilchen der absoluten Macht soll umgewandelt werden in einklagbare Rechte der Beherrschten ein Bemühen, das nur dadurch nicht lächerlich wirkt, daß besagte Beherrschte durch Zusammenrottung ihrerseits Machtstruktur herzeigen. Faktische Macht üben sie jedoch nicht aus, höchstens eine moralische, und deren Geltung und Respektierung ist wiederum abhängig vom Urteil ihrer kommerziellen Gegner.

Man kann sich vorstellen, wie das ausfällt; denn ein Streik der Ameisen ist nicht zu befürchten. Legt die eine keine Eier mehr und platzt darob, tut's eine andere, und in dieser Zuverlässigkeit liegt die Schwäche des gesamten Heeres. Der Mensch hat jedoch die köstliche Freiheit, nicht schreiben zu müssen. Daß er sie sowenig nutzt und erst dann wirklich resigniert, wenn ihm schon der Gerichtsvollzieher ins Haus und der Suff aus den Ohren läuft, liegt — abgesehen vom Drang der Seele zur Schreibmaschine — an der optischen Attraktivität des Schriftstellerberufs. Man hockt sich hin, popelt sich was aus dem Hirn, macht es zu Geld, läßt sich ehren, wälzt seinen Namen durch anderleuts Mund, und die Kritiker schütten Hormone aus und fallen ergriffen vom Stuhl. Das ist schon eine herzerfreuliche Masche, einen Bogen zu schlagen um Stechuhr und miese Chefs. Hinzu kommt der Touch des Erlauchten. Wer Feuilletons liest, muß den Eindruck gewinnen, Schriftsteller seien die Zierde des Erdkreises; nach wie vor lämmert Lorbeer um ihre Schläfen und kitzelt die Nüstern.

Wer dagegen Kohlen schaufelt 700 Meter untertags, kommt erst dann in die Zeitung, wenn ihn ein Schlagwetter an die Wand klatscht.

Hinzu kommt das Künstlertum. Es hockt im Herzen wie eine Hummel im Hintern und macht Radau; bis heute ist eine zuverlässige Therapie weder bekannt noch gefragt. Hinzu kommt der Eindruck, jedes Leben, soweit gelebt, sei «ein Roman». Es haben schon weniger Menschen mehr erlebt, als aus allen bisherigen Büchern zu erlesen war, mit Recht fühlt sich der Geist provoziert, nun endlich zu sagen, was noch niemand gesagt hat und freilich auch niemand hören will.

Kurz: Die Chance, nicht schreiben zu müssen, existiert bedingt. Der berufene Autor ist mithin unfrei, und das wissen seine Benutzer und nutzen den Zwang, mit dem er sich selber ausliefert und gehalten ist, den Absolutismus in nomine artis zu akzeptieren.

Es ist in unserer Gesellschaftsordnung der einzige Absolutismus, der bis heute keine Reform, geschweige denn eine Revolution erfahren hat. So dramatisch das klingt, so dramatisch ist es im Grunde. Hier hat sich ein Reservat total veralteter sozio-ökonomischer Beziehungen erhalten, das nur deshalb nie eine Reform erfuhr, weil es sozi-ökonomisch ohne jedes Gewicht ist. Wäre der Schriftsteller ein so bedeutsamer Faktor wie die von ihm unterhaltene Industrie, hätte er sich längst seine Rechte geschaffen. Um wieder ein Bild zu bringen, nachdem es die Wörter nicht bringen: Eier ohne Hühnerfarmen wären heute unerschwinglich; folglich brauchen wir Hühnerfarmen. Aber die Hennen dürfen nicht zur Bundestagswahl, sie haben schon nicht mal ein Recht, über ihre Eier zu befinden. Mehr weich, mehr hart — erste Pflicht eines jeden Huhns ist, den Schnabel zu halten. Ein Autor hat schon Glück, wenn er irgendwo und -wann abgekocht und verbraten wird und am Ende sein Name jenes Menü benamst, auf das im Grunde wiederum zu verzichten wäre.

