Cottas Denkmal Eines Tages lockte man ihn aus der Emigration zurück. Er wollte sehen, was aus seinen Hoffnungen auf ein freies Land geworden war. Auf seiner Rückreise fand er sich vollauf damit beschäftigt, in der Eisenbahn nicht die falsche Türe zu öffnen, dem Schaffner klarzumachen, daß er noch nie etwas von einer Fahrkarte gehört hatte, und vor allem die Leute in ihrer eigenartigen heutigen Sprache zu verstehen. Seine Emigration hatte wirklich unvorstellbar lange gedauert: über 200 Jahre. Neulich hatte sich ein schräger Vogel seiner erinnert und veranlaßt, daß der Vergessene in seinem Grab aufgescheucht worden war, tief hinten im Pfälzer Wald. Eines Tages hörte der Ausgewanderte, wie eine Kommission des Stuttgarter Gemeinderats an seiner Grabstätte über die Frage stritt: Soll der Cotta ein Denkmal bei seinem Stuttgarter Geburtshaus bekommen oder nicht lieber die Bürger Freibier und Rote Würste? Die eher schmalen unter den Stadträten hatten sich für ein demokratisches Denkmal erwärmt, die dickleibigen schwärmten von den Würsten. Wer kenne überhaupt diesen Cotta, diesen Feigling und Vaterlandsverräter, meinten die Freunde von Bier und Würsten. Der habe sich doch bloß ins Ausland verdrückt, weil er nichts habe schaffen wollen und sich nie unterordnen konnte. Ja, wenn es der berühmte Verleger wäre, aber doch nicht der andere, der ältere Bruder, der Tagdieb. Das sei eine Schande, gaben Cottas jüngste Freunde zurück. Dieser erste Stuttgarter Demokrat stünde der Stadtkultur gut an. Ach was, polterten die anderen. Wir brauchen keine Kultur, wenigstens keine, die Geld kostet. Was wir brauchen, sind Wähler und stärkere Autos, mehr und größere Fabriken und einen Flughafen auf Weltniveau. Da standen die Anhänger der Denkmalsidee begossen herum. Bis sie sich aufrappeln konnten, gingen die anderen schon lachend und tief zufrieden in die nächste Wirtschaft, wo sie die verruchte Denkmalsidee in Pfälzer Riesling ersäuften. Die gespaltene Kommission war noch nicht aus der Pfalz zurückgekehrt, da rief der Stuttgarter Polizeipräsident im Rathaus an, wer den Auftrag gegeben habe, die Hirschgasse abzusperren, Baufahrzeuge und Material anzufahren. Niemand wußte etwas. Beim Verhör des Bauleiters stellte sich heraus, daß ein auffallend blasser, ausgemergelter Herr mit einem altertümlichen Schwäbisch, das stark mit französischen Wörtern durchsetzt war, im Namen der Stadt den Auftrag erteilt hatte, hier ein Denkmal für den alten Journalisten, Juristen und Demokraten Christoph Friedrich Cotta zu errichten. Vorgelegt hatte er genaue Baupläne eines seriösen Architekturbüros und eine Genehmigung mit städtischen Stempeln. Da gab es eigentlich nichts zu zweifeln. Dennoch untersuchte der Polizeipräsident die Pläne. Er verstand nichts. Was sollte denn in der Hirschgasse ein roter Sandsteinblock der Vogesen, aus dem eine Bildhauerin an Ort und Stelle, unter Beteiligung von Einwohnern und Zuschauern, eine riesige Plastik heraushauen sollte? Ein höherer Polizeibeamter kam auf die Idee, man könne im Stadtarchiv nachfragen. Dort wußte wirklich jemand etwas von dem alten Herrn, einer verblichenen Gestalt der nicht gerade populären Revolutionszeit. Etwas Anrüchiges ging von diesem Cotta aus, weil er für die Franzosen und auf eine deutsche Republik hin gearbeitet und sich dabei konspirativer Methoden bedient hatte. Nach einigen Tagen schien alles vergessen. Es geschah lange nichts. Eines Morgens fand dann ein Wagen der Stadtreinigung die Hirschgasse durch einen riesigen roten Sandsteinblock versperrt. Der Polizeipräsident schäumte und schickte einen Autokran. Als der Fahrer anheben wollte, riß das Seil. Bis am nächsten Tag umständlich ein gigantischer Baukran aufgebaut werden konnte, hatten über Nacht unbekannte Hände eine erste Figur aus dem Block herausgehauen. Der Kranführer straffte vorsichtig das Seil, erkannte sofort, daß es auch ihm nicht gelingen würde. Der Polizeipräsident stand mit gedehntem Gesicht und Rücken daneben, um höher zu erscheinen. Er befahl mit gewaltiger Stimme, rücksichtslos vorzugehen. Kein Arbeiter wollte es wagen. So mußte am Ende der wütende Herr selber das Steuergerät bedienen. Der Kran schwankte, kippte wieder zurück, schien es zu schaffen. Als der Block sich leicht bewegte, stürzte Stuttgarts höchster Kran auf ein tadelloses Geschäftshaus nieder. In der nächsten Nacht hörten einige der aufgescheuchten Anwohner leises Pochen, wie von einem Specht. Sie gaben nichts drauf. Am nächsten Morgen sah man eine zweite Figur aus dem Stein herausgehauen, der anderen in jeder Hinsicht entgegengesetzt. Die erste Gestalt, mit einer Jakobinermütze auf dem Kopf, streckte sich sehnsüchtig nach Westen, auf dem Wipfel eines vom Wind beschwingten Freiheitsbaumes stehend. Die zweite dagegen blickte herrisch nach Osten, schwer auf die krummen Buckel von Sklaven drückend. Auf dem Sockel war nur der Familiennamen Cotta eingemeißelt worden. Das waren die Brüder Cotta, der eine der nach Frankreich emigrierte ältere Bruder, der zweite der erfolgreiche Verleger. Die Stadtverwaltung ließ Preßlufthämmer herbeiholen. Die Meißel kamen kaum voran, viele brachen ab. Mancher Arbeiter verletzte sich. Am Ende traute sich keiner mehr heran. So kamen die Stuttgarter doch noch zu einem Cotta-Denkmal. Wenn von nun an die Stadträte ihre feuchten Nachsitzungen im Ratskeller beendet hatten, pilgerten sie zum roten Sandstein aus den Vogesen. In vereinter Fröhlichkeit und stolz stellten sie sich an das kleine Gebirge. Voll Freude darüber, daß hier etwas für die demokratische Kultur geschehen war und doch nichts gekostet hatte, seichten sie den riesigen Findling an. Hellmut G. Haasis Laubacher Feuilleton 7.1993, S. 14
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