Gespenster

Das Gesetz ist gierig, schreibt der Jurist und große Dichter Albert Drach. Seine Gier zielt nicht nur auf die Rechtsunterworfenen, sondern auch auf die Rechtsanwender, die Juristen. Das Gesetz ist eine Form der staatlichen Machtausübung, neigt jedoch dazu, sich zu verselbständigen. Soweit das im Rahmen einer quasi moralischen Aufladung geschieht, ist das ja noch verständlich, wenngleich es eine gewisse Konfusion mit dem Begriff des Rechtes voraussetzt, der keinesfalls identisch mit dem des Gesetzes ist; zutreffend spricht das Grundgesetz davon, daß der Staat an «Gesetz und Recht» gebunden ist.

Nicht unkomisch ist es jedoch, wenn die im großen und ganzen durchaus vernünftigen Regeln des Gesetzes nicht nur als Regeln, sondern als Wirklichkeit aufgefaßt werden. Hierzu neigen Juristen ganz besonders.

Manchmal scheint sich das Gesetz dieser Gefahr durchaus bewußt zu sein, spielt aber mit der Wirklichkeit. «Als Weihnachtsmann im Sinne dieser Verordnung gilt auch der Osterhase» (Regelung der Schokoladenwanddecke) oder: «Das uneheliche Kind gilt als mit seinem Vater nicht verwandt», (so das BGB bis zur Reform des Unehelichenrechtes 1969). Derartiges könnte ganz harmlos sein, denn methodisch handelt es sich hier lediglich um Verweisungen. Aber warum formuliert das Gesetz nicht einfach: Diese Verordnung gilt auch für Schokoladenosterhasen, oder: Die Regeln über Verwandtschaft sind nicht auf das Verhältnis des Vaters zu seinem unehelichen Kind anzuwenden? Vielleicht macht es den Gesetzgebern einfach Spaß, die Wirklichkeit ein wenig spielerisch zu manipulieren. Im Falle des Osterhasen ist es nur komisch, im Falle des unehelichen Kindes jedoch anzunehmen, daß ein ideologisches Interesse im Hintergrund stand.

Die Zeitschrift GEO hatte im letzten Jahr eine Diskussion darüber entfacht, ob es Grundrechte für Tiere geben solle. Ein Leserbriefschreiber, ein Dr. jur., bewies juristisch haarscharf, daß dieses nicht möglich sei: Das Grundgesetz kenne nur natürliche und juristische Personen, und Tiere könnten ihre Rechte nicht wahrnehmen.

Damit sitzt er ganz tief im Schlund des gierigen Gesetzes. Offensichtlich ist, daß jeder schon einmal ein Tier gestreichelt hat, und wohl auch eine ‹natürliche› Person, aber eine ‹juristische Person› (die überdies im französischen und österreichischen Sprachgebrauch — wohl nicht aus diesen Gründen — ‹moralische› Person heißt)? Eine juristische Person gibt es nämlich nicht, sie ist ein Gespenst, eine Fiktion: Das Gesetz sagt, daß auf bestimmte Phänomene die Regeln jedenfalls zum Teil anzuwenden sind, die für ‹natürliche Personen›, also Sie und ich, gelten: Solche Phänomene können Personenmehrheiten (nach einer Theorie des 19. Jahrhunderts ‹reale Verbandspersönlichkeiten›) sein, also z. B. der Staat oder der Kaