Ich denke, daß ...

Ich habe gedacht: Wahrscheinlich kennen sie das auch: ein Wort, eine Redewendung, eine Melodie ergreift Besitz; der Kopf, das Gehirn, alle Sinne lauern nur darauf, dasselbe Wort, dieselbe Melodie, dieselbe Redewendung von anderen zu hören. Sie kennen das.

Seit langem schon bin ich besessen von der Redewendung «ich denke, daß ...». Offensichtlich ist allen Menschen das Glauben, Meinen, Fühlen abhanden gekommen. Niemand mehr hat eine Ansicht, Einfälle gibt es nicht. Bereits für eine winzige Ahnung wäre ich dankbar. Doch es muß partout das Denken sein.

Nicht, daß ich gegen das Denken etwas einzuwenden hätte — aber doch nicht «ich denke, daß ...», auch nicht «ich denke ...», ohne daß. Es geht zwar, weil die Sprache sich nicht wehren kann; aber es ist falsch. Während des Denkens ist das daß noch nicht zu haben, und hat man das daß, denkt man es nicht mehr, sondern hat einen Gedanken zu Ende gedacht.

Warum also gebraucht alle Welt diese grammatikalisch wie logisch falsche Redewendung? Unser Kohlenpott-Germanist-Anglist tippt auf einen weiteren Anglizismus. Tatsächlich finde ich in meinem alten Hornby/Gatenby/Wakefield, The Advanced Learner's Dictionary of Current English (first published 1948), unter dem Stichwort ‹think›: «5. I (think) I`ll go for a swim.» Aber reicht dieser Fund zur Erklärung? Der Kollege aus dem Ruhrgebiet legt nach, behauptet (mit Vorbehalt), der Englisch sprechende Mensch früherer Zeiten habe sogar gesagt: «me thinks». Mein Wörterbuch weiß davon nichts. Ein USA-kundiger Freund allerdings erinnert sich, diese Wendung in trostlosen US-amerikanischen Armenvierteln gehört zu haben; Gedankenblitz: Armut! Klar, die Leute haben andere Gedanken als die über Grammatik und Logik des Denkens — «me thinks». Aber Redakteure, Talkshow-Akteure, Vernissagen-Besucher und, vor allem, Politiker mögen alles mögliche sein, arm sind sie nicht.

Vielleicht also ist diese Floskel doch nicht mehr als ein Euphemismus, das (unbewußte) Bemühen, ein vermeintlich banales Ahnen oder Meinen oder Glauben zu überhöhen. Kant: «Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. [...] Der Verstand mag nichts anzuschauen, und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen.»

«Ich denke, daß ...» ist demnach die sprachliche Unform einer suggerierten neuen Nachdenklichkeit; eine Gegenbewegung zu dem ‹Aus-dem-Bauch-Sprechen›, auch so ein Stand-Punkt der letzten Jahre, als man und frau nicht die Stirnen krausten, sondern allenfalls den Bauch in Falten legten?

Der US-amerikanische Linguist Benjamin Lee Whorf (1897 – 1941) kennzeichnet die Einstellung des «gesunden Menschenverstandes» bzw. — wie er selber schreibt — der «natürlichen Logik» zur Grammatik am Beispiel eines deutschen Grammatikers, der sein Leben dem Studium des Dativs gewidmet hatte und dem mit Spott und Verachtung, bestenfalls mit Ironie oder Unverständnis begegnet worden sei. «Vom Standpunkt der natürlichen Logik», so Whorf weiter, «sind der Dativ und die Grammatik überhaupt sehr unbedeutende Dinge. Von den alten Arabern wird uns berichtet, daß sie eine ganz andere Haltung einnahmen: Zwei Prinzen, erzählt uns die Geschichte, stritten sich um die Ehre, die Schuhe des gelehrtesten Grammatikers des Reiches anlegen zu dürfen; worauf ihr Vater, der Kalif, bemerkt haben soll, es sei der Ruhm seines Landes, daß man große Grammatiker sogar höher als Könige ehre.»

Ich denke, daß ich jetzt fertig bin.

Mandred Jander

Laubacher Feuilleton 3.1992, S. 1
 
Di, 02.12.2008 |  link | (2045) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache






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