Strip-Poker der Götter

Spiel und Erotik

Wie alle Universalia der Kulturgeschichte provoziert das Phänomen Spiel zu kontroverser Theoriendiskussion. Unabhängig davon, welcher theoretischen Richtung man zuneigt und welche der zahllosen Definitionen man bevorzugt, gilt es festzuhalten: Spiele gibt es in allen menschlichen Gesellschaften, und Spiele muß man emstnehmen. Als Quelle der kulturhistorischen Forschung lassen sie Rückschlüsse zu auf Weltbild, Gesellschaftsordnung und viele andere Bereiche einer untersuchten Gesellschaft.

Ohne weiter auf ihre Systematik und Typologie einzugehen, möge ein Aspekt aus dem gesamten Komplex herausgegriffen und in aller Kürze exemplarisch dargestellt werden: der Zusammenhang von Spiel und Religion. Wir wählen aus der verruchten Schublade der Spielkiste das Glücksspiel, gepaart mit der erotischen Komponente der Nacktheit. Die naheliegende Herleitung des Glücksspiels aus der Divination mag hier nur kurz referiert werden, um den sakralen Kontext zu umreißen, Alleingültigkeitsanspruch besteht nicht, zumal da neben dem Zufallsprinzip beim Glücksspiel ja auch spezifische Spielereigenschaften der Teilnehmer sich auswirken wie Geschicklichkeit, Geduld, Risikobereitschaft et cetera. Grundlegend beim Spiel mit dem Zufall, dem von den numinosen Kräften gesteuerten Unabwägbaren, war der Wunsch des Menschen, Kenntnis über die Zukunft zu erlangen, über das Schicksal, den Willen der Götter. Das zu diesem Behufe verwendete kulturelle Inventar hat sich zum Teil, wie Würfel, Lose oder Spielkarten, bis heute sowohl in der Mantik als auch im Glücksspiel erhalten. Auch das Prinzip des Roulettes läßt sich so auf Divinationsinstrumente wie Kreiselnüsse in Ozeanien oder Kreiselwürfel in China zurückverfolgen. Glücksspiel ist also eine Art von säkularisierter Divination. Zur Belebung des Spiels brachten die Beteiligten irgendetwas aus ihrem Besitzstand als Einsatz.

Unter religiösen Gesichtspunkten nun war das Spiel mit dem Zufall als Ritus, als regelgenauer Vollzug mythischer Vorgaben eine ernste Angelegenheit. Die ersten Spieler waren die Götter. Die Symbolisierung der kosmischen Weltordnung durch den Spielverlauf, dessen Nachvollzug die kosmische Ordnung garantiert, ist bei vielen Glücksspielen signifikant. Jedes Spiel kreiert einen Mikrokosmos, die Spieler inbegriffen. Sie haften für ihren Einsatz mit ihrem Ansehen, ihrem sozialen Status. Glücksspiel ist eine affair d'honneur. Spielen um den Einsatz der eigenen Freiheit ist die ultimative Form. Ein anderes suggestives Bild für den totalen Einsatz im sakralen Spiel ist das Entkleiden. Es zeigt sich hier, daß Statusverlust mehr bedeutet als nur den Verlust des Gesichtes. Die sakrale Korrelation zwischen Giücksspiel und Entkleiden, der bemerkenswerte kulturhistorische Zählebigkeit zugesprochen werden kann, läßt ein weites Feld von Gründen und Motiven erkennen, das von tiefer Demütigung bis zur Erotik reicht. Demütigung und Leid , wie sie im Verlosen der Kleidung des sakralen Opfers augenscheinlich wird, vergegenwärtigen etwa die einschlägigen Passagen der Passion (Jah. 19:23 – 24; Mk. 15:16 – 20; 24; Mt. 27:28 – 29; 36) «Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los, was jeder bekommen sollte.» Mit der vollständigen Entkleidung stürzt die kosmische Ordnung, die Periode des Chaos' tritt an ihre Stelle.

Auch in der altindischen Mythologie ist die Korrelation evident. Im großen Epos Mahabharata verlieren die Pandava-Brüder im Spiel all ihre Habe, selbst ihre Freiheit und ihre gemeinsame Gattin Draupadi. Höhepunkt der Katastrophe ist der Versuch der Kaurevas, die gewannen, die Heldin vor den Augen der Ehemänner und der gesamten Versammlung zu entkleiden. Da Draupadi eine lnkarnation der Göttin ist, verhindert Krsnas wunderbare Intervention ihre Entkleidung. Ihre Nacktheit würde zur unzeitgemäßen Auflösung des Universums führen, da die Handlung in einer Periodezwischen den Zeitaltern (yugas) angesiedelt ist.

In den klassischen Mythen spielt Siva, der Gott der Spieler, mit Parvati, seiner Gattin. Beim Würfelsspiel der Götter heißen die Würfel nach den vier Zeitaltern (yugas), die alle viertausendmal rollen innerhalb der größeren Zeiteinheit des kalpa. Das Spiel des göttlichen Paares determiniert Kontinuität und Zäsur des Universums. Die Einsätze, um die Siva und Parvati spielen, sind ihre Kleider und Schmuckstücke. Wenn Siva sein Lendentuch verliert, wird er zornig, verläßt nackt das Spiel oder weigert sich, die Spielschuld zu begleichen. Parvati weist darauf hin, daß sie niemals gewinnt, außer durch Betrug. Indes kommt es niemals dazu, daß beide gleichzeitig völlig nackt sind, was ihre Verschmelzung miteinander zur Folge hätte — als Siva und Sakti, als Purusa und Pakrti am Ende aller Zeiten.

Offensichtlich handelt es sich beim Strip-Poker um eine säkulare Variante des erotischen Spiels.

Bertram Turner


Laubacher Feuilleton 13.95, S. 2 f.
 
Mi, 18.03.2009 |  link | (1192) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Goettliches






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