Ungarische Frauentypen

Ein französischer Schriftsteller — nach Einigen rührt der Ausspruch von Diderot, nach Anderen von Beaumarchais her – lehrt: Wer sich anschickt, über Frauen zu schreiben, sollte eigentlich nicht die Feder zur Hand nehmen, um sie in Tinte zu tauchen und seine Gedanken gemeinem Papiere anzuvertrauen; mit Blumenstielen und frischem Morgentau sollte er seine Empfindungen auf Rosenblätter schreiben, sollte die Schrift mit Blütenstaub bestreuen und zum Postboten den bunten, tosenden Falter erküren.

Der Rathschlag klingt so süßlich und unbeholfen, daß ich fast geneigt bin, ihn für apokryph zu halten, zumal wenn er Beaumarchais zugeschrieben werden will, der die Frauen liebte und bewunderte, dessen Art es aber durchaus nicht war, derlei gewundene Komplimente zu drechseln, als wäre er der Berichterstatter über einen damaligen Eliteball gewesen, — vorausgesetzt, daß es zu seiner Zeit bei den Franzosen Frauenvereins= und «Elite»=Bälle gegeben hätte.

Auch wer von Frauen schreibt, mag nur immerhin seinen Kiel in das schwarze Tintenfaß tauchen und seine Blätter mit schwarzen Buchstaben besäen; — seine Feder wird gleichwohl glänzen, wenn sie nur ihres Gegenstandes würdig ist; sein herbes Alizarin wird lieblich duften, wenn der Dichter seines Herzens Liebe hineingeträufelt und der Ruhm des Gedichtes wird auf Adlerschwingen durch die Zeit rauschen, wenn es wahr empfunden ist.

Ich möchte zunächst nur dem Fremden, der bei uns nach Schönheiten des ungarischen Frauentypus forscht, in einigen Worten Weg und Richtung zeigen; und weiters möchte ich einer späteren Generation das Abbild einzelner besonderer Frauengestalten bewahren, bevor die Zeit sie ganz und gar ihrer Originalität entleidet und die charakteristischen Züge ihrer Eigenart von dem sogenannten Europäerthum verwischt werden. Ich habe das Gefühl, als stände ich an der Grenzmarke eines Zeitalters, wo die bekannte gute alte Zeit ab und zu mit vereinzelten Ranken und Zweigen sich noch herüberspinnt in den Bereich des Modernen, wo sie aber nicht mehr zu gedeihen vermag und allmählig dahinstirbt, während die Neuzeit die gierigen Wurzeln immer unwiderstehlicher in den Boden senkt und was sie an nährenden, lebenskräftigen Elementen vorfindet, aussaugt, sich assimilirt und in neuer Färbung und Gestaltung wieder zu Tage fördert.

Unsere neueren ungarischen Historiker haben bereits mehr als einmal aus verstaubten, dumpfigen Aktenbündeln eine und die andere vergilbte Urkunde zu prachtvollem Blüthenleben erweckt, die uns ungarische Frauengestalten längst entschwundener Jahrhunderte in anziehendem, oft zauberischen Lichte zeigen. Die ruhmvollen Beherrlicher der ruhmvollen Vergangenheit Ungarns: Börösmarti, Arany, Jótai — welchen Zauberschein haben sie nicht über die ungarische Frauenwelt der Vorzeit ausgegossen! Wer kennt nicht die hochsinnige und hochgelehrte Fürstenmutter Susanna Lóranssy, des ritterlichen Dobozys heldenmüthiges Ehegemahl, das züchtige, herrliche Weib, das sich den Tod durch die Hand ihres Gatten erbat, um nicht Opfer des Tartaren zu werden; wer kennt sie nicht, die holde Jungfrau, die flehend und versöhnend dem hartherzigen Vater an die gepanzerte Brust sinkt und Gnade für den jungen Heiden erfleht, die geistvolle, tapfere Wittwe Franz Ràtóczys.
[ ... ]
Der weibliche Politiker lebt heute noch im Lande, aber diese politische Frau ist nicht mehr dieselbe, die sie ehedem war. Heute wendet sie die Eloquenz ihres Auges, ihre bezwingende Schmeichelei an die alltägliche Wahlagitation. Sie schreitet nicht mehr ihrem Gatten vorauf, sie steht hinter ihm. Im Kriege entwirft sie nicht mehr strategische Pläne, sondern plant kleine taktische Kniffe. Sie ruft nicht mehr durch die Posaune zum Streite, aber sie wirkt durch Einflüsterungen. Sie schmettert nicht, sondern souffliert.

A. Àgay


Laubacher Feuilleton 6.1993, S. 14; Agay, Dr. A.: Ungarische Frauen, aus: Das moderne Ungarn, Essays und Skizzen, hrsg. von Dr. Ambros Neményi, Berlin 1883, S. 313–315, 319

Die Photographie stammt von josefnovak22 unter CC.

 
Sa, 30.05.2009 |  link | (1279) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftliches






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