Die Realitätstheorie ...

und was an ihr wirklich dran ist.



Seit Anbeginn der Zeiten hat sich die Wissenschaft vor allem mit einer Frage auseinandergesetzt: Gibt es die Wirklichkeit? Oder, um es moderner auszudrücken: Kommt der Realität tatsächlich Echtheitscharakter zu? Die Frage zu beantworten, scheint einfach. Dadurch, daß Sie diese Zeitung hier in der Hand halten, werden Sie sagen, ist doch der Beweis erbracht: die Wirklichkeit gibt es. Doch Vorsicht! Unser Ressortleiter ‹Kunst und Wissenschaft› hat einleuchtende Argumente gegen die Realität zusammengetragen. Hier die Ergebnisse seiner Nichtfeldstudie.

Wer sind sie?
Natürlich gibt es viele Helfer und Helfershelfer der Realitätsfanatiker, und manche von ihnen darf man getrost als nützliche Idioten bezeichnen. Andere wiederum sind zwar objektiv gutwillig und aufrecht, doch von jahrzehntelanger Gehirnwäsche schwer geschädigt. Aber, ob gutgläubige Mitläufer oder gerissene Opportunisten, sie sind alle nur Knechte von ihnen. Doch wer, so werden Sie fragen, sind sie? Die Antwort: Sie — das sind alle, die von der Vorstellung einer wirklichen Welt profitieren: Die großen Konzerne, die Fluggesellschaften, die Bundesbahn, die Versicherungen, die Telekom (Papp-Mail und E-Mail), die Politiker und die Reisebüros.

Lachhaft: Der Zusammenhang zwischen Steak und Wirklichkeit
Und, selbstverständlich an vorderster Front, alle Zuträger im sogenannten Überbau, der kulturellen Lügenorganisation, die sich mit solch verniedlichenden Begriffen wie ‹Unterhaltungskunst› oder ‹Showbusiness› tarnt. Beispiel: Der ‹Witz› von Woody Allen, man könne die Realität durchaus anzweifeln, doch sei sie seines Wissens der einzige Platz, an dem man ein anständiges Steak bekommt. Darüber sollten Sie mal nachdenken! Auf die Perfidie dieses Ausspruchs kommen wir später noch zurück. Aber: Erst die Fakten. Natürlich erinnern Sie sich an den Geographieunterricht in der Schule und daran, wie oft Sie die Umrisse Europas auf der Karte verfolgt haben: Skandinavien ganz oben, wie ein Tiger, der zum Sprung ansetzt, die britische Hauptinsel, wie eine Flamenco-Tänzerin mit wallendem Kleid, Frankreich und Spanien als gehorsam Männchen machender Bär, verkehrt herum natürlich, der italienische Stiefel, die dreifingrige Hand Griechenlands ... Doch genug, Sie wissen natürlich, daß diese Europa-Karte Teil der Verschwörung ist und nur zur Gehirnwäsche beiträgt. Denn die Wahrheit sieht anders aus: Europa gibt es gar nicht.

Auch die EU gehört zur Gehirnwäsche
Nun, Sie werden jetzt einwenden, daß alles gegen unsere These spricht: Das Europaparlament zum Beispiel, die Eurocity-Züge, die Europäische Gemeinschaft, der Euro-Scheck, der UEFA-Cup, die Eurovision ... Halt, es reicht. Merken Sie es jetzt? All das findet, mit Ausnahme der Eurocity-Züge, im Fernsehstudio statt. Denn seien Sie doch mal ehrlich: Woher kennen Sie die angeführten Einrichtungen mit dem Prädikat ‹Europa›? Eben, aus der Glotze. Und ich kann Ihnen versichern, was ich bereits 1969 bei der ersten Mondlandung offen ausgesprochen habe: Es ist alles gefälscht. So wie damals Neil Armstrong sein «ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer für die Menschheit» in einem Fernsehstudio in New Jersey geprobt und ausgeführt hat, so stammt alles, was wir über Europa wissen, aus einem vierstöckigen, unscheinbaren Gebäude in München-Unterföhring, gleich hinter dem Kirch. (Sie werden jetzt sagen, das müßte ‹hinter der Kirch› heißen auf bayrisch, aber darauf kommen wir gleich zurück.) Dort jedenfalls, soviel sei gesagt, sitzt das Zentrum der europäischen Verschwörung. Dort wird alles, was Sie über Europa wissen, zusammengestellt und aufeinander abgestimmt. Das ‹wahre›, das ‹wirkliche› Europa dagegen liegt 190 Kilometer von der nordamerikanischen Küste entfernt und ist von Nord nach Süd genau 240 Kilometer lang. Wäre es länger, würde es von seinem eigenen Gewicht in den sumpfigen Untergrund gedrückt, der an dieser Stelle vorherrscht — also schon aus rein physikalischen Gründen kann es gar nicht größer sein. Nur wenn man sich eine Bahn- oder Flugkarte kauft, werden die zurückgelegten Kilometer mit denen auf der Landkarte im Geographieunterricht identisch — logisch, je mehr zurückgelegte Kilometer, um so höher der Fahr- oder Flugpreis. Und mit raffinierter Rückpro-Technik wird im Zug auch die Illusion der wechselnden Landschaft erzeugt, eine Illusion, die wiederum zentral von Unterföhring gesteuert wird (im Flugzeug fällt der Betrug nicht so auf, weil man auch beim Kreisfliegen immer wieder an anderen Wolken vorbeikommt).