Da keine innere Notwendigkeit besteht, diese Konstellation zu ändern, wird sie um so fester, je älter sie wird. Daher kommt es, daß nicht einmal der Erfolg eines Autors ihm jene Immunität verschafft, die ihn endlich schützen könnte vor der Entwürdigung. Sicher, aber irgendwann ist man nett zu ihm, und der Dramaturg kommt selbst und reicht ihm den Aschenbecher. Denn von diesem Autor, weiß man, kommt noch was, er hat ein geniales Legeloch.

Ein Autor, der sich nicht auskennt, zieht daraus falsche Schlüsse. Ich bin durch! sagt er sich, aber durch ist auch der Schiß nach einer Sitzung; die Formulierung ist mithin kein Indiz. Tatsache ist vielmehr, daß auch der halbwegs etablierte Autor seine Manuskripte nur am Lieferanteneingang abliefern kann, und damit ist seine Mission erschöpft. Wer geliefert hat, ist, im strengsten Sinne, kein Lieferant mehr, und die Sinne sind streng.

Schriftsteller, Lektoren und Dramaturgen bestehen da korrekt auf Berufstreue. Folglich praktiziert der Schriftsteller seine Manuskripte in die Weiterverarbeitung wie ein Irrer den Speck in die Mausefalle: Vorsichtig lanciert er den Brocken in das höllisch gespannte Ding, und gerade kann er noch die Finger wegziehen, bevor es zuschnappt.

Das Manus gerät aufs Förderband, ein Regisseur kommt und sagt: Das machen wir schon. Der Autor kommt und will noch wat mitpiepen — der Regisseur ruft sofort die städt. Müllbeseitigung an und regt sich auf: Bitte, wer ist jenes Ungeziefer, wieso wird das nicht abgefahren?

Der Autor hat nur wenig Ahnung, was er mit seinem Schrieb eigentlich gewollt hat. Ahnung haben, ist wiederum Sache der Kunstgestalter, sie brauchen nur den Rohstoff, versehen ihn mit Titel und Drall und teilen dem Piependen mit: «Ach, das haben wir gar nicht so gerne, wenn der Autor da noch Einfluß nimmt, wissen Sie, es ist immer so, wenn der Autor mitredet, das gibt oft nur Ärger, und eigentlich ist das hier auch gar nicht üblich, das wird nicht gern gesehen, wie geht's Ihrer Frau?»

Es geschieht tatsächlich — und das ist die Regel —, daß dem Schriftsteller nicht zugetraut wird, zu wissen, was er mit seinem Stück gemeint hat und was er sagen wollte. Und das liegt zum Teil auch daran, daß die angestellten Meiner und Sager von ihrer Seele her oft selber Schreiber sind und nur den Absprung nicht schafften in eine mehr eleusische Position. Logisch machen sie sich über die Eier her und sagen: Er ist ein armes Huhn, man muß ihn vor sich selber schützen.

