Käse hält aufrecht

Frankreich — die wunderbare Illusion

Saint Uguzon bewahrt meinen Freund Roland und alle anderen Käsehändler vor Wahlen und anderem Übel. Weil ich mich vor Roland nicht nur im Umgang mit diesen edlen Faulprodukten gelehrig gezeigt hatte, sondern auch mit Abscheu deutschen Protektionismus ablehnte, der nur noch hygienischen Käse, was ein Widerspruch in sich ist, über die Grenzen lassen wollte, wurde ich nach eingehender Prüfung gebeten, an einem Chapitre, einer Würdigung für Saint Uguzon, teilzunehmen.

Am Ehrentisch sitze ich neben dem noch leeren Stuhl von Pierre Androuet, dem Gründer und Prèvot der Confrérie, wie ich seiner Tischkarte entnehme. Gegenüber das Ehepaar Rappaport. Roland Rappaport ist Rechtsanwalt. Wir sind — obwohl «Nichtkäseleute» — auserwählt, heute abend zu Compagnons de Saint Uguzon ernannt zu werden. Die Kapelle schmettert ohrenbetäubend los. Wir erschrecken, doch wird uns schlagartig klar, daß hier nur der Einmarsch des «Präsidiums» musikalisch untermauert wird.

Um den Hals hängt ihnen allen eine große Kette, an deren Ende eine handtellergroße Medaille baumelt. Später werden wir erkennen, daß diese alle gleich wirkenden Medaillen kleine Gradunterschiede aufweisen. Ein einfacher Compagnon de Saint Uguzon hat einen silbernen Rand. In der nächsthöheren Stufe erscheint das untere Drittel mit den Worten «Fromages maintiendront» (Käse hält aufrecht) in Gold. In der höchsten Stufe glitzert die ganze Medaille aus Gold und bedeutet «Maitre fromager».

In der Käsegilde haben sich diejenigen zusammengeschlossen, die für Qualität des Käses in Herstellung und Verkauf bürgen. Da es in Frankreich weder ein geregeltes Gesellen- noch ein Genossenschaftswesen wie in der Bundesrepublik gibt, gründen Produzenten und Fachleute, die auf Qualität achten, ihre eigenen Confréries, in denen nur diejenigen aufgenommen werden, die ihren Ansprüchen genügen. Die Confrérie de Saint Uguzon betreibt Werbung für ihre Mitglieder und sorgt für neue Kontakte.

Die edlen Damen und Herren des Präsidiums begeben sich zu der mit Spanplatten belegten Tanzfläche und stellen sich mit Rücken zu den Musikern auf. In ihrer Mitte vor dem Mikrophon Pierre Androuet, ein älterer, stämmiger Mann, vielleicht einsfünfundsechzig groß, der das Wort ergreift. Über siebzig wird er sein, der Karajan der französischen Fromagerie. Ja, ohne Hemmung darf man in Frankreich einen solchen Käsehändler mit Karajan vergleichen — wer die Papillen göttlich kitzelt, gilt dem als ebenbürtig, der über das Ohr eine Traumwelt entfaltet. Was für eine imposante Figur, dieser Prévot, mit seinem weit ausladenden Bart. Selbstsicher eröffnet er die Sitzung, einige Männer tragen über ihrem linken angewinkelten Unterarm eine Anzahl Schärpen mit Medaillen. Und dann wird aufgerufen, wer die Ehre hat, zum Compagnon de Saint Uguzon ernannt zu werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit, man muß die Erhöhung schon verdient haben, und deshalb bedarf es zweier Bürgen, die vorschlagen, was der Vorstand genau überprüft.

Nachdem Roland mich gefragt hatte, ob ich die Ehre annehmen würde, hat er sein Präsidium auf mich aufmerksam gemacht, denn ich hatte in einem Film über seinen Käseladen den französischen Käse mit Verve in Deutschland verteidigt.

Das war ein Kampf, meine Damen und Herren! Da hatte man einen Prozeß in Freiburg angestrengt, ob ein wunderbar gereifter Käse noch als Nahrungsmittel verkauft werden dürfe. Ein solch affinierter Chèvre sieht wie ein gräulich-grüner Schimmelhaufen aus, was den Kenner auch nicht verwundert, denn der Schimmel ist es ja, der das Kasein verwandelt und — und bei richtiger Temperatur gerade lang genug gelagert — im Innern eine Köstlichkeit verbirgt.

Die Kartoffel hat man einst verboten, weil man von ihr Lepra bekam: Die Unwissenden hatten statt der Knolle die Blüte gegessen, und davon war ihnen übel geworden. Nun meinten die klagenden Deutschen wohl, der Schimmel müsse mitgegessen werden! Im Freiburger Käseprozeß ging es in Wirklichkeit um Protektionismus. Die deutsche Käseindustrie wollte die französischen Produkte vom Markt fernhalten. Bis in den Bundesrat hat es ein Gesetzentwurf gebracht, wonach die Einfuhr von Käse aus nichtpasteurisierter Milch aus «hygienischen» Gründen untersagt werden sollte.

Ein deutscher Käse entspricht einem Putzmittel: Der steht da, riecht sauber, sieht auch so aus und läuft nicht fort; das verdankt er der pasteurisierten Milch, aus der er hygienisch hergestellt worden ist.

Ein französischer Käse ist ein Lebewesen. Von einem Handwerker wird er — so er besondere Qualitäten erhalten soll — nach alten Rezepten aus roher Milch geformt, und seine Güte erhält er erst durch einen ständigen Reifungsprozeß.

Roland Barthélmys Ruf als Käsehändler beruht auf seiner Kunst, Käse in seinem eigenen Keller nachreifen zu lassen und erst dann zu verkaufen, wenn er den geschmacklichen Höhepunkt erreicht hat. Wer bei Roland kauft, der sagt einer seiner rosa gekleideten Verkäuferinnen, womit er vorher die Gäste bewirten wird und wann — heute abend, morgen abend — der Käse gegessen werden soll, ob er den Pouligny eher trocken oder cremig mag, ob der Saint-Marcellin stärker oder weniger nach Stall schmecken soll.

Die deutsche Käseindustrie, die erhebliche Mengen ‹sauberen› Käses aus dem Allgäu oder Bayern (das kann durchaus identisch sein, bemerkt, mit Gruß nach Hamburg, die Redaktion) an französische Supermärkte verkauft, wollte nun verhindern, daß die Deutschen auf den Geschmack kommen und unter dem Schimmel etwas noch Köstlicheres entdecken. Gott sei Dank wachte irgendwer in Bonn noch auf, und das Anti-Käsegesetz wurde zu Fall gebracht.

Ulrich Wickert


Laubacher Feuilleton 7.1993, S. 4 und 5

Den Beitrag (© 1989 Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg) hatten wir entnommen dem 1993 erschienenen ELAN. Das Kulturmagazin von ERATO, Frankreichs Klassiklabel Nr. 1. Ulrich Wickert hatte uns damals freundlicherweise die Genehmigung erteilt. Daß wir ihn — wie viele andere Beiträge aus dem Laubacher Feuilleton — hier erneut veröffentlichen, hat einmal mehr mit der Aktualität zu tun. Ein Kommentar zu diesem ganzen Käse findet sich hier.

 
Fr, 13.03.2009 |  link | (2213) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gastrosophisches






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