Seid umschlungen, ihr Massen Zum hundertsten Todestage Beethovens 1927 Er war kein Komponist des Proletariats, und doch gehört seine Musik uns, der aufsteigenden Arbeiterklasse, nicht aber der Bourgeoisie. Beethoven lebte zu einer Zeit, wo erst die bürgerliche Revolution, nicht die proletarische, zu vollbringen war. Aber den gewaltigen Schwung der großen Französischen Revolution, das Dröhnen «Ça ira» des Revolutionsliedes der Pariser Sansculotten, den siegreichen Vormarsch der französischen Revolutionsarmeen gegen die vereinigten Mächte der europäisch-monarchischen Reaktion — den Schwung der jungen, starken, zuversichtlichen Revolution, den hat dieser Ludwig van Beethoven gekannt, verstanden, begrüßt und in Töne eingefangen. Beethoven stammt aus dem Westen Deutschlands, aus Bonn, vom Rhein. Fern von dem öden rohen Druck des verfaulenden preußischen Feudalismus, fern ab von dem mittelalterlichen kleinstaatlichen Stumpfsinn Mitteldeutschlands, nicht unter dem Joch der habsburgischen korrupten und erzreaktionären Beamten, lagen die Rheinlande unmittelbar an den Grenzen jenes Frankreichs, das damals das Herz Europas, das Herz der zivilisierten Völker wurde: das Frankreich der großen Revolution. Beethoven wurde im Jahre 1770 geboren. Sein Jünglingsalter fiel in die Zeit der Revolutionskämpfe. Welche Wirkung diese auf die Menschen ausübten, die eine ganze Generation später geboren wurden, aber doch in jenen von der Revolution befruchteten Rheinlanden ihr Nachzittern spürten, das sieht man so gut aus des jungen Heines Buch Le Grand. Hier tönt noch durch die laute Verherrlichung Napoleons die Revolutionshymne, die Marseillaise. Für den jungen Heine war Napoleon der General der Revolution. Für den reifen, im besten Mannesalter stehenden Beethoven war der Kaiser Napoleon der Verräter der Revolution. Es ist nicht nur von anekdotischem Wert, es ist viel mehr von tiefer Bedeutung für den Menschen und den Künstler Beethoven, daß er wütend die Widmung seiner Dritten Sinfonie zerriß, als er erfuhr, daß der Konsul Napoleon sich zum Kaiser gemacht hatte. Sie war gewidmet dem Konsul Bonaparte, dem General der siegreichen Revolution, dem siegreichen Feind des reaktionären Österreich. Sie hieß: die Heldensinfonie Eroica, und sie behielt diesen Namen auch, nachdem der Verfasser den Helden Napoleon ausgestrichen hatte. Ein Held war ihm Napoleon nicht als Feldherr schlechtweg, sondern als Feldherr der Revolution, als Führer des Krieges gegen jenes selbe Österreich, in dessen Hauptstadt Beethoven lebte. So war dieser Mann. Wenn er auch mit den kunstsinnigen Adeligen und Würdenträgern und der habsburgischen Monarchie äußerlich auf gutem Fuß zu leben schien, so scheute er sich doch nicht im geringsten, mitten im Kriege dem Todfeind dieser Monarchie sein neuestes Werk zu widmen, und er zog ebenso entschlossen die Widmung zurück, als sein Held ein Held der neuen Monarchie, ein Held auf eigene Faust, ein Held der Konterrevolution wurde. Die Eroica aber blieb das Werk eines Mannes, der immer wieder den Kampf und Sieg über Mächte der Finsternis besang. So sah der Mann aus, von dem die Spießbürger behaupten, daß sie ihn lieben. Unähnlich in jedem Zug einem anderen angeblichen Liebling der Spießbürger, dem Herrn Geheimrat Goethe, der in albernen Possen die große Revolution zu begreifen suchte, der dem Kaiser devot seine untertänigste Ergebenheit zu Füßen legte, der ein Fürstenknecht war und nie begriff, daß jene armseligen Despoten «von Gottes Gnaden», vor denen er tiefe Bücklinge machte, nicht wert waren, einem Manne von Geist auch nur die Schuhe zu putzen. Es ist wieder nicht nur von anekdotischem Wert zu wissen, daß Beethoven einst in Karlsbad mit Goethe promenierte und diesen, der vor irgendwelchen Fürstlichkeiten auf der Promenade lakaienhaft dienerte, zurechtwies mit der Bemerkung, daß nicht jene Tröpfe «Fürsten» seien, sondern die, welche etwas geleistet haben. Hut ab, ein ganzer Mann! So sah dieser Mann aus. Trotzig und