Begierden und Ehrgeiz als Ursachen

... Ehrgeiz, dieses stolze Gelüst oder trockene Dürsten nach Auszeichnung, ist eine große Seelenpein, die sich aus Neid, Stolz und Begehrlichkeit zusammensetzt, eine ritterliche Verrücktheit, wie jemand gesagt hat, ein schmackhaftes Gift; Ambrosius redet von einem seelischen Krebsschaden und einer verborgenen Pest und Bernhard von schleichender Vergiftung. Ehrgeiz gilt ihm als Vater des Neids und Mutter der Heuchelei, als Mottenfraß des Heiligen und Ursache des Wahnsinns, der alles quält und in Unruhe versetzt, dessen er habhaft werden kann. Seneca nennt ihn eine wetterwendische, eitle, ängstliche und übereifrige Gemütsverfassung. Denn diejenigen, die wie Sisyphus den Stein des Ehrgeizes ruhelos vor sich herrollen, schinden sich unentwegt ab, ohne jemals aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Sie sind ständig im Zweifel, furchtsam, mißtrauisch, peinlich darauf bedacht, niemanden in Wort oder Tat zu verletzen. Vielmehr tun sie vertraulich, selbst wenn sie jemanden hinterhergehen, und das Umarmen, Hutziehen, Katzbuckeln, Beklatschen, Schmeicheln, über Abwesende Herziehen und Besuchemachen will kein Ende nehmen. Vor allen Türen warten diese leutseligen Gesellen und heucheln Aufrichtigkeit und Demut; und wenn das nichts nutzt, dann gelangen die nach Anerkennung Dürstenden und vom Ehrgeiz Besessenen eben auf krummen Wegen ans Ziel ihrer Wünsche. Aus ihren Löchern winden sie sich nach Cyprian zu allen Ämtern und Ehrentiteln empor, wenn man sie nur läßt; dem einen schmeicheln, den anderen bestechen sie und lassen nichts unversucht, um sich des Wohlwollens aller zu versichern. Es grenzt ans Wunderbare, wie sich solche Leute selbst noch vor Geringeren erniedrigen können, wenn sie ein Anliegen haben, welche Mühen sie auf sich nehmen, wie sie rennen, hasten, lavieren, Komplotte schmieden, Gegenmaßnahmen einleiten, beteuern, schwören, Versprechungen machen und sich vom Morgengrauen bis spät in die Nacht abplagen. Servil sind sie und die Freundlichkeit in Person, höflich und allgemein beliebt, haben für jeden, der ihnen über den Weg läuft, ein falsches Lächeln und übernehmen sich noch mit Einladungen und Festlichkeiten. Das alles aber tun sie nur, um etwas zu erlangen, was sie im Leben gut entbehren könnten, wie Kineas dem Pyrrhus vorhielt, und um mit durchwachten Nächten, qualvollen Stunden, angstvollen und bitteren Gedanken dafür zu zahlen. Denn sie pendeln ständig zwischen Furcht und Hoffen, Erregtheit und Erschöpfung und vergeuden damit auch noch die restliche Zeit. Die Gegenwart rinnt ihnen durch die Finger, und es gibt keine größere Pest als ihren Ehrgeiz. Denn wenn sie ihr Ziel unter hohen Kosten und Mühen endlich erreicht haben, können sie nicht befreit aufatmen, sondern das Sich-Ängstigen beginnt von neuem, weil sie nie zufrieden sind. Alle ihre Gedanken, Taten und Bemühungen sind auf Ehre und Macht ausgerichtet wie bei Lues Sforza, dem aufbrausenden Herzog von Mailand, der ein Mensch von einzigartiger Klugheit, aber auch von abgründigem Ehrgeiz war und dessen Schicksal darin bestand, sich selbst und Italien zu vernichten. Solche Leute kapitulieren nicht, auch wenn das ihren eigenen Untergang und das Verderben ihrer Freunde nach sich zieht. Vielmehr kämpfen sie sich empor wie Eichhörnchen oder ein Vogel an den Käfigstangen, ein Hund im Laufrad und kommen doch nie zu Ende oder oben an. Ein Ritter möchte Baron werden, dann Lord, Vicomte, Graf; ein Doktor der Theologie erst Dekan, später Bischof; der Tribun wäre lieber Prätor, der Stadtrat Bürgermeister; erst diese Amt, dann jenes; wie den Pyrrhus bei Plutarch gelüstet es sie zuvörderst nach Griechenland, später nach Afrika, endlich nach Asien, und sie schwellen mit Äsops Frosch, bis sie platzen, sich den Hals brechen oder wie Lukians Flötenspieler Evangelus, der sein Instrument nicht mehr absetzen wollte, tot umfallen. Wenn sie aber umständehalber scheitern oder sich wie in einem Netz verfangen, geraten sie nur in eine andere Hölle; dann sind sie nämlich so niedergeschlagen, daß sie bereitwillig den Strick nehmen oder augenblicklich zu Ketzern, Ungläubigen und Verrätern werden. Ergrimmt gegen ihre Feinde lästern, fluchen, verleumden, schmähen sie, greifen zu den Waffen und werden aus Mißgunst zu Mördern. Weil sie nicht ans Ziel ihrer Wünsche gelangen, steht am Ende, so Bodin, der Wahnsinn. Gleich also, ob der Ehrgeiz Erfolg hat oder nicht, quält ihn seine Begierde, und so lange sie dauert, hat er nichts als Angst und Sorge, Unzufriedenheit und Kummer zu gewärtigen, die ihrerseits Geisteskrankheit oder sogar einen gewaltsamen Tod nach sich ziehen. Ein derartiger Ausgang ist in großen Städten oder am Hof alles andere als selten, denn das Leben eines Höflings ist mit den Worten des Budäus ein Durcheinander von Ehrgeiz, Sinnenlust, Schwindel, Betrug, Heuchelei, Verleumdung, Neid und Stolz, und der Hof erscheint ihm als Konventikel von Schmeichlern, Opportunisten, Ränkeschmieden oder mit Antonio Perez als Vorort der Hölle selbst. Wer Mißmutige und Unzufriedene sucht, wird dort ebenso fündig werden wie auf den Märkten des alten Rom, von denen es heißt, meineidige Schurken, Ritter des Schandpfahls, Lügner, Aufschneider und verschwenderische Ehemänner hätten sich dort ein Stelldichein gegeben, was im übrigen bis auf den heutigen Tag auch andernorts so geblieben ist.

Robert Burten


Laubacher Feuilleton 3.1992, S. 4

Aus dem Englischen von Ulrich Horstmann
Zitiert nach: Anatomie der Melancholie, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1991, S. 228 – 230
Titel der Originalausgabe: The Anatomy of Melancholy, Oxford 1621

 
Di, 29.09.2009 |  link | (885) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftliches






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