Zeigen, nicht bewerten

Selbst schon eine Kunstfigur geworden und damit den Gegensatz von Kunst und Leben auf radikale Weise aufhebend, ist Andy Warhol samt seinem Werk geeignet, einen riesigen Rezipientenkreis zu polarisieren. Zeigen, nicht bewerten — so könnte man seine Werkhaltung überschreiben, und dies macht sich auch das vorgelegte Buch zum Prinzip: nicht aus vorgefaßter Warte Belege sammeln, sondern erst einmal in unverkürzter Wahrnehmung die Entwicklungen Warhols, biographische Eigenheiten, Selbstäußerungen samt seiner Täuschungsversuche darzubieten, dabei sein Werk in Überschau vorzustellen wie auch Informationen über historische oder gesellschaftliche Kontexte zu geben.

Warhol besteht geradezu aus Legenden, deren Bildung er emsig betrieben hat. Dies wird einleitend rekapituliert und der Kult um den Popzaren dargestellt, ohne ihm selbst zu huldigen oder andersherum durch eine Philippika die Überhöhung noch einmal zu verstärken. Entwickelt wird das biographische wie auch künstlerische Material vielmehr im Sinne eines Künstlertypus, dessen Emanzipationsbestreben in Selbstauratisierung gipfelt, der sich aber gleichzeitig urteilsenthaltsam gegenüber seinen Werkinhalten zeigt. Und in diesem Sinne wird auch das sonst oft vernachlässigte Frühwerk in Entwicklungskontinuität gesehen: bereits seine Gebrauchsgraphik benötigt alles andere als Einfühlung, sondern gibt die Dinge als distanziertes Plakat in serieller Fertigung. Die Entwicklung des Factory -Gedankens aus dem Geist der anonymisierten Arbeitsteiligkeit wird gezeigt, und nicht zuletzt die gründliche Intention auf den Markt: dessen Vorgänge werden jubilatorisch von Warhol nachvollzogen, Coca Cola und Campbell's sind eben Inbegriffe von Waren, die immer halten, was das Etikett verspricht (oder androht). Doch bekommt auch der amerikanische Traum einen Knacks, denn die demonstrative Neutralität gegenüber tödlichen Vorgängen vermag diese noch an sich zu steigern, sei es in Flugzeugabstürzen, Selbstmorden, Jackie Kennedy vor und nach der Ermordung des Präsidenten oder serienweise elektrischen Stühlen. Und in dieser Phase sieht der Autor auch den stärksten kritischen Impetus Warhols. Indessen wird nicht verschwiegen, daß er in den folgenden kühleren Zeiten des Post-Pop (spätestens mit den malerischen Verschönerungen der Mao-Serie 1972) hierin nachläßt, daß er auch künstlerisch hinter seinen Innovationen in verschiedenen künstlerischen Disziplinen der 60er Jahre zurückbleibt und seine Factory immer mehr zum reinen Marketing-Büro verkommt.

Gerade die unauslotbare Haltung der désinvolture gegenüber dem (scheinbar) beliebigen Gegenstand, die Aufwertung der Lüge und der propagierte Individualitätsverlust sind Warhol oft zum Vorwurf gemacht worden. Unmöglich zu entscheiden, ob nun, wie vorherrschend an der amerikanischen Rezeption gezeigt wird, Alltagsdinge selbst wie Kultgegenstände gefeiert werden können als Höhepunkt einer umfassenden Demokratisierung, oder ob, wie in der europäischen (besonders: der deutschen) Variante, im Serienprinzip eine vorab kritische Absicht zu erblicken ist — beide Interpretationen erfahren bei Romain umfassende Belege. Warhol, der vielleicht konsequenteste Mann ohne Eigenschaften, der im Schatten junger Medienblüte zum reinen Voyeur wird, zum provokanten Kühlschrankdandy und Medium der Medien, läßt den Betrachter gänzlich ohne didaktischen Verweis und erzwingt Reflexion, die er selbst, offen apolitisch und verschwiegen katholisch (!), immer abgelehnt hat. Es wird aufgezeigt, daß erst hinter dem Konflikt der Interpretationen, also gerade in dieser Unentscheidbarkeit der von Warhol gelegten und verwischten Spuren, die Chance zu einem kritischen Sehen liegt. Die Hoffnung von Romains Interpretationsangebot basiert darauf, daß Pop Art alles zum Zeichen macht und damit auch die Zustände wandelbar erscheinen läßt: «Indem Pop Art sich der Bilder annimmt, etikettiert sie diese um.» Darin und in der Freisetzung des Lesers zu eigenem Urteil, das er mit diesem vorzüglichen Buch auf reiches Anschauungs- wie Untersuchungsmaterial gründen kann, werden dem Verächter wie auch dem reinen Apologeten der Kunst Warhols nachhaltige Denkanstöße gegeben.

Ralph Köhnen

Lothar Romain:
Andy Warhol
Bruckmann-Verlag, München 1993


Laubacher Feuilleton 8.1993, S. 10
 
So, 08.11.2009 |  link | (1581) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kunst und Gedanken






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