Je inniger hier die Beziehung zwischen Lieferant und Verarbeiter, um so härter das Mißtrauen. Das kann nicht ausbleiben angesichts der Tatsache, daß die befindenden Weiterverarbeiter eine Art Liebesverhältnis haben zur Literatur oder jedenfalls so weit bewandert sind, um zu wissen, daß ‹es› besser wäre, wenn der Autor es so geschrieben hätte, wie sie es selbst geschrieben hätten, wenn sie mehr Zeit hätten, aber nun, und das läßt sich ja kompensieren. Und da Machtbesitz zugleich auch Besitz von Kompetenz insinuiert — jedenfalls im Absolutismus ist das so —, sind die Autoren allemal diejenigen, die sich gefallen lassen müssen, von Inkompetenten befunden zu werden. «Sie hätten», sagt der 90-Kilo-Kritiker zur Ballettratte, «beim Aufhellen des Sonnenlichts etwas elegischer hüpfen müssen» — das alte Problem von Schöpfung und Bewertung. Das erinnert wieder ans Zuchthaus. Dort schrieb mir der Oberlehrer zwecks Genehmigung eines weiteren Hefts ins Heft: «Gute Schanze zu weiterem guten Ausdruck, weiter so!» Der gerissene Autor lächelt dazu und macht weiter so, damit er das Heft bekommt. Er ist also einverstanden mit dem neuen Titel seines Werks, er ist einverstanden mit der aberratischen Inszenierung seines Stücks, und der Boß kommt und sagt: «Sie sind ein guter Autor, mit Ihnen kann man auch gut arbeiten. Sie haben ein klares Verhältnis zur Praxis. Wir können Sie — höre ich heraus — vorzeitig entlassen wegen guter Führung.»

Nicht eingehaltene Termine, gebrochene Versprechen, keine Entschuldigung nach allem, windige Zusagen, Optionen ohne realen Hintergrund, unbeantwortete Briefe, hektographierte Bescheide auf Einsätze, die bis ans Leben, zumindest an die Leber gehen. Der Autor, gerissen und bereit, die Mißhandlung hinzunehmen als konsequente Emanation des Absolutismus, frißt das alles wie Wasser und sagt sich: «Irgendwann bin ich durch.»

Gleichwohl gibt es Zeichen seiner Respektierung. Z. B. geht die Kulturindustrie von seiner übermenschlichen Überlebungskraft aus. Circa 200 Jahre, kalkuliert sie, wird er leben. Nach einem halben Jahr teilt sie ihm mit, daß das Manuskript noch einigen Kollegen vorzulegen sei, wenn Sie sich bitte bis dahin gedulden. Nach einem weiteren Jahr «sollte man über die Sache sprechen», und richtig tritt die Sache nach einem Jahr in das spruchreife Stadium, nur jetzt in der Urlaubszeit, Sie verstehen, aber ich schätze im Frühherbst. Nach einem weiteren halben Jahr wechselt der Verlagsleiter, ein Jahr später soll die Sache nun doch ernsthaft in Angriff genommen werden, allerdings «kommen wir, wenn wir die Sache jetzt forcieren sollen, in Terminschwierigkeiten», weshalb also die übernächste Buchmesse, über Kürzungen werden wir uns einigen können, aber die Idee hat fasziniert, vielleicht kommen Sie mal demnächst nach Stuttgart (Hamburg, Berlin, Frankfurt) — und richtig, zwei Jahre später überweist der Verlag 59 Mark und gratuliert zu den glänzenden Rezensionen.

Gottlob hat der Autor sich inzwischen selber beholfen und dem Rundfunk ein Skript vorgelegt. Nach einem halben Jahr teilt ihm das Lektorat mit, «daß die faszinierende Idee, aber die Urlaubszeit ..., und eigentlich sind wir ja ausgebucht, aber im Frühherbst. Sie müssen Geduld haben», erlauben sich Kenner der Szene zu sagen, «Erfolg kommt nicht so schnell». Sie sollen, hat mir noch jemand gesagt, inzwischen etwas zu essen haben. «Sie sollten», sagte mir jemand, «mal einen großen menschlichen Roman schreiben, das würde Ihnen doch liegen.» Nur einem Schriftsteller gegenüber ist diese Dreistigkeit erlaubt, ihn zu einer Arbeit aufzufordern, die er selbst zu bezahlen hätte. In keinem Gewerbe wird so knallhart definiert, daß der Arbeiter weder Rechte zu fordern noch zu erwarten hat. Er schreibet wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet — es kann schon längst niemand mehr Minister in Weimar sein und so einen Heckmeck reden.

