Kaija Saariaho Versuch eines Portraits. Von Anne Grange Kaija Saariahoo. Im Konzertsaal. Hinter mir eine junge Frau: «Das ist doch ein Stück von Kaija Saariaho ... Aber woher stammt dieser Name? Das ist japanisch, nicht wahr?» Lächelnd erinnere ich mich an meine Reaktion vor mehr als zehn Jahren, als ich zum ersten Mal diesen seltsamen Namen in einem wissenschaftlichen Artikel über den Klang in der Musik las. Kaija Saariahoo. Ich lese den Namen mehrmals, lasse ihn auf der Zunge zergehen, spreche ihn laut aus, ganz langsam: A-I-A, A-A-I-A-O: Vokale in Palindromform, Wiederholung, Motiv und Variation. Nun füge ich die Explosion des Initials K hinzu. Dann eine Zäsur. Es folgt der lange Zischlaut des zweiten Initials, ein rollendes R und ein gehauchtes H, das den letzten Vokal O wirft. Verwunderung. Darin liegt Musik, genau darin ... Während meiner ersten Begegnungen mit Kaija Saariaho war ich anfänglich ein wenig verstört aufgrund der Eigenart und augenscheinlichen Zurückhaltung ihrer Person, Ausprägungen ihrer natürlichen Integrität, wie ich beim Zusammentreffen mit ihr sowie ihrer Musik bald begreifen sollte. Angesichts dieses klaren und aufmerksamen Blicks, der von spitz zulaufenden Augenbrauen umrahmt wird, angesichts dieser hohen, in eine schmale feingliedrige Hand gestützten Stirn, war mir, als fände ich mich vor einem Spiegel wieder, der ein klares und ungeschminktes Bild zurückwirft. Kaija ist präsent, hört zu. Damit ein wahrer Dialog beginnen kann, muß es mir gelingen — so habe ich das Gefühl —, ganz im Hier und Jetzt anwesend zu sein, genau wie sie es ist. Ihre Präsenz schafft zwischen ihr und ihrem Gesprächspartner eine Atmosphäre, die auf merkwürdige Weise die Intimität der Unterhaltung noch verstärkt. Sie fordert keine Distanz ein, vielmehr einen Freiraum, wie er diesen weiten Himmeln im hohen Norden eigen ist Das Zwiegespräch kann nun intensiv werden, immer fragil, manchmal leichtfüßig schwebend, aber niemals flüchtig. Ihre Sprache fließt dahin, langsam, zögerlich in dem ihr fremden Französisch, das sie mit seltsamen Lauten färbt. Jeden Moment kann es passieren, daß sie sich selbst unterbricht und ihr Blick sich entzieht, als kehre er ins Innere zurück. Aber ebenso plötzlich wird das unbewegte Gesicht ganz spontan und — wie von sich selbst überrascht — von einem breiten Lächeln erhellt, und Kaija erzählt mir eine Geschichte, eine Anekdote aus ihrem Leben, die sich aufs erste nicht unmittelbar auf das Thema des Gesprächs bezieht. Ihre Musik? Sie spricht davon in ganz einfachen Begriffen. Niemals weitschweifig, zeigt sich Kaija auf der Suche nach dem richtigen Wort oft frustriert von den Grenzen der Erläuterbarkeit oder der Analyse des Werks angesichts der Musik selbst — nun, jedem sein Metier. Die theoretischen und technischen Grundlagen ihrer Arbeit, so komplex sie auch sein mögen, interessieren sie nicht um ihrer selbst willen. Sie sind lediglich als formale Werkzeuge von Belang, die dazu dienen, die imaginierte Musik zu realisieren. Ausgehend von dieser Kunstauffassung, erklärt sich Kaija lieber auf pragmatische Art und Weise, sich auf das beschränkend, was mit der Entstehung, dem Gestus, der Ausführung der Komposition zu tun hat. Es geht ihr vor allem darum, über Erfahrung zu sprechen, über das, was ihr Leben ausmacht, ihre Gegenwart, ihre Erinnerung, ihre Ängste und ihre Hoffnungen. Über das, was sich vielleicht stärker als je zuvor mit L'amour de loin erweist, einem Stück, das sie dazu bringt, ihre Musik mit dem Universum des Theaters und der Dramaturgie zu konfrontieren, wobei Kaija übrigens diese erste Oper als ein Selbstportrait betrachtet. Denn sie nimmt nichts anderes als sich selbst und ihr Verhältnis zur Welt, die sie umgibt, als Bezugspunkt. Ihre Musik ist ihr Leben und ihr