Winterliebe Lachte Sofie im Auto und verlangte nach einem halben Kaugummi, wußte Theo, daß sie sich freute, neben ihm zu sitzen, mit ihm zusammen zu sein. Sofie genoß die seltenen Momente der Gemeinsamkeit doppelt und dreifach, in ihrem Erleben weiteten sich die Stunden zu Tagen und Tage zu Monaten. Diese Liebe, auf die keiner der wenigen eingeweihten Freunde auch nur einen Pfifferling hätte setzen wollen, bestand nun schon viele Jahre. Theo und Sofie aber schienen aus dem Mangel an gemeinsam zu verbringender Zeit Kraft zu schöpfen, ja, sich daran zu euphorisieren. Theo und Sofie sind aus ähnlichem Holz geschnitzt: Vom Ehrgeiz zerfressen, die eigene Leistung bis zum Äußersten zu treiben, das bißchen Leben, das ihnen gegeben ist, auszureizen und zu genießen. Füreinander geschaffen, doch nur durch den verschiedenen Stand ihrer Karrieren zeitlich ‹behindert› — ein Ausdruck im übrigen, den Sofie nie gelten lassen würde — leben sie eine Sonntagsliebe. Sonntag, der Tag, als das ungleiche Paar — sie, die Dunkelhaarige, aufbrausend Zärtliche, der man die harten Jahre im Pariser Schmuddelviertel von Zeit zu Zeit anmerkte und vor allem anhörte, und er, der große, blonde, vom Erfolg verwöhnte Deutsche, der schon vor Jahren seinen Jähzorn zu beherrschen gelernt hatte und ihre Zornesausbrüche mit sardonischem Lächeln quittierte, was sie zum Verstummen brachte und ihre Wangen, was ihn immer wieder verzauberte, leicht erröten ließ —, Sonntag, als Theo und Sofie im unauffälligen kleinen Wagen über die Salzburger Autobahn gen Winter brausten. Ein Tag, an dem man den Winter suchen mußte, überall grünten die Wiesen, trieben die Bäume verschämt grüne Triebe aus, blühten die ersten Schneeglöckchen und Krokusse. Theo kannte das Ziel der Reise, Sofie versuchte, ihn durch Fangfragen auszuhorchen, er aber kannte ihre Neugier und schwieg. Sie fuhren auf der Salzburger Autobahn, am Brunntal-Dreieck und dem Irschenberg vorbei auf die Inntal-Autobahn. Sofie konnte mit detektivischem Spürsinn die Skiorte Brauneck, Sudelfeld, was ihr nur recht war, denn der einsitzige Sessellift hatte es ihr noch nie angetan, Spitzingsee oder den Lungau mit seiner Dracula-Burg ausschließen, nach Tirol ging die Reise. Kurz hinter Kufstein bog Theo von der Autobahn rechts ab. Kitzbühel also, dachte Sofie. Auch recht, dieses Skigebiet und den Ort kannte sie wirklich gut, und wunderte sich trotzdem. Theo hatte diese notorische Angst vor zuviel Aufhebens um seine Person — in diesem Promi-Ort wußte doch mehr als jeder Dritte um die Bedeutung des Feinsinnigen, was einen Skitag leicht zu einem der verhaßten Kopfnick-Tage werden lassen konnte. Theo fuhr nicht nach Kitzbühel, er nahm die Straße nach Wörgl. In Hopfgarten bat er Sofie, in der Tasche seines Anoraks nach Kaugummis zu suchen. So abgelenkt, übersah Sofie das aufklärende Straßenschild, und Theo hatte sein Ziel erreicht. Nach nur wenigen hundert Metern erreichten sie das Winter-Wunderland. Disney hätte es nicht besser inszenieren können! Tief verschneite, überzuckerte Tannen säumten den Wegesrand, unter Schneewehen windeten sich mühsam Bäche, der Himmel öffnete sich blau, die Sonne strahlte warm und so hell, daß Sofie die Augen zukneifen mußte, so sehr blendeten die tanzenden Schneekristalle. Sofie strahlte mit dem Licht um die Wette — ein Anblick, den Theo immer wieder genießen wollte, er liebte es, wenn die Stadtpflanze an seiner Seite, die vorgab, nur auf Asphalt und mit dem Geruch verbrennender Kohle glücklich sein zu können, die Schönheiten der Natur wie ein unverhofftes Geschenk begriff, verstummte und sich eine oder auch zwei verschämte Tränen von der Wange wischte. Ski fuhren an diesem Tag, viel und ausdauernd, sich gar nicht bewußt, daß die anspruchsvollen Pisten in der Kelchsau nur eine Sesselbahn und zwei Skilifte verband. Als die Sonne begann, hinter düsteren, nichts Gutes verheißenden Wolken zu verschwinden, der Tag sich anschickte, der Nacht zu weichen, beschlich Sofie und Theo eine angenehme Sinnlichkeit; Verlangen, dem anderen ohne wattegepolstertes Überkleid nahe sein zu wollen, nebeneinander zu liegen, Hände gleiten zu lassen und vielleicht ... Noch aber tranken sie Obstler und spielten Tischfußball in der ältesten Wirtschaft im Ort, in der allerdings Resopal und Linoleum gründlich das Urige und Ursprüngliche vertrieben hatten. Daß sie spät am Abend noch zum ‹Fuchswirt› im Oberdorf gefunden hatten, schien beiden eigentlich wie ein Wunder — ein Bild, als wäre die Zeit stehen geblieben: eine fein-hölzerne Gaststube, der Tafelspitz wunderbar zart, die Bratkartoffeln kroß und mit Kümmel, der Blaufränkische samten und schwer, großzügig und angenehm die Zimmer, tief und weich die Betten. Sofie hätte diesen Aufenthalt am liebsten mehr als eine Nacht dauern lassen wollen, so wohl war ihr, nicht nur ums Herz. Die Natur hatte ein Einsehen mit ihr: In der Nacht und am folgenden Tag schneite es so heftig, daß aus den paar Stunden Winter-Wunderland in der Kelchsau beinahe eine Winter-Katastrophe geworden wäre — es wurde ein Tag länger Winterliebe. Anne Maier Laubacher Feuilleton 14.1995, S. 15
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