Und damit sind wir wieder bei Herrn Kirch, Vorname Leo. Seit der die Rechte an allen Landschaften Europas in einem geheimgehaltenen Deal mit den millionenschweren Hollywood-Moguln erworben hat, geht ohne ihn nichts mehr. Und wenn Sie im Fernsehen genau hingucken, werden Sie auch merken, wie häufig der Hintergrund, die angeblich ‹reale Welt›, sich gleicht. Ein unwiderlegbarer Beweis für die Kirch-Theorie.

Die Mondlandung: Eine plumpe Fälschung
Nun, ich habe schon damals, als ich die Mondlandung als Fälschung entlarvt habe, um mein Leben zittern müssen. Monatelang wurde ich verfolgt, und nach meinen öffentlichen Zweifeln, die ich zur selben Zeit in der Fachzeitschrift Populärer Anti-Materialismus anmeldete, wurde die ‹Mond›-Landung nur immer häufiger über den Äther geschickt. Ohne meine aufklärerische Enthüllungsarbeit hätte man sich, wie bei den meisten Inszenierungen, mit einer einmaligen Wiederholung begnügt. Doch der Spitzel, der auf mich angesetzt war, mußte bald die Waffen strecken, als ich ihn eines Abends in meiner Stammkneipe, in die er mir gefolgt war, zur Rede stellte. Unter der Beweislast seiner Nichtexistenz brach er förmlich zusammen. Seither werde ich nicht mehr belästigt, außer von einem Herrn, der sich als Beauftragter der Bundespost ausgibt und behauptet, ich sei ein notorischer Schwarzseher. Doch auch ihn habe ich erst einmal nach Unterföhring geschickt. Ich bin neugierig, was er mir bei seinem nächsten Besuch für Wirklichkeits-Legenden auftischen wird.

Nun werden Sie sagen: Na gut, Europa in der Form, wie es uns dauernd vorgegaukelt wird, gibt es gar nicht, eine Vermutung, die noch näherliegt, wenn man sich mit (Land-)Wirtschaft und der sogenannten EU befaßt. Doch lassen Sie uns nur ein Beispiel herausnehmen: Die Kuh. Zuerst wollte uns das Essenskartell (die Vereinigung aller mit der Herstellung und dem Vertrieb von Essen befaßter Institutionen) einreden, Essen wachse auf Bäumen oder Pflanzen. Ein absurder Gedanke, der, millionenfach wiederholt, einfach als Realität für bare Münze genommen wird. Wie schwierig diese ‹Baum-Theorie› zu halten ist, sehen Sie schon bei einem Blick aus dem Fenster. Haben Sie je einen Baum gesehen, auf dem ein ‹Mars›-Riegel oder eine Packung Kaugummi wächst, von Ritter-Sportschokolade oder BigMäcs ganz zu schweigen?


Nach der gescheiterten Baumtheorie: Das Märchen von der Kuh
Also: Mit der lächerlichen Baum-Theorie müssen wir uns erst gar nicht weiter herumplagen. Bleibt die Kuh. Was soll nicht alles von ihr stammen! Eine Aufzählung führt die Vorstellungskraft in schwindelerregende Bereiche: Milch, Butter, Käse, Fleisch, Gürtel, Sofabezüge, Jacken, Boxhandschuhe, Schuhe, ja, sogar die Ochsenschwanzsuppe — all das soll von der Kuh kommen!

