Belanglosigkeiten

Zur Diskurs-Ethik der Kaffeehausplauderei

Kreispunkt jeder Kaffeehausplauderei ist das Sprechen.

Droht man seiner Komik zum Opfer zu fallen, muß man dies als Tragik gestalten.

Belangloses nicht ernst besprechen, sondern in allem nur durch Belangloses deutlich werden lassen. (Sprechen nicht wie ein Engländer über das Wetter, sondern wie ein Don Juan über die Liebe.)

Sich im Plaudern keine künstlichen Hemmungen auferlegen: dann wird man bald Gedanken entwickeln von einer Tiefe und Leichtigkeit, daß man selbst ergriffen ist von ihnen.

Es bleibt sich gleich, ob man aus seinen Emotionen Kunst macht oder aus dem, was man nicht fühlt — nur darf man auf keinen Fall etwas von sich geben.

Die Hauptgefahr besteht darin, daß, was den Streit entstehen läßt — der eine drückt sich falsch aus und der andere mißversteht es —, auch das Geheimnis der Harmonie und Seelenfreundschaft ist. (Also kein Versöhnlertum: Eine Kaffeehausbekanntschaft ist kein Mädchenpensionat und kein Kameradschaftsbund.)

Ein gutes Mittel, die Belanglosigkeit dessen zu deklarieren, worüber man spricht: Sich unablässig so wiederholen, daß der Anschein der Langeweile nicht aufkommt, weil ohnehin niemand auf Inhalte achtet.

Sich nach dem Vorbild der Operette richten: Man muß kommen können, wann man will, zum ersten Akt oder zum letzten oder überhaupt nicht, und doch immer dasselbe erleben.

Hat das Visavis die Hörweite verlassen, muß es unbedingt restlos durchschaut sein, sitzt es am Tisch, darf es nicht einmal wahrgenommen sein.

Das ist das Wichtigste: das Wissen, daß nur die Dinge irren können und niemals die Sprache, die das einzige ist, was überhaupt niemals irren kann.

Ein Gespräch, das irrtümlich nicht unter dem Konsens begonnen wurde, daß man einander nichts zu sagen hat, ist überhaupt nur durch die gemeinsame Planung einer Sauerei zu retten.

In der Auktion nur anbieten, was einem nicht gehört und worauf man verzichten kann.

Wenn man mit Schweigen arbeitet, ist Horváths Regieanweisung wertvoll: «Bitte achten Sie genau auf die Pausen im Dialog, die ich mit ‹Stille› bezeichne — hier kämpft das Bewußtsein mit dem Unterbewußtsein, und das muß sichtbar werden.» (Verfügt das Gegenüber nicht über jenes Minimum an Sensibilität und Höflichkeit, daß es diesen Kampf bemerkt und würdigt, darf man sich nicht scheuen, zu den Mitteln der Burleske zu greifen.)

Sprechen, als ob man eine mathematische Formel darbrächte, wie Hans Moser sie aufsagen würde oder Johannes Heesters.

Genau sich überlegen, ob man in einem Kaffeehaustratsch Wein trinkt, um Lebensgefühl vorzutäuschen oder um sich selbst nicht zum Opfer zu fallen. (Viel von seinen Fehlern sprechen.)

Empfehlenswert ist, in allem Charme und durch alle Präpotenz hindurch sich auch einiges Rätselhafte zuzulegen. (Ich bewundere J. J., diese professionelle Plaudertasche, der wußte, wenn die Leute «diskutieren, was ich gemeint haben könnte, das ist die einzige Art, sich Unsterblichkeit zu sichern».)

Das Kriterium für eine geglückte Kaffeehausbekanntschaft: daß man bereits auf dem Heimweg nicht mehr sagen könnte, worüber man gesprochen hat. (Genialität: Wenn man auch schon nicht mehr weiß, mit wem.)

Peter Cardorff

Peter Cardorff, Die Kunst des Abservierens. Tractatus logico-austriacus. Mit freundlicher Genehmigung der Edition Nautilus, Hamburg 1992, S. 92 – 95
Laubacher Feuilleton, 2.1992, S. 4

 
Di, 14.10.2008 |  link | (1264) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gastrosophisches






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