Die Essenzansage

Studie zur vormahlichen Ansage im Kontext einer Kochveranstaltung.


Der letzte Buchstabe im Alphabet des Deutschen verändert das Essen zur Essenz. Zu etwas Wesentlichem. Mit nur geringem klanglichem Unterschied ist eine Essensansage – man hebe die zweite Silbe – eine Essenzansage.

Hören wir genauer hin. Was ist eine Essenz? In der Kochkunst spricht man von Fonds, ob Bratenfond, Gemüsefond, Geflügel- oder Fischfond, die Soße ist die Essenz. Sie bestimmt das So-Sein, wobei Soße immer eine doppelt plurale Bestimmung meint: Etwas ist so, aber besteht aus mehreren Sos, und doppelt plural bilden wir von den Sos ein weiteres Mal die Mehrzahl und erhalten die Soße.

Eine Soße ist niemals ein einfaches, sondern immer ein mehr als zweifaches Geschmackserlebnis.

Wenden wir uns der dem Kochen verwandten Alchimie zu, so spricht diese von den Grundelementen, den Essenzen, aus denen alles Sein besteht. Ein Braten gleichwie eine Suppe ist ein Aspekt, ein spezifisch kreierter Anteil des zur Wirklichkeit gewordenen Möglichen.

So wie also ein Hund sowohl ein Pudel als auch ein Mops sein könnte, benennen wir bei einer Essenzansage nicht etwas Bestimmtes, gar etwas immer Gleiches und Sicheres, dessen So-Sein unüberprüft verschlungen werden kann. Statt dessen haben wir es mit unterschiedlichen So-ßen zu tun, also einem unterschiedlich möglichen Wesentlichen.

Die Philosophie stellt die Frage: «Was ist das?» Es ist die Frage nach dem Substantiellen. Sie erinnern sich vielleicht an ihre Kinderzeit und die Begegnung mit Spinat. Oder sie sind gereist und neuen Speisen begegnet. Dann kommt es zur sogenannten Frage der Speisekarte: «Was ist das?»

Die Antwort ist einfach. Entweder ich esse das oder es bleibt fremd. Was das isst, bin ich, und esse ich es nicht, erfährt die Essenz-Frage keine wirkliche, keine mögliche Antwort. Wohl können Sie intellektuell-sprachlich erfahren, was das isst, indem es Ihnen gesagt wird, aber damit ist die substantielle «Was ist das-Frage» noch lange nicht gegessen.

Das unterscheidet die Essenzansage von der Essenzerfahrung. Guten Appetit.


Friedhelm Kändler


Anm.: Wie bekannt, wurde ‹ißt› zum dümmlichen ‹isst› rechtschreibreformt; eine Erwähnung der substantiellen Liaison der Buchstaben ‹s› und ‹z› hin zum ‹ß› sowie weiterer Zusammenhänge soll hier unberücksichtigt bleiben. Nur soviel: Die Tendenz der Enthistorizierung von Sprache darf sich nicht wundern, wenn sich auch der Begriff ‹Verständnis› in seiner Essenz mehr und mehr zu einem mantelumhüllten Wesen halb- oder nichtwissender Vernutung wandelt.

 
Fr, 25.10.2013 |  link | (3473) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gastrosophisches



In den Köpfen von Krauts flatulenzierender Kohl

«Louis de Funès furzt mit leckerer Suppe einen Alien herbei. Sci-Fi-Klamauk. Bauer Claude und Kumpel Francis genießen ihren Lebensabend bei Wein und pikanter Kohlsuppe. Von den daraus resultierenden Blähungen angelockt, verirrt sich eines Abends ein netter Alien auf Claudes Gehöft … Deftiges Vergnügen, mit dem de Funès die französische Lebensart verkohlt.» (Spielfilmmagazin Cinema)

Auf daß es dem deutschen Geschmack entspräche — daß Geschmack nur jemand haben kann, der zur Unterscheidung fähig ist, mag Grundlage dieser Präjudikation sein, mit der die Filmanpasser der deutschen Synchron- und Werbe = PR-Studios solche Filme auf das Niveau des Deutschen gleich Schmalhans-Küchenmeisters hinunterdrücken. Dabei geht völlig unter, daß Louis de Funès mit fast allen seinen Filmen, wenn auch mit vordergründig wirkenden, derb klamaukigen Mitteln, aber eben auch mit teilweise fein ziselierten, zwischen den Zeilen stehenden Dialogen Kritik an der französischen Gesellschaft geübt hat. Richtig ist wohl, daß dies vor allem von den rechtsrheinischen Deutschen selten wahrgenommen wird, da sie in der Regel über die linksrheinischen gesellschaftlichen Gefüge nicht informiert sind und deshalb lediglich den derben Kohlgeruch als gallisch minderwertig und somit barbarisch in der Nase haben. Und die Vorverurteilung wird durch die Eindeutschung der Witze noch verstärkt.

