Du Bastard! «Ein deutscher Anthropologe soll ausrechnen, wie der genormte Euro-Mensch aussieht.» (Der Spiegel, Nr. 1/47. Jahrgang, 4. Januar 1993). Identische Konfektionsmaße für Klamotten, Autositze und Klodeckel — vom Nordkap bis Gibraltar, von der Maas bis an die Memel. Eine einig Euro-Industrie-Norm soll es sein. Es geht aber nicht: Der hohe Norden, der tiefe Süden. Mindestens eine Nord- und eine Südproduktion seien unabdingbar. Erleichterung! Die Vielfalt ist gesichert — mindestens so lange, wie die Genforschung mit ihren Klonereien noch einige Schwierigkeiten hat. Bis dahin aber könnte doch vielleicht die Bastardisierung ... Es dauert zwar auch lange, hätte aber den Vorteil der natürlichen Methode. Widerstände der fortschrittsfeindlichen Kräfte wären nicht zu erwarten. Für die Industrie ist diese Idee doch der Knüller: Im Einklang mit der Natur (seit 1. 1. 1993 ist der grenzüberschreitende Verkehr zumindest in Europa angeblich komplikationslos) das farbenfrohe Spiel der Werbung nachahmen (Umsätze!) — und dabei im Kontext langfristiger Planung fest damit rechnen können, daß sich Höhe und Tiefe, Breite und Dicke nicht nur als Euro-Norm, sondern mit ein wenig Geduld auch als Welt-Norm menschlicher Formen herausmendeln werden (Einsparung: lean produktion mit äußerst geringer Fertigungstiefe). Der Gedanke sollte doch wohl ein gut dotiertes Sponsoring wert sein. (Redaktionsadresse im Impressum auf Seite 2 — ich teile gerne.) Auch politisch in einem sehr engen Sinne ist diese Vorstellung bestechend: ‹Vorkommnisse› kämen nicht mehr vor. Haß auf Ausländer, Andersfarbige, Menschen anderer Religion wäre nicht nur obsolet, sondern könnte nicht einmal mehr gedacht werden. Und auch die gegenläufigen Zeitverschwender wären von selbst erledigt: Lichterketten, Resolutionen, ‹Runde Tische› — wozu sollten die noch gut sein. Die Wohlmeinenden allerdings hätten einen Tranquilizer weniger. Dafür aber könnte sich eine neue Linke entwickeln. «Rassen aller Länder vermischt euch!» Das wäre doch die zeitgemäße Variante der ähnlich klingenden Aufforderung (vielleicht dasselbe meinende: «vereinigt euch» — tragisches Mißverständnis?), die zur Beruhigung aller Wohlhabenden zur Zeit weltweit keine Konjunktur hat. Überflüssig würde auch die hübsche ‹menschliche› Attitüde der Toleranz, dieser Duldsamkeit, die ja nur dann zum Zuge kommen kann, wenn jemand seinem Gegenüber erst mal massive Vorbehalte entgegenhält, ihn aber deshalb nicht gleich umbringt. Der Neger, Jude, Behinderte ist auch ein Mensch. Sorge bereiten mir bei diesem fabelhaften Konzept unter meinen Freunden nur die Grünen. Die aus einer «Mischung zweier Rassen hervorgehenden Kinder, die Bastarde oder Hybriden, müssen alle beiden Anlagen enthalten» (Strasburger, Lehrbuch der Botanik für Hochschulen). Geht das nicht gegen den Regionalismus der Stämme und Rassen, gegen einen — natürlich — wohlverstandenen Ethnozentrismus? Wird der Hinweis reichen, daß Farbtupfer dem Leben die Würze geben und die Lebensfreude vermehren? Rot/Gelb hat ja schon in den Fußballstadien Akzeptanz gefunden — zumindest bei der nichtbetroffenen Mannschaft und ihren Anhängern. Immerhin! Ganz zu schweigen von den heiß geliebten dribbelnden schwarzen Perlen. Und Grün: als ob nicht alle wüßten, daß diese Farbe nur eine Mischung zwischen Gelb und Blau ist. Das Gelb der F.D.P. (oder der chinesischen Fundamentalisten) und blauäugige Pfarrerstöchter. Einen Einwand allerdings konnte ich bislang nicht ausräumen, und vielleicht lasse ich an ihm die ganze schöne Idee scheitern: «Der wirkliche Charakter der Bastarde kann [...] oft erst klar erkannt werden, wenn man nun weiter die Kinder dieser Generation, also die Enkel der Elternpflanzen betrachtet» (Lehrbuch der Botanik für Hochschulen). Ich kann mich nicht damit trösten, daß es sich hier um Pflänzchen handelt. Die Menschen mendeln genauso. Diese Enkel. Nein, wirklich nicht. Manfred Jander Laubacher Feuilleton 5.1993, S. 1
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