Nun könnte man angesichts solch absurder Theorien einfach eine Kuh lila anstreichen und über den Rest herzhaft lachen, wenn diese Theorie nicht in den letzten Jahrzehnten immer mehr verwirrte Anhänger gefunden hätte (meist Leute, die auch glauben, Pullover kämen vom Schaf, obwohl noch niemand ein Haar an einem dieser Tiere gesehen hat, das länger als zwölf Zentimeter war!). Sicher werden Sie jetzt auch wissen wollen, wer in einem solch gigantischen Betrug seine Finger im Spiel hat. Sie haben es erraten: Die Regierung, natürlich, die gleichen Leute, die von der Europa-Theorie profitieren, haben auch ein korruptes Interesse an der Aufrechterhaltung des Kuh-Theorems. Dabei weiß jede Kakerlake, woher das Essen wirklich kommt: aus dem Müll.

Die Anzeichen sprechen alle dafür. Weshalb sonst würde jede Gemeinde in unserem Land eine solch riesige Armee von Müllmännern beschäftigen? Richtig, weil der Profit dabei alles übersteigt, was sonst je an subventioniertem Unfug aus Steuergeldern finanziert wurde, die gesamte Atomindustrie und die Gaunerei mit dem Grünen Punkt eingeschlossen. Und die Nachfrage in diesem Geschäft bleibt stetig zunehmend — das behaupten jedenfalls die Verfechter der ‹Zuwachs-Theorie›, jene verantwortungslosen, vom Kapital gekauften ‹Experten›, die uns einreden wollen, daß die Weltbevölkerung ständig weiter zunimmt (Ein Unfug, der leicht zu widerlegen ist: Wie könnte denn eine Menschheit ständig zunehmen, wenn jeder Einzelne sterblich ist? Denken Sie mal darüber nach, bevor Sie wieder die Theorie von der Bevölkerungsexplosion nachplappern!) Doch verschwand die Müllüberwachung schnell wieder aus den Schlagzeilen — man wandte sich dem Genuß des wieder vorhandenen Essens zu, ohne zu fragen, woher es kommt. Doch ich will Ihnen nichts einreden. Versuchen Sie es selbst: Legen Sie einen Haufen Abfall in die Mitte Ihres Wohnzimmers, und Sie werden sehen, daß er sich nach einer Woche in etwa so verändert, daß er genauso aussieht wie Essen, das eine Woche nicht im Kühlschrank lag. Die Augenfälligkeit wird auch Sie überzeugen!

In diesem Licht gesehen, erhält natürlich auch der Ausspruch von Woody Allen seine ganze perfide Bedeutung: Denn wenn es keine ‹Wirklichkeit› (gemeint ist die der Kuh-Theoretiker) gäbe, dann könnte Woody Allen in der Tat nicht behaupten, daß sie der einzige Platz sei, an der er sein Steak essen kann. Die nur vordergründige Absurdität des Statements entlarvt den Regisseur und Schauspieler als das, was er ist: Anhänger des unbedingten Wirklichkeitsgedankens, nur vordergründig humorvoll, tatsächlich aber ein gerissener Agent der Kuh-Theoretiker.

Was ist zu tun?
Zunächst: Schreiben Sie an Ihren Abgeordneten und machen Sie ganz deutlich, was Sie nicht länger hinnehmen wollen: Die Perpetuierung und Proliferation (= Weiterverfolgung, Weiterverbreitung) des Wirklichkeitsgedankens. Statt dessen: Aufklärung über die wahre Lage Europas, die tatsächliche Natur des fiktiven Müllkomplotts und die Nichthaltbarkeit jeglicher Theorien mit Wirklichkeitsanspruch. Nur so — ich wiederhole: nur so —, also durch totale Ablehnung jeglichen wirklichen Gedankenguts, können die dringendsten Probleme der nächsten Zukunft aus der Welt geschafft werden. Denn nur in der Wirklichkeit gibt es Umweltschäden und Bevölkerungsexplosion. Helfen Sie mit — lehnen Sie die Wirklichkeit ab! Geben Sie schon bei der nächsten Wahl Ihre Stimme der NEP — der Nicht-Existenten Partei! Und verfolgen Sie weiterhin die Berichterstattung im Laubacher Feuilleton — der einzigen Zeitung, die es gar nicht gibt. (Vgl. dazu den Beitrag von Herrn Wiegenstein in der Frankfurter Rundschau: «Eine Zeitung, die im Impressum einen Chefkoch aufführt — das gibt's doch gar nicht!»)

Hannes Kreisler


Laubacher Feuilleton 12.1994, S. 2
 
Di, 24.03.2009 |  link | (1973) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftliches






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Letzte Aktualisierung: 05.12.2013, 18:31



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