Schwierigere Zeiten Hans Leybold (1892–1914) an Käthe Brodnitz (1894–1971)* Am 29. September 1913 Liebe Käthe: erst vor wenigen Tagen erreichte mich dein Brief, nachdem er in ganz Deutschland herumgegondelt war. Es ist doch furchtbar ekelhaft, wenn Dinge, die vor Wochen zugesprochen wurden, einen erst nach so langer Zeit erreichen! Also der Reihe nach: die Übung wurde auf mein persönliches Bitten beim Regiment am letzten Termin verschoben. Ich habe mich dann bis zum ersten September in unserem Häuschen an der Ostsee erholt (dort erhielt ich auch noch dein Telegramm) und fuhr dann über Hamburg, wo ich einige Tage blieb, und über Hannover, wo ich redaktionell zu tun hatte, nach München zurück. Jetzt habe ich mächtig angefangen zu arbeiten, mir eine Schreibmaschine gemietet und bin an alle möglichen Zeitschriften, Aktion, Tat, Zeit im Bild, Neue Kunst, März und so weiter die verschiedensten Manuskripte losgeworden. Dann kam ich auf die Idee, eine neue Zeitschrift, die die neue Richtung in Deutschland vertritt, zu gründen und trug diesen Gedanken einem Verleger, Bachmair nämlich, vor. Der ging darauf ein, und so entstand die REVOLUTION, deren Herausgeber ich bin. Ich erzähle dir das alles so genau, weil du wissen mußt, was alles mich jetzt an Deutschland fesselt, was vorher nicht war: eine Lebensaufgabe nämlich. Das einzige, was ich wirklich kann, ist nun einmal das Schreiben, und das Gewerbe eines deutschen Schriftstellers kann man nun einmal nur von Deutschland aus betreiben. Gern hätte ich gleich auf deinen Brief hin telegraphiert, daß die Unmöglichkeit, den besten Willen vorausgesetzt, hinüberzukommen, unabweisbar vorliegt. Außerordentlich ungern lasse ich dich die lange Frist, die ein Brief nun einmal verlangt, um dich zu erreichen, im Unklaren. Aber es ging nicht anders, denn es geht nicht, unfrankiert nach Amerika zu telegraphieren, und ... es ist, wie es immer war ... ich bin am absoluten Ende, was den Mammon anbetrifft. Das wird dem 15. Oktober, dem Tag, an dem das erste Blatt der REVOLUTION erscheinen wird, noch schlimmer werden. Denn dann wird mein alter Herr endgültig nichts mehr von mir wissen wollen, und ich werde auf der Straße liegen — mit neuen Zeitschriften ist erst später Geld zu verdienen. Es ist unglaublich schade, daß aus all den schönen Plänen, die du und ich gemacht haben, nun vorläufig nichts werden kann, es heißt einfach warten, bis du wieder nach Europa zurückkommst. Liegt das nun nicht in deinem Ermessen? Was wäre der früheste Termin, an dem du wieder in München sein könntest? Wenn aus der REVOLUTION etwas wird — und es wird ganz bestimmt etwas daraus, wenn nicht der Verleger versagt —, dann habe ich eine unerschütterliche und bedeutungsvolle Stellung. Mir fehlt nichts als ein paar tausend Mark, um das Blatt ein paar Jahre lang zu halten, dann geht es ganz von selbst. Zumal da es bloß 10 Pfennige kosten wird, in einer riesenhaften Auflage erscheinen wird und die besten Mitarbeiter der neuen Richtung hat, als das sind Franz Blei, Klabund, Else Lasker-Schüler, John von Gorsleben, Johannes R. Becher und viele andere mehr. Aber ich fürchte, ich langweile dich mit der Geschichte meiner Gründung, und vielleicht ärgert sie dich auch, da sie der Hauptgrund ist, der mich hier zurückhält. Aber ich hoffe, daß du recht bald wieder nach München zurückkehrst und daß sich dann alles das erfüllt, was wir beide wünschen. Ich kann dir leider nicht mehr und eingehender schreiben, so gerne ich es auch tun würde, denn ich bin mit Redaktionsgeschäften dermaßen überladen, daß ich kaum zum essen komme. Es würde mich aufrichtig freuen, wenn du dich für die REVOLUTION interessieren würdest. Ich werde dir natürlich sofort nach Erscheinen die erste Nummer zuschicken und glaube, zum mindesten auf dich als Abonnent rechnen zu können. Vielleicht schickst du mir auch einmal etwas, das ich veröffentlichen kann, von dir; es muß allerdings in irgendeiner Art revolutionär sein. Wenn du geneigt wärest, dich mit einem kleinen Kapital an der Zeitschrift zu beteiligen, würdest du dir ein großes Verdienst um die neue deutsche Litaratur erwerben. Übrigens habe ich mit meinem Verleger darüber gesprochen, ob er vielleicht bereit wäre, ein Drama, das ich ihm empfehlen würde, in Buchverlag zu nehmen. (Ich meinte damit das, das du einmal dem Dreimasken-Verlag eingereicht hast. Er ist scheinbar nicht abgeneigt. Ich würde jedenfalls mein Möglichstes für dich tun. Was machen die anderen Bücher? [...] * eine im Umfeld von Dada anzusiedelnde und zu dieser Zeit in den USA lebende Literaturwissenschaftlerin Laubacher Feuilleton 4.1992, S. 6 Aus: Hansjörg Viesel (Hrsg.), Litanei zum heiligen Hugo, Zum 99. Geburtstag von Hugo Ball, erschienen in der Reihe Lager-Schaden 4, Karin Kramer Verlag, Berlin 1985, S. 40 – 43
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