Leben ihre Musik, das eine das andere schaffend, beides verbunden durch ein sozusagen organisches Band, Werk für Werk, Schritt für Schritt gemeinsam voranschreitend. Zudem will und kann Kaija nur das komponieren, was sie sich vorzustellen, was sie innerlich zu hören vermag. Bei ihr gibt es nichts Absonderliches, obwohl die Regeln ihrer Art zu komponieren und die formalen Strukturen, die sie entwickelt, bisweilen von einem hohen Grad an Abstraktion zeugen: Alles ist vor allem hoch empfindsam und somit zugänglich für den, der zuhört. Das Licht geht an. Das Konzert ist zu Ende, und Kaija gesellt sich auf der Bühne zu Dawn Upshaw, die soeben Lonh (Fern) für Stimme und elektronischen Klang interpretiert hat. Ihre Art, sich zu bewegen, erscheint fast ungelenk, als wisse sie nicht, wohin mit diesem großen Körper, der kräftig und zerbrechlich zugleich wirkt. Die Gestalt verbeugt sich unter dem herzlichen Applaus des Publikums und erinnert dabei an einen riesigen Zugvogel oder einen Baum, den man aus seiner natürlichen Umgebung verpflanzt hat. Aber habe ich überhaupt je die Gewißheit gehabt, Kaija an ihrem angestammten Platz zu sehen? Wo ist der überhaupt? Die Erfahrung des Exils macht sie natürlich jeden Tag aufs neue; und sie spricht davon — wie auch von allem anderen — ohne Umschweife. Oft kommt sie auf die Schwierigkeiten zu sprechen, die Verhaltensmuster unserer südeuropäischen Gefilde zu begreifen, wo zu leben sie sich ausgesucht hat und wo die Leute nicht in der Lage sind, ganz einfach ‹lch liebe Dich› zu sagen. Ihren Platz vermag ich nur an zwei Orten zu sehen. Wenn der Körper in den Hintergrund tritt und sich alles auf den Bereich des Schreibens konzentriert. Oder wenn ihr Körper mit dem Körper des Kindes zusammentrifft, das die Szene betritt und plötzlich die gesamte Aufmerksamkeit der Mutter verlangt, die sich entschuldigt und mich vergißt. Kaijas offensichtliche Lakonik scheint mir eine verborgene kostbare Energie zurückzuhalten, die primär in ihr Werk mündet, nämlich in ihre Musik und ihre Familie. Leuchtkraft, Integrität, Distanz, Lakonik, Einfachheit, Raum, Energie ... Aber könnte ich nicht alles, was ich über Kaija Saariaho in Umrissen wiedergegeben habe, auch ebensogut über ihre Musik sagen? Anne Grange (Co-auteur du documentaire qui relate la genèse de l’opéra de Kaija Saariaho « L’Amour de loin », créé à Salzbourg en 2000, l’accompagne lors de cette présentation où l’enfance, la Finlande, les paysages et l’écriture racontent l’œuvre subtile de la compositrice.) Aus dem Französischen Gerda Gensberger PRISMA, a CD-ROM on Kaija Saariaho and her music, is a new kind of multimedia product, educational as well as entertaining. Focusing on leading modern composer, it introduces music lovers and newcomers alike to the world of contemporary music. However, no prior knowledge of music is necessary. An original concept, PRISMA is one of the first CD-ROMs that is dedicated to a contemporary composer and explores musical creativity. Instrumental writing, its interpretation, and the use of computers for compositions are entry points which allow insights into today's music while discovering the work of Kaija Saariaho. PRISMA, l'univers musical de Kaija Saariaho Jean-Baptiste Barrière, Raija Malka, Anne Grange, Pierre-Jean Bouyer, Camilla Hoitenga, Anssi Karttunen, Dawn Upshaw, Ivanka Stoianova Prisma SBN 951-0-24538-0 Production Finnish Music Information Centre (Helsinki), IRCAM-Centre Georges Pompidou (Paris), Chester Music Ltd (Londres)
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weiterblättern ist das anwachsende Archiv der édition csc, mittlerweile in aktueller Fortsetzung. Partenaire, Partner. Letzte Aktualisierung: 05.12.2013, 18:31
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