«Wer publiziert, darf nicht wehleidig sein», sagt Max Frisch. Und wirklich klingt alles Vorstehende wie eine große Klage. Aber es wäre die Klage desjenigen, der Gedichte und ähnlichen Tinnef erzeugt in einer Welt, die von Brot lebt. Mit Recht gilt der Schreiber als arrogantes Dekor und hat froh zu sein, daß er wenigstens Aussicht hat zu leben, wenn er schon nichts dazu beiträgt, daß es möglich sei. Aber ihn oben zu feiern und unten zu demütigen — das halte ich entschieden für einen Akt von schlechtem Geschmack.

Der Schriftsteller, der Freieste von allen, ist der Gefangene jeder Institution, die er beliefern will. Hin und wieder bekommt er einen Vertrag, in dem die Haftgründe und -bedingungen näher beschrieben sind. Etwa: Er habe auch sein nächstes und übernächstes Manuskript dem gleichen Verlag anzubieten. Der Autor wird in die Pflicht genommen, faktisch und juristisch, ohne daß der Vertragspartner — aus irgendeinem Grunde heißen diese Verträge ‹Vertrag› — selbst die geringste Verpflichtung eingeht. Das kann man ja wohl nur mit jemandem machen, der notorisch wehrlos und grenzenlos verfügbar ist. Und alle Welt weiß: Der sitzt da jetzt hinter Gittern und bedarf, wenn er sonstwo verhandeln will, zunächst mal der Sprecherlaubnis. Bekommt er sie, liegt das Anrüchige dieses Urlaubs auf Ehrenwort auf der Hand: wer so leichthin entlassen wird, hat ja wohl nichts Starkes mehr zu bieten. Weshalb will Ihr eigener Verlag Sie nicht, fragt die fremde Geliebte in litteris, haben Sie Flöhe?

Der freie Autor hat die Freiheit, zu tun, was ihm paßt. Er kann, so ihm etwas nicht paßt, den Auflagen nachkommen oder sein Angebot zurückziehen. Im ersten Fall hat er ab irgendwann Grund, Kasse zu machen zu Lasten des Stolzes! Im zweiten Fall hat er ab irgendwann Komplikationen: das Arbeitsamt sagt, Warum arbeiten Sie nichts, und das Sozialamt sagt: Wären Sie doch einem ordentlichen Beruf nachgegangen wie jeder andere auch! Es gibt ihm 10 Mark und 1 Essens-Marke, und der Autor legt beides dem Gerichtsvollzieher vor und sagt: Wären Sie doch einem ordentlichen Beruf nachgegangen wie jeder andere auch.

Und wirklich wäre ja darüber zu diskutieren, wie ordentlich denn die Schreiberei sei. Es gibt Autoren, die stehen des Morgens um achte auf, waschen sich, ziehen sich an, kochen den ersten Kaffee und heben um neune an zu beginnen: einen Roman, ein Gedicht, einen Essay wie diesen. Aus derlei Leuten wird bekanntlich nichts; sie haben kein Genie und sind bereits nach hundertfünfzig Jahren vergessen.

Und andere sausen und saufen herum, fallen in Zustände und ins Bett, tun nichts und verzweifeln, daß sie nichts tun und tun endlich doch etwas: schreiben dem großen Filmmenschen. Sowieso endlich das Treatment jener Idee, die den so fasziniert hat — sie arbeiten! Sausen und saufen herum, entwerfen, verwerfen, telephonieren und sikutieren, und irgendwie ist das Werk dann da, atmet Großes und verspricht eine freudige Zukunft: Mäuse und Miete, Anerkennung und Altersversorgung — verliert sich dann allerdings ein Jahr später, meistens im Frühherbst, zwischen Redaktionen und Kompetenzen, und endlich kommt aber dann doch die große Hilfe aus aller Not, es kommt jemand und sagt: Sie sollten mal einen großen menschlichen Roman schreiben, das müßte Ihnen doch liegen.

