Erinnerung und Abschied

«Das Problem des Kunstbetriebs besteht darin, das richtige Verhältnis zu finden zwischen dem Ohrabschneider und dem Halsabschneider.»

Ach, was soll ich denn dazu noch sagen, sagte er, oder so ähnlich jedenfalls, und dann sagte er dann doch sehr viel. Das war etwa Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, als der (vergleichsweise) junge Journalist sich ganz aufgeregt über den Kunst-Kommerz aufgeregt und ihn deshalb angerufen hatte: weil eben aber auch wirklich alles hinführte zu diesem Kunst-Kassandristen.

Ach Junge, schloß er im vergangenen Jahr die dann neuerlichen Aufregungen über diesen ständig um uns herumtrabenden Holzgaul aus Troia, in dem so viele Krieger wider die Kunst hocken und warten, bis sie sie endlich totmachen können, lies doch einfach. Lies! Das habe ich denn auch getan, damals und heute: Kunst, Neukunst, Kunstmarktkunst, zum Beispiel.

Er hatte gerne das (vor)letzte Wort. Also haben wir ihm letzteres gegeben (auf Seite 72). Dabei ist dies eines, das dort stehen müßte, wo er immer stand und dachte und ging (auch wenn das nicht mehr so richtig lief in den letzten Jahren): weit vorne. Aber Avant-Garde ist nunmal ein Begriff, den er eher dem Militärischen und damit Unaussprechlichen zuordnete, und wenn er doch von ihm ausgesprochen wurde, dann eher verhohnepipelnd. Und da er sich inmitten von Kurzschrift so wohlgefühlt (Kurzschrift 2/1999) hat wie seinerzeit im Laubacher Feuilleton, haben wir ihm eben den Platz eingeräumt, an dem er sich befand und der ihm auch und mehr noch nach seinem Tod am 9. Februar gebührt: mittendrin (und deshalb die Feder führend). ‹Der Makler und der Bohémien› heißt sein Stück aus den 70er Jahren, bei dem seinerzeit nicht unbedingt alle applaudierten (und dessen ‹Wiederaufführung› aus — den offensichtlich immer — aktuellen Gründen in Kurzschrift wir Mitte vergangenen Jahres vereinbart hatten).

Mit dieser kleinen Verbeugung soll aber auch auf einen weiteren Aspekt hingewiesen werden: Da planen hauptamtliche Mitarbeiter eines (west-)deutschen Kunstvereins eine Ausstellung, die unter anderem das Informel zum Thema hat. Doch sie kennen ihn nicht. Sie kennen ihn nicht als Maler, und sie kennen ihn nicht als deren vehementesten Kritiker. Auch die Situationistische Internationale soll dabei ins Bild, zur Sprache kommen. Als Anne Maier — die dem Vorstand dieses Kunstvereins angehört — darauf verweist, daß man bei diesen Themata wohl kaum um ihn herumkomme, fehlt selbst dem künstlerischen Leiter letztere, wußte er, der Direktor eines Kunstvereins, doch nicht, daß Hans Platschek der deutsche spiritus rector dieser geistigen Rolle vorwärts war: eines der letzten Streitrösser der neueren Kunstgeschichte. Und wem von den Zeitgenossen mit der, um die gekonnt flapsige Bemerkung von Anne Maier heranzuziehen, «leicht eingeschränkten Halbwertzeit» denn dafür das Vokabular fehlte, dem half der 1923 geborene Meister der Kunst-Ketzerei in der ihm eigenen Sprachvirtuosität persönlich auf die Fährte der Erinnerung. Über die Dummheit in der Malerei (1984) war einer dieser die platscheksche Diktion so kennzeichnenden Titel, die eigentlich zur Pflichtlektüre von Absolventen kunsthistorischer Fakultäten gehören sollte.

Hans Platschek war immer auch das, was ohne Unterlaß (und in einfältiger Weise) dem Kunstkritiker vorgeworfen wird, es nicht zu sein: Künstler. Und auch mit eben dieser, seiner Malerei (Biennale Venedig 1958 und documenta II 1959) war Platschek heftig diskutiert, es ließe sich auch behaupten: umstritten. Denn lange bevor die Alles-ist-machbar-Generation Francis Picabias Diktum vom runden Kopf und den sich darin bevorzugt richtungsändernden Gedanken (mit dem Wissen von «leicht eingeschränkter Halbwertzeit») adoptierte, malte Platschek diese Wechselbewegung. Eben noch Mitbegründer des deutschen Informel, besann er sich der Figuration, um dem Öl dann, als die Kunstbeschreibung meinte, in ihrem Kopf endlich eine Richtung für ihn gefunden zu haben, nämlich die der Orientierungslosigkeit, auch schon wieder eine andere Fließgeschwindigkeit zu geben.

Hans Platschek hatte zwar oft die Schnauze voll. Aber der Schaum trat ihm nie vor den Mund, diese (Tob-)Sucht war nicht die seine. Es war durch die Zeilen gefilterte Klarheit, und die sollte noch in ein gemeinsames Buchprojekt fließen — mit dem Verlag Christina Schellhase. Doch jetzt müssen wir alleine schreiben (was wir im folgenden versucht haben). Also mischen wir die Tränen der Trauer mit der Asche der vielen, vielen Zigaretten, die wir noch auf ihn rauchen, und lassen sie hineinfallen in die Whiskies, die wir noch auf ihn trinken.

dbm

Nicht im Heft: Hans Platschek starb, wie ein Held der Künste im Kino des Lebens sterben muß, mit den Stiefeln voraus wurde er er aus dem Saloon getragen: Nach seinem Whisky nahm er eine letzte Zigarette und schlief darüber ein. Per Schwelbrand ins Nirwana. (jst)

Kurzschrift 3.2000, S. 5f.

 
Fr, 12.03.2010 |  link | (1992) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Letzte Worte






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