Hoffnungsträger

Einer, der etwas trägt, ist ein Träger. Nein, nicht um Damen- oder Herrenmode soll's hier gehen. Auch nicht um Gepäckträger, die ja ziemlich ausgestorben sind, denn Demokraten schleppen ihre Koffer selber. Und ebenfalls nicht um Wasserträger, das wäre ein Problem der dritten Welt, viel zu weit entfernt, um uns unmittelbar zu betreffen. Auch die sogenannten Leistungsträger, in Wirtschaftskreisen höchst favorisiert, sollen links liegenbleiben, ebenso Flugzeugträger, ganz zu schweigen von irgendwelchen Preisträgern, die vornehmlich in Kunstgefilden herumpfauen.

Nein, es geht vielmehr um eine Spezies von Trägern, die (zumal in schlechten Zeiten) stark im Kommen ist, deren Tragfähigkeit durch erhebliche Traglast herausgefordert wird — es geht um die Klasse der Hoffnungsträger.

Man trifft sie vornehmlich unter Politikern an. Herr S. ist ein (wenn nicht überhaupt der) Hoffnungsträger der SPD, während die Grünen alle ihre Hoffnungsträger bereits verschlissen haben (einer ging in Feinschmeckerlokalen verloren). Wer an die Macht will, braucht Hoffnungsträger; wer die Macht hat, kann getrost auf sie pfeifen.

Auch im Sport und in der Kultur wimmelt es von Hoffnungsträgern, wenn es um ‹das große Ganze› geht: um den Fußball, um das Boxen, um die Literatur, um den Film, um die Kunst — und dann verglühen diese Meteore rasant, über Nacht. Ein undankbarer Job: Hoffnungsträger.

Und welch ein Wort: Hoffnungsträger! Man lasse es sich auf der Zunge (und im Kopf zergehen: Hoffnungsträger ... Hoffnungsträger ... Hoffnungsträger. Stemmt da nicht Atlas den Globus? Und: Hat dieses Wort nicht etwas — Eschatologisches? Etwas vom Erlöser, auf dessen Schultern die Hoffnung der Welt (und gleich der ganzen) ruht? Hoffnungsträger zu sein, bedeutet den Gipfel der Trägerkultur. Warnung: Nur nicht sich verheben! Keine Haftung bei Wirbelsäulenschäden.

Ernst Bloch hat uns das Prinzip Hoffnung eingebleut, wortstark und vielhundertseitig. Volkes Meinung ist — grenzenlos — solcher Botschaft gegenüber eher skeptisch. In Rußland dachte oder denkt man: «Auf der Wiese der Hoffnung weiden viele Narren.» In England spottet oder spottete man: «Wer von der Hoffnung lebt, tanzt ohne Musik.» Und hierzulande heißt es im Sprichwort: «Die Hoffnung ist ein langes Seil, an dem sich viele zu Tode ziehen.»

Fazit: Machen. Jetzt. Gleich. Nicht hoffen, nicht hoffen lassen. Lieber der magere Spatz in der Hand als die fette Taube auf dem Dach. Dann blendet — hoffentlich — bald auch nicht mehr der messianische Talmiglanz des sinister-unaufgeklärten Wortes Hoffnungsträger, das sich so pathetisch bläht.

Niels Höpfner

Laubacher Feuilleton 20.1996, S. 15
 
Di, 17.02.2009 |  link | (1314) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftliches






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