... heiter die Kunst, sagte Schiller, und das ist der Grund, weshalb die Selbstmordrate in meinem Gewerbe unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Bevor ein Weiser sich kaputtlacht, lacht er bloß. Denn der fähige Beschreiber des Lebens ist eben auch sein fähiger Beherrscher. Der Mensch muß ja nicht schreiben, sagt er sich locker, er muß nur Verbindungen haben. Infolgedessen ergibt sich im Zuge einer Verlobung, daß die Verlobte einen Onkel hat, der selber Gedichte schreibt und einen Herrn kennt, der im Rundfunk sitzt und Feature-Ideen sucht. Zwei Jahre lang benötigt dieses Projekt zu seinem endgültigen Scheitern — da trifft den Autor der Brief von einer Institution, die er schon längst vergessen hat: «Ihr Manuskript gefällt uns, wir sollten über eine Realisierung sprechen.» Wieso es denn tatsächlich ‹realisiert› und bezahlt wird — ich kenne keinen Kollegen, der sich diesen Vorgang erklären kann. Aber der Realisierte ist nun ein gemachter Mann, hat 4.000 Mark auf dem Konto und keine Erinnerung mehr, für diesen Betrag je etwas gearbeitet zu haben.

Dann kommt die Weihnachtsparty des Verlags, der Autor ist eingeladen und ißt Knödel aus dem Public Relations-Etat. Ein Kritiker naht und spricht: «Sehen Sie, was ich Ihnen damals gesagt habe: Sie müssen Geduld haben. Nur Geduld, das ist alles.» Bevor der Autor ihm eine Bierflasche in die Fresse hauen kann, ist der Erlauchte schon weg und befindet sich woanders. Über die Herren und Damen Befinder auf den Bischofssitzen der Zeitungsredaktionen hat Kollege Günter Seuren schon alles für alle Zeiten Gültige gesagt (Esquire, Nr. 2/76). Es genügt, zu wiederholen, daß auch gegen deren Anathema keine Berufsinstanz existiert und Wohl und Wehe Leib und Leben des Autors abhängen von Verdikten, deren Natur die Unwiderleglichkeit ist.

Man muß nicht schreiben, wirklich nicht. Aber man tut's, weil man fühlt, daß man muß. Gefühl ist alles, und wer zu müssen hat, hat nichts zu wollen. Und das ist der Preis, den man zahlen muß für die Früchte im — wie gesagt — Frühherbst. Und das zu verkünden, zu reproduzieren, brauche ich widerum meine Gegner. Bin gespannt, wer da mitzieht. Ich wäre bereit, ihm zu versichern, daß ich alles nicht so ernst gemeint habe, wie es ist.

Horst Schloetelburg


Laubacher Feuilleton 19.1996, S. 4–5

Aus: Vergewaltigung eines Genies. Dokumentation von Renate Mayer-Zaky †, Littera-Verlag, München 1992, S. 47–58

 
Do, 26.03.2009 |  link | (2493) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache


edition csc   (26.03.09, 13:21)   (link)  
Horst Schlötelburg
Im Bekanntenkreis kurz Schlö genannt, 1931 geboren und 1982 gestorben, hat in diesem Essay seine Erfahrungen zusammengefaßt — er lebte tatsächlich (bescheiden) ausschließlich vom schreiben —, seinem (immerwährenden) Ärger Luft gemacht. Honoriert wurde diese Brandrede vom Bayerischen Rundfunk, der sie Ende der siebziger (Anfang der achtziger?) Jahre — im großartig fulminant-wütenden Vortrag von Hans Korte — sendete. Renate Mayer-Zaky † hat sie in ihrer 1992 im Münchner Littera-Verlag erschienenen Dokumentation Vergewaltigung eines Genies veröffentlicht.

Näheres aus seinem Leben ist uns nicht bekannt. Bis auf die Tatsache, daß er ein zwar alles andere als ein pflegeleichter, aber nicht zuletzt deshalb wohl äußerst sympathischer Zeitgenosse war.






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