Geldsackpolitik

in der «Krämergesellschaft»

Der Name Johannes Gaulke dürfte heute kein Begriff mehr sein. Keine seiner Schriften, die er zwischen etwa 1898 und 1928 veröffentlichte, ist heute mehr allgemein zugänglich. Das Spektrum seiner Themen reichte von Nationalökonomie und Sozialpolitik bis hin zu einem Grundriß der Kunstgeschichte (1898). Er publizierte auch in einer Reihe, die von Werner Sombart eingeleitet wurde, und gehört damit zu einem Dunstkreis von sich auf Marx berufenden Kapitalismuskritikern, die, wie im Falle Sombarts, von den Konservativen abschätzig «Kathedersozialisten» genannt wurden.

Gaulkes Büchlein Die ästhetische Kultur des Kapitalismus aus dem Jahr 1909 ist eine leidenschaftliche Anklage gegen die Automatisierung, die Entindividualisierung, kurz, gegen die Verunmenschlichung des Menschen in der ausschließlich merkantilisch ausgerichteten Wirtschaftsform des Kapitalismus. Er geht den Wechselbeziehungen von Wirtschaft und Kultur nach — bereits 1904 hat er eine Schrift über Kapital und Kapitalismus verfaßt — und kommt zu dem heute um so mehr gültigen Schluß: «Der gesellschaftliche Umschichtungsprozeß, der sich unter unseren Augen vollzieht, geschieht aber — darauf weise ich besonders hin — nicht nach dem Prinzip einer Auslese der Besten und Tüchtigsten, sondern nach dem Grade der merkantilischen Begabung.»

Der Versuch einer Psychologie des modernen Menschen, also des Menschen und damit Arbeiters unter der Herrschaft des Kapitals, mit historischen Exkursen in Mittelalter und Renaissance leitet über zur Feststellung der Umwertung der Kunst in der kapitalistischen Gesellschaft: Kunst als Ware, Reklame als Kunst, Prüderie in der Kunst — von Gaulke genannt «Versittlichung der Kunst» — usw. Aufgrund der zunehmenden Industrialisierung der bildenden Kunst wie auch des Kunsthandwerks («Denkmalsseuche» unter Wilhelm II.) plädiert Gaulke für eine Gesundschrumpfung nach Qualitätsmaßstäben. Auf Akademien würden ohnehin keine Künstler herangebildet, sondern, «wie auf allen staatlichen Lehranstalten, Streber und Beamte». Kein großer Künstler der Vergangenheit sei aus einer staatlichen Drillanstalt hervorgegangen. «Mehr Kunst, weniger Kunstproduktion!»

Bemerkenswert ist, daß Gaulke mit scharfem soziologischem Blick auch die sog. Alltagskultur berücksichtigt, also Mode — die, so Gaulke, den Stil abgelöst habe — oder Reklame. Er weist auf die heute wieder zum Thema gewordene Nivellierung von Kunst und Kunsthandwerk bzw. Kunstindustrie hin und stellt die ästhetisch revolutionäre Wirkung des Kapitalismus heraus: Die Werte «Schön» und «Häßlich» seien abgelöst worden durch die Wertung nach «Zweckmäßigkeit» und «Unzweckmäßigkeit». Er tritt, Adorno läßt grüßen, für die Zwecklosigkeit, die Autonomie der Kunst ein. Das gilt natürlich genauso für Literatur und Theater, denen ein Kapitel gewidmet ist. «Das Bürgertum hat als Kulturfaktor abgedankt, wenngleich es auf der Höhe seiner wirtschaftlichen Macht steht.» Die Hoffnung auf die Arbeiterschaft ist durch eine erneute Ständeverschiebung heute anachronistisch; trotzdem hat Gaulke das Kernproblem erfaßt. Liest man seine Schilderung einer fast monopolisierten Presse im Berlin des beginnenden Jahrhunderts, tauchen Bilder aus der jüngeren Vergangenheit auf.

Gaulke schreibt engagiert, leidenschaftlich, polemisch. Nicht zynisch, Zynismus ist reserviert für die Plutokraten. Man ist heute geneigt, ein Buch wie das von Gaulke nicht ganz ernst zu nehmen, weil es die Wahrheit sagt. Dieser Realitätsverschiebung könnte man dadurch begegnen, daß man gerade dieses Werk neu publiziert, um in der historischen Distanz dessen aktuellen Wahrheitsgehalt wieder zu erkennen.

Ivo Kranzfelder

Laubacher Feuilleton 1.1992, S. 3
 
Sa, 11.10.2008 |  link | (1478) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kunst und Geld






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