Daniel Buchta


La soupe aux choux

Von Martin Knepper

Ohne jeden Zweifel ist Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe das bedeutendste filmische Kunstwerk aller Zeiten. Es ist kaum ein Zufall, daß drei Jahre zuvor Pier Paolo Pasolini sein tragisches Ende finden mußte, um in diesem mit Elementen der Groteske ausgestatteten Drama des Meisterregisseurs Jean Girault die Vollendung seiner zentralen Werkkomplexe zu erfahren. Von parabelhafter Strenge wie Teorema, neorealistisch in der Schilderung der einfachen Menschen wie Accattone, mythisch überhöht wie die Medea, den Zusammenhängen von Regression und Aufklärung, Faschismus und Verdauung nachspürend wie Salò, zugleich jedoch sinnenfroh die Burlesken La Ricotta und Große Vögel, kleine Vögel hypostasierend, ist dieses Spätwerk von Louis de Funès die Erfüllung aller Versprechen, die die Lumière-Maschine Film seit den Tagen von Melies und Griffith einzulösen sich bemüht. Die Handlung ist vordergründig simpel: Claude, ein Bauer an der Schwelle zum Greisentum, lebt mit seinem körperbehinderten Faktotum in ländlicher Zurückgezogenheit, Tröstung in seinem ausgepowerten Witwerdasein nur im Alkohol und dem regelmäßigen Verzehr von Kohlsuppe findend. Die hierdurch erzeugten heftigen Flatulenzen rufen einen Außerirdischen herbei, der im Verlauf des Filmes mehrfach als Deus ex machina fungiert und Claude unter anderem in einer Travestie des Orpheus–Mythos seine um fünfzig Jahre verjüngte tote Gattin wiedergibt, ihn zum Millionär macht und zuguterletzt mitsamt seines Grundstücks und des treuen Gefährten auf seinen Heimatplaneten Oxo transportiert. Auf dem Weg zu diesem Finale, das zugleich die Quintessenz aller Kontaktaufnahmephantasien der Spielberg/Lucas–Filmschule darstellt, gelingen Girault und de Funès Szenen von unglaublicher Prägnanz und geistiger Schärfe. Wohl selten ist das Postulat der kritischen Theorie, wonach Aufklärung, die sich in den Dienst der Zementierung von Herrschaft stellt, ein Phänomen des Massenbetruges ist, überzeugender dargestellt worden, als in jener Szene, in der die vordergründig intakte Lebensumgebung von Louis und Francis umstellt von einem gigantischen Zaun ist, auf dessen anderer Seite die restliche Dorfbevölkerung die alten Männer, die sich dem Bau eines Freizeitparks widersetzen, der von einem skrupellosen neoliberalen Bürgermeister unter der menschenverachtenden Prämisse der Beseitigung von Arbeitslosigkeit initiiert wurde, mit Erdnüssen beworfen werden. Die Travestie des Orpheus–Mythos ist von unerreichter Meisterschaft: Sind es letztlich Claudes Darmwinde, die ihm seine verstorbene Gattin zurückbringen, so läßt er sie doch leichten Herzens fahren (sic), nachdem er sie zuvor als Friedhofsdirne und Puderdose apostrophiert hat. Auch schauspielerisch vermag der Film zu überzeugen: In einer seltenen Subtilität beim Einsatz seiner mimischen Mittel atmet de Funès Darstellung des Bauern Claude etwas vom verdämmernden Glanz Heinrich Schütz‘ Schwanengesang, gepaart mit der Intensität eines späten Bernhard Minetti. Ein Film, der einem Atemzug mit Godards Maskulin/Feminin genannt werden müßte, würde hierdurch nicht die singuläre Qualität von Giraults Meisterwerk in unangemessener Weise relativiert.


Angemerkt sei von redaktioneller Seite aus noch, daß Choux nicht mit (Weiß-)Kohl (= Choucroute = Sauerkraut) übersetzt werden sollte, sondern daß der eher dem Wirsing gleichkommt, einem ungleich edleren Gemüse.
 
Fr, 11.01.2013 |  link | (5768) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Theatralisches









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Letzte Aktualisierung: 05.12.2013, 18:31



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