Bunt schillernde Beulenpest Hundertwasser und die Folgen «Im Prinzip ist eine Autobahnraststätte für mich ein Haus wie jedes andere. Man soll sich darin wohlfühlen.» Also sprach Arik Brauer, der demnächst das Autobahn-Rasthaus Lindach-Süd künstlerisch ausgestalten wird. Und weil ein solches Rasthaus auch «dämpfend auf Aggressionen wirken muß«, vermeidet der Meister harte Kanten und Ecken und gibt fließenden Linien den Vorzug. Außerdem will der Künstler auf der Eingangskuppel eine hohe Frauenstatue plazieren; an den Seiten des Gebäudes werden kleinere Skulpturen angebracht; farblich wird das Bauwerk rotbraun und orange schillern; außerdem soll die Fassade ein Keramikmosaik zieren. Hundertwasser und die Folgen: Das nimmt langsam, aber sicher bedenkliche Ausmaße an. Hundertwassers Sozialtraumschloß kann man — bei allem, was sich dagegen vorbringen läßt — immerhin attestieren, daß es eine Art Pamphlet wider die herrschenden Normen und Regeln in der Architektur darstellt. Das läßt sich von den darauf folgenden Bauten Hundertwassers hingegen nicht mehr sagen. Es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß Pamphlete nicht beliebig oft wiederholbar sind. Versucht man es trotzdem, büßen sie ihre Wirksamkeit und vor allem ihre Glaubwürdigkeit ein. In der Tat sind die ‹künstlerischen Architekturgestaltungen› des Eiferers Hundertwasser ja ein höchst lukratives Geschäft für den Meister. Und das dürfte auch der Schlüssel zu jener bunt schillernden Beulenpest sein, die scheinbar unaufhaltsam grassiert. Wo einer verdient, da riechen andere Lunte. Und von einer Gastronomiekette der untersten Qualitätsstufe ist nicht zu erwarten, daß sie auf eine solche Möglichkeit der Eigenwerbung freiwillig verzichtet. So hat also nach Hundertwasser auch Gottfried Kumpf eine solche Raststätte ‹künstlerisch gestaltet›; und Karl Hodina und Arik Brauer folgen. Es scheint müßig, jetzt noch Schuldzuweisungen zu formulieren. Andererseits: Ganz freisprechen kann man den Wiener Bürgermeister nicht. Zu eindeutig geht es auf sein Schuldenkonto, daß aus dem einen Wohnhaus in der Löwengasse eine — hinsichtlich der Originalität des Konzepts immer schwächere — Wohnbau-Miniserie geworden ist. Und das hat natürlich auch andere auf schlechte Gedanken gebracht. Was so besonders problematisch dabei ist: Gegen diese Bauwerke läßt sich nicht wirklich seriös argumentieren. Es ist so, als würde ein profilierter Musikkritiker versuchen, gegen den Musikantenstadl mit einer ernsthaften, wohlüberlegten Beweisführung anzutreten. Und doch: Man wird einfach das Gefühl nicht los, daß dieser gebaute Schund besonders schwerwiegende Folgen zeitigt. Das hat mit der Dauer und mit der Präsenz von Bauten zu tun. Mit ihrer Öffentlichkeit. Und auch damit, daß es nicht bloß schlechte Architekten sind, die hier zum Zug kommen, sondern gar keine Architekten, die aber auftreten, als könnten sie das Bauen besser. Angesichts dieser künstlerischen Malaise geht einem die Bissigkeit, gehen einem die bösen Witze aus. Was sich einstellt, ist nackte Angst, sind schieres Entsetzen und ohnmächtige Wut. Und dieses Raststättenkonzept hat natürlich auch seine ganz besonders fiesen Seiten. Das ist nicht einfach ein Wohnbau in der Löwengasse. Da kommen Jahr für Jahr abertausende Menschen vorbei. Als Hundertwasser seine ersten Wiener Bauten realisierte, sagte einer der profiliertesten Architekten dieses Landes sinngemäß: Soll er das doch ruhig machen; jede ‹Besonderheit›, die er durchbringt, schafft mir die Möglichkeit, ebenfalls ‹Besonderes› durchzubringen, das vorher nicht denkbar gewesen wäre. Hundertwasser und die Folgen? Hundertwasser und kein Ende! Nein, wir haben keine Geschmacksdiktatur. Aber langsam wäre es doch an der Zeit, daß sich die verantwortlichen Behörden ihrer legalen, vielfach erprobten Architekturverhinderungsmittel besinnen, damit unsere Autobahn nicht endgültig zur Grottenbahn verkommt. Liesbeth Waechter-Böhm Laubacher Feuilleton 9.1994, S. 1 Nachdruck aus: Die Presse, Wien, Spectrum, 31. Dezember 1993, XI; mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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