Tod allen Nichtrauchern!

Endgültig unten durch: Der aktive Aktiv-Raucher (1993)

Unausrottbar: Nordfriesland, zwanzig Jahre danach.

Sie waren zu dritt. Ich konnte zwar meinen Fuß noch auf das Beweismittel stellen, aber der Anführer des Trios zerrte mich schon aus dem dunklen Hauseingang, während sich einer der anderen bückte und dann triumphierend die Hand hochhob: «Na, was haben wir denn da?»

Ich wußte, was jetzt kommen würde — zwei von ihnen halten dich fest, während der dritte Boxtraining am lebenden Punchingball durchführt. Nein, nicht schon wieder, dachte ich. Doch dann hörte ich, wie ein Messer aufschnappte, und einer der Typen — er sah aus wie Roman Polanski in Chinatown — beugte sich vor: «Du weißt ja, was wir mit Wiederholungstätern machen?» Ich schüttelte verzweifelt den Kopf und wich zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die Haustür stand. Polanskis Gesicht war schon ganz nahe, als er seine Frage selbst beantwortete: «Wir schlitzen ihnen die Nase auf.» Ich versuchte zu schreien. «Nein, bitte nicht, ich werde auch bestimmt nie wieder rauchen!» Doch ich brachte keinen Ton heraus, während sie in dreistimmiges, gellendes Hohngelächter ausbrachen. Nein, schrie ich, nein! Nein!! Nein!!!

Jemand rüttelte mich am Arm, und ich hörte eine weibliche Stimme: «Was hast du denn? Träumst du schlecht oder was?»

Schweißgebadet wachte ich auf. Mein Gott, das war gerade nochmal gutgegangen. Nur ein Traum, dachte ich erleichtert, alles nur ein Traum. Noch gibt es keine Rollkommandos, die Raucher verprügeln und ihnen im Wiederholungsfall die Nasen aufschlitzen.

Doch möglicherweise sind wir nicht mehr weit davon entfernt. Es wäre lediglich ein Rückfall ins 17. Jahrhundert, als schon einmal Monarchen und Päpste den Freunden des Rauchgenusses an den Kragen gingen. Und wenn ich die Zeichen aus dem In- und Ausland richtig deute, wird's wieder eng für den Tabakliebhaber. Falls jemand glaubt, mein Alptraum sei Ausgeburt einer überhitzten Phantasie, dann empfehle ich den Blick über die Südgrenze nach Österreich: Dort forderte der Gesundheitsminister bereits Rauchverbot für Schwangere, mit Zwangstherapie und Geldstrafen im Falle eines Verstoßes.

Auch sonst schlägt dem Raucher allerorten Verbot, soziale Ächtung und Ausgrenzung entgegen. Der Raucher ist der letzte Dreck, der Abschaum der Gesellschaft, die einzige Minderheit, über die andere ungestraft und von schlechtem Gewissen unbehindert herfallen dürfen.

Dabei ist noch nicht einmal von Hanfdampf die Rede. Der verändert ja bekanntlich die Wahrnehmung und sorgt für asoziales Verhalten — die Kiffer sind weniger aggressiv als die Alkoholiker und neigen zum süßen Nichtstun. Daß so etwas vom Gesetzgeber verfolgt werden muß, leuchtet ohne weiteres ein.

Aber die Hanfraucher sind eine klitzekleine, nicht-radikale Minderheit, die im Verborgenen ihrem frevelhaften Laster nachgeht. Die Nikotiniker dagegen machen rund ein Drittel der Bevölkerung aus, und sie stehen öffentlich zu ihrer Sucht. Aber, und das erklärt die Aggression ihrer Mitbürger, sie sind eben nicht die demokratische Mehrheit. Der hat man sich nun mal unterzuordnen — die Diktatur der Abstimmung verlangt das so. Weil die Raucher darauf bestehen, zu tun, was ihnen Spaß macht, fühlt sich die Mehrheit geradezu herausgefordert. Warum das so ist? Das kann man historisch und global schwer beantworten, deshalb versuchen wir eine zeitgenössisch-deutsche Erklärung.

Wir gehören einer Nation von potentiellen Oberlehrern an, die an allem herumerziehen, was nicht in ihr genormtes Weltbild paßt. Wir lieben Zwangsmaßnahmen gegen alles, was von der Norm abweicht. Uns fehlt die Tradition der Toleranz gegenüber Minderheiten — Andersdenkenden, Anderslebenden, Andersgläubigen. Unterschwellig faschistisch? Das haben Sie gesagt.

Zum anderen wurde uns aber seit 1945 — eher theoretisch als praktisch — Toleranz gepredigt, am geschichtlichen Beispiel aufgezeigt, wohin es führt, wenn Menschen diskriminiert werden, weil sie anders denken, leben, glauben. Diese neue Toleranz wiederum hat zur Folge, daß es kaum noch Möglichkeiten gibt, jemanden auf Grund seiner Gruppenzugehörigkeit mit Verachtung zu begegnen. Denn im Laufe der letzten zwei, drei Jahrzehnte haben wir so einiges an Fortschritt erzielt. Wer würde es, als aufgeklärter und zivilisierter Mensch, heute noch wagen, Vorurteile und Diskriminierung abzuladen auf (um nur einige Beispiele zu nennen) ledige Mütter, unverheiratete Paare, Schwule und Lesben, Porschefahrer, farbentragende Studenten, Feministinnen, Rosen- und Waffenverkäufer, Unternehmer, Dackelbesitzer, Farbige, Ausländer, Dicke, Langhaarige, Glatzköpfe (es sei denn, sie werfen Mollies auf Asylantenheime)? Na? Klar doch, es käme keinem aufgeklärten Mitteleuropäer in den Sinn, diese Leute zu diskriminieren. Aber der deutsche Mensch braucht dringend jemanden, an dem er seine Moralvorstellungen deutlich machen und zeigen kann: Ich bin heiliger als du. Und da kamen die Raucherin und der Raucher gerade recht. Diese Süchtlinge kann man ganz ungeniert — und im missionarischen Eifer auch noch durch das medizinische Argument «Nur zu deinem Besten!» unterstützt — von oben herab wie unmündige Kinder behandeln, die nicht fähig sind, ihr Tun und Lassen selbst zu bestimmen.

Doch die Geschichte des 19. Jahrhunderts zeigt, daß es gerade die Minderheit der bürgerlichen Revolutionäre war, die dem Rauchverbot zuwiderhandelte und, der anregenden Wirkung des Nikotins sei dank, schließlich den Adel stürzte und die Macht im Staat übernahm. Vielleicht sollten die Eiferer unter den Nichtrauchern rasch innehalten und die Geschichte studieren, ehe es zu spät ist. Manch einer, der sich unter dem alten Regime ganz sicher fühlte, endete nach der Revolution vor den Läufen des Erschießungskommandos.

Die deutsche Losung für eine solche Lösung wäre naheliegend: Tod allen Nichtrauchern!

Hans Pfitzinger

Laubacher Feuilleton 5.1993, S. 2
 
Mo, 11.05.2009 |  link | (2384) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftliches






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