unabhängig, verschlossen und stark, und doch nicht in sich eingekapselt und auf sich gestellt. Des reifen, noch jungen Beethovens Dritte Sinfonie verherrlicht den Helden der Revolution. Das Motto seiner letzten Sinfonie aber, der Neunten, des großen Werkes des Mannes an der Schwelle des Greisenalters, des tauben, äußerlich scheinbar ganz auf sich allein angewiesenen Komponisten ist: «Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt.» Die Neunte Sinfonie endet mit dem Schillerschen Hymnus an die Freude, und Freude mußte man im Zeitalter der Reaktion sagen, wenn man Freiheit meinte. Stark, siegesgewiß, jubelnd, zuversichtlich klingt dieses größte Werk Beethovens sinfonisch aus. Wir können mit vollem Recht sagen, daß seine Musik auch heute, hundert Jahre nach seinem Tode, dem Proletariat nahegeht, ihm Energien zuführen kann. Seine Musik ist männlich, auch dort, wo sie innig und weich ist, niemals zerfließend, formlos, dekadent. Fest gerundet, klar gegliedert sind seine musikalischen Gedanken. Oft, sehr oft verblüfft die große Einfachheit dieser Gedanken. Oft sind sie einem Volkslied entlehnt oder nähern sich in Rhythmus, Melodie und Form einem Volkslied. Und wo seine Form kompliziert, wo sie kunstreich wird, wo sich Eigentümlichkeiten zeigen, die manche romantisch nennen möchten, gerade da behält seine Musik trotz allem feste, zackige Konturen und drückt gerade dann zumeist (wie beispielsweise in der großen Fuge einer seiner letzten Klaviersonaten) starken, vorwärtsweisenden Willen aus. Aus der großen Anzahl seiner Werke heben sich drei Gruppen heraus. Er schrieb Werke für das Klavier allein, Kammermusikwerke, insbesondere Streichquartette, und Orchesterwerke. Außerdem schrieb er eine Oper Fidelio. Diese Oper ist wohl für die Zeit ihrer Entstehung wie auch heute noch ein ungewöhnliches Werk. Die Kunstgattung der Oper war von je auf höfischen Prunk und Schaugepränge gerichtet, oder aber sie behandelte irgendwelche belanglosen Liebesintrigen. Man hat oft den Fidelio das Hohelied der Gattenliebe genannt. Mit einer solchen Bezeichnung trifft man jedoch nur eine Seite des Inhalts. Die andere zeigt uns den Kampf gegen Tyrannei und Despotenwillkür, und das ist der eigentliche Inhalt dieser einzigen Oper Beethovens. Von seinen [Kammer-]Musikwerken ist den Arbeitern wenig bekannt, da die Kammermusik unrichtigerweise als eine «aristokratische» Kunstgattung betrachtet wird. Wenn erst die Kammermusikvereinigungen, und zwar die besten, sich der Aufgabe unterzogen haben werden, die Streichquartette Beethovens den Arbeitern vorzuspielen, wird sich sehr bald herausstellen, daß diese von den Arbeitern verstanden werden. Das gleiche kann man von seinen zahlreichen Klavierwerken sagen, die nur ohne Virtuosenmätzchen, aber mit vollkommener Beherrschung der Technik vorgetragen zu werden brauchen, um auf jeden musikalischen Hörer einen tiefen Eindruck zu machen. Von seinen Orchesterwerken wird von den Arbeitern das größte, die Neunte Sinfonie, vielleicht am ehesten verständlich empfunden werden. Hier tritt nach drei großen rein orchestralen Teilen im Schlußsatz ein großer Chor hinzu, gleichsam als ob der Komponist seine Empfindungen und Gedanken hätte unter allen Umständen in greifbare Worte kleiden wollen. Und wenn dieser gewaltige Hymnus an die Freude aufbraust, sich steigert und jubelnd ausklingt, dann kann und muß jeder klassenbewußte Arbeiter, mit Kraft und Zuversicht erfüllt, sich sagen können, diese Töne, die schon jetzt uns, den noch kämpfenden Arbeitern, Energien zuführen, werden erst recht uns gehören, wenn wir über die jetzt herrschende Klasse gesiegt haben werden und den Millionen Massen der bis dahin Unterdrückten mit dem Triumphgesang Beethovens zujauchzen werden: «Seid umschlungen, Millionen!» Hanns Eisler Laubacher Feuilleton 1.1992, S. 5 Aus: Materialien zu einer Dialektik der Musik Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1976, S. 33 - 36
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