Das Wetter Als Gesprächsgegenstand des small talk ist es verpönt, weil es im Verdacht steht, allzu offensichtlich Verlegenheiten zu überbrücken, sich dabei aber nur auf das Nächstliegende bezieht, das sowieso jeder sieht und nicht kommentarbedürftig ist. Dabei könnte sich der Gesprächssuchende auf eine breite kulturelle Tradition berufen. Zeus schleudert Blitze, bei Shakespeare zeigt es immer das Wetter an, wenn der Säftehaushalt im Mikro- oder Makrokosmos nicht stimmt, und auch Musils renommierlicher Mann ohne Eigenschaften beginnt mit einem Wetterbericht: «Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen ... Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.» Das ist das ‹setting› des Romans, und es kommt dem zeitgenössischen Wetterbericht schon ziemlich nahe: Dargelegt wird am meteorologischen Gegenstand der Möglichkeitssinn auch für alle anderen Redeformen, das Wetter ist diskutabel, und es ist hier Exempel für die Relativität von Sprechen, für das Bedürfnis nach Be-Sprechen der Dinge überhaupt. Das Wetter-Gespräch ist auf anderer Ebene also noch und wieder diskursfähig und hat in neueren Zeiten der Erlebnisgesellschaft noch andere Qualitäten bekommen. Was einst Karl-Heinz Köpcke (der Köpcke in uns allen) als erholsames Nachrichtenanhängsel erledigte, wird heute als selbständiger Bereich ausgegliedert und beschäftigt ein ganzes Team: Die Nachrichtenhosteß kündigt den Wetterbericht an, Diplom-Meteorologen sind die Gewährsleute für den wissenschaftlichen Anteil der ‹message›, und im Nachspann nimmt der Moderator noch einmal Bezug, verknüpft und leitet über. Nun etabliert sich der Wetterbericht immer mehr als eigene Sendung, präsentiert von Tengelmann, Bitburger, immer jedenfalls von der Ernährungsbranche (im Morgenmagazin, nach einem Werbeblock abends im ZDF oder als Sendung vor den Nachrichten bei ARD). Zunächst gibt es einen Tagesrückblick, der uns noch einmal erzählt, was wir ohnehin gesehen, erlebt oder erlitten haben. Dann erst gibt es den Ausblick, und der ist breit gefächert: Als Dreingabe kommt der Wochenend-Reise-Bergsteiger-Skifahrer-Paragliding-Wetterbericht, die Pollenflugvorhersage oder der Autofahrerservice. Die ursprünglich nur prognostische Funktion wird also erweitert, und das ist ein erstes Indiz für die narrative Qualität, für das «schöne Gespräch», wie es bei Thomas Mann das längst allen Bekannte auf spielerische Weise variiert und aufbereitet. Weitschweifig wird die Rede jedenfalls, und sie eignet sich alle möglichen Arten des Erlebnisberichts an, ein bißchen militärischen Diskurs («beruhigte sich nachmittags allmählich die Situation»), spontan-lebhafte Stilbrüche treten auf (ein Schneetreiben «entbehrt nicht einer gewissen Geilheit»), von einer «süßen Temperatur» ist da die Rede (Jörg Kachelmann). Ein weiteres Indiz für das Erzählen des Wetters: Die Wetterhochs und -tiefs bekommen Namen (die kalte Sophie, der schöne Fridolin), wobei sich Feministinnen über die Zuordnung weiblicher Namen zu den Tiefs lautstark empört haben. Der Orkan Alfred (eigentlich der Kumpel von nebenan) verwüstet einige Städte an der Westküste, wobei die Diskrepanz zwischen der Vermenschlichung des Wetters und den empirischen Folgen auffällt. Die Behandlung solch elementarer Dinge wie die des Wetters tritt aber nicht primär mit Erkenntnisanspruch auf, sondern als umfassende Narration. Jeder soll die Chance haben, selbst die meteorologische Meinungsbildung nachzuvollziehen und beim erzählenden Deutungsspiel sich zu beteiligen. Dieses wie auch alle anderen Spiele ermöglicht es ja, mit kleineren Energiequanten Situationen vorwegzunehmen oder aufzuarbeiten, und beim Wetterbericht geht es um nicht weniger als die Bannung, Beschwichtigung oder Beeinflussung numinoser Verhältnisse. Die Zufälle, den Terror der Natur erklärbar und beherrschbar zu machen dadurch, daß man sie im Erzählspiel behandelt, ist dessen vielleicht wichtigstes Motiv, und Mensch ist der Mensch im vollsten Sinne ja nur dort, wo er spielt — so Schiller in seinen Ästhetischen Briefen. Schlimm nur, wenn die Dinge mal aus den Namen herausfallen — doch das ist bei aller Präzision der Vorhersagen eher ein Sonderfall. Seriöse Anlässe gäbe es ja genug, die Frage nach dem Wetter unter globalen Aspekten gründlicher zu stellen, einstweilen gilt aber: Schönen guten Abend ... — das Wetter ...! Ralph Köhnen Laubacher Feuilleton 13.1995, S. 1
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