Musikstadt München Zensur durch Tot-Schweigen. Ein exemplarischer Fall. Nachfolgender Leserbrief, den der Münchner Autor, Komponist und Kunsthistoriker Cornelius Hirsch im Dezember 1993 an die Feuilleton-Redaktion der Süddeutschen Zeitung sandte, scheint uns als exemplarisch für die vielfache Ignoranz der Tageszeitungen. Da eine solche Nichtbeachtung unserer Meinung nach eine Variante von Zensur ist, drucken wir diesen Brief von Cornelius Hirsch hier (leicht gekürzt) ab. An die Feuilletonisten der SZ! Schon wieder bin ich durch ihre Zeitung totgeschwiegen worden. Zum dritten Mal ist die Uraufführung eines meiner größeren Stücke nicht erwähnt, geschweige denn besprochen worden, obwohl ein Kritiker anwesend war. Ich könnte nun meinerseits dazu schweigen, mich in Stille ärgern, doch will ich es Sie persönlich wissen lassen, wie schlimm das dauernde Geschnittenwerden durch die Presse meiner Heimatstadt empfinde: Die Anerkennung durch nur eine Person (Josef Anton Riedl) in einer Stadt vom kulturellen Kaliber Münchens sichert das Überleben eines Künstlers nicht. Auch wenn mir Riedl im Rahmen seiner Reihen ‹NEUE MUSIK München› und ‹Klangaktionen› seit nunmehr über vier Jahren immer wieder Gelegenheit gibt, meine neuesten Stücke erstmals zu präsentieren, erfährt die Öffentlichkeit nichts vom Münchner Komponisten Cornelius Hirsch, da seit meiner — wie ich glaube berechtigten — Beschwerde über eine unzulängliche Kritik (u. a. auch meines Stückes ‹Verhältnisse einer Truhe›) in Ihrer Zeitung keines meiner von J. A. Riedl in den genannten Reihen gebrachten Stücke besprochen worden ist. — Nicht weniger als elf Stücke von mir wurden in den letzten paar Jahren in München uraufgeführt — und nur drei einer Besprechung wert gefunden. Daß dies an den Stücken liegt, halte ich für unwahrscheinlich, bedenke ich Artikel über in anderen Städten aufgeführte Werke (Bonn, Kiel, Hof, Köln, Amsterdam, Aix en Provence, Berlin oder Frankfurt am Main) und die positiven Publikumsreaktionen — auch in München. Die Konsequenz: Als Künstler kann ich in München nicht die notwendige Anerkennung der öffentlichen Medien finden. Ihre Haltung mir gegenüber ist geschäftsschädigend. (Ich konnte z. B. in meine Pressemappe keine Berichte wichtiger Uraufführungen neuerer Stücke eingliedern.) Also werde ich in München nur noch Zweitaufführungen plazieren können, was mich als hier geborener, aufgewachsener und ausgebildeter Künstler zwar schmerzt, doch unvermeidbar ist, will ich meine Arbeit öffentlich beachtet sehen. Ein schwacher Trost ist es für mich, daß die Stadt mit Bedeutenderen als mir auch schon borniert und ignorant umgegangen ist, was man im Fall von Mozart, Reger und Orff heute allerdings nicht mehr wissen will. Traurig ist es, nach jahrelanger Erfahrung mit den Münchner Medien feststellen zu müssen, daß ihnen die Vernissage einer Kulturwerkstatt in Hinterdupfing und die Aufführung eines Blockflöten- oder Akkordeonkreises am Biedermann-Gymnasium wichtiger ist als die Besprechnung lebendiger und freier Musikexperimente oder historischer Erstaufführungen durch teilweise international anerkannte Interpreten. Sollte es wirklich stimmen (was man ja nicht gerne glauben will), daß das Feuilleton denjenigen bevorzugt, der am ausdauerndsten Klinken putzt, zu Sekt einlädt oder die Industrie im Rücken hat? Oft erfährt man ja, warum der eine oder andere Name Erwähnung findet und der andere nicht ... Wer nur ein Hundertstel von Celibidaches Gage pro Abend bekommt und dennoch weiter professionell arbeitet, wird von den Medien höchstens mitleidig belächelt. Wer Ungewöhnlicheres und Subtileres als einen lautsprecherverstärkten Bolero am Königsplatz bietet, verdient eben auch weder fünf- bis sechsstellige Summen noch die Wertschätzung einer total eingedummten Kulturbenutzermasse, der nichts besseres mehr einfällt, als in ohnmächtiger Anbetungsgeste vor ihren Königen zu erstarren. Für eine solche Öffentlichkeit werde ich nicht schreiben! Für wen Sie schreiben, haben Sie selbst zu entscheiden. Ihre Entscheidung wird zeigen, ob das Feuilleton der SZ tatsächlich in der Lage ist, über den Horizont eines ‹Rondo Veneziano› hinauszudenken. Ob die SZ-Redaktion sich des konzeptionslosen Fast-Food-Journalismus' entledigen will und kann, den sie sich seit einigen Jahren in Annäherung an die übrigen Münchner Blätter erlauben zu können glaubt? Fatal, daß sie seine Folgen nicht zu ahnen scheint. Laubacher Feuilleton 12.1994, S. 4
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