In der Geisterbahn Erlebnisse eines indonesischen Hähnchens Der Andrang ist so groß, daß man, zu zehnt in Kisten hockend, stundenlang warten muß, bis der Nervenkitzel beginnt. Alle piepsen erwartungsvoll, ein paar Feiglinge wimmern. Endlich ist es soweit. Kopfüber werden wir eingehängt; das steigert die Spannung. Nach einigen Metern ratternder Fahrt kommt eine Kurve und schon der erste Höhepunkt: ein Wasserbad; pikanterweise nur für den Kopf und durchstromt! Da stockt jedem der Atem. Die Gliederstarre ist noch gar nicht überwunden, da geht's einem bereits ziemlich scharf an den Kragen, aber der Kopf bleibt zum Glück dran. In einigen Mäandern fahren wir weiter, es ist fast ein bißchen langweilig, doch ein heißes Bad bringt dann etwas Abwechslung. Aufregend wird's erst wieder in der dunklen Rubbelmaschine. Ob man will oder nicht — man muß die Federn lassen und kommt völlig nackt wieder heraus. Da ich aber kurz darauf den Kopf verliere, mache ich mir darüber keine Gedanken mehr. Beim Umsteigen auf ein anderes Gefährt bleiben die Füße zurück. Wir brauchen sie wohl auch nicht mehr — für das, was jetzt folgt. Hinter jeder Biegung trifft man auf eine neue, raffinierte und geräuschvolle Überraschung. Es könnte einem fast schlecht werden, würden einem nicht gerade noch rechtzeitig die Eingeweide entfernt. Danach fühlt man sich richtig leicht und unbeschwert — die Fettleber war sicher sowieso nicht gesund. (Im Kreisel wird's jetzt kalt und feucht: So etwa stelle ich mir eine Autowaschanlage vor.) Plötzlich fällt man auf eine Rutsche, wird aber von einer fleißigen Türkin sofort wieder aufgehängt, dieses Mal an einem Arm; es war ja auch Zeit für einen Stellungswechsel. Jetzt scheint der Spaß bald zu enden, denn vor mir purzeln alle in glänzende Edelstahlcontainer. Hoffentlich tut's nicht weh. Nein, ich lande nämlich weich auf einem Berg von Kameraden. Und was gänzlich phänomenal ist: sie haben uns nach Gewicht sortiert. Zuerst mußten die Dürren aussteigen, zuletzt die Übergewichtigen. Die dürfen noch eine kleine Runde auf einem Karusell drehen, wobei ich nicht weiß, was sie dabei erleben dürfen. Die Anorektischen kommen in einen großen Plastikkübel. Wir werden von den fleißigen Türkinnen sauber verpackt und in die Kühlung geschoben. Das ist sehr ungemütlich, da wir «deutschen Hähnchen» doch eigentlich aus Indonesien stammen und sogar die üblichen mitteleuropäischen Temperaturen schon schlecht vertragen. Trotzdem — ein einmaliges Erlebnis, und das bereits im zarten Alter von sechs Wochen! Aber angeblich soll es uns schon bald wieder sehr warm werden. Elisabeth Krüger ist praktische Tierärztin in München Laubacher Feuilleton 15.1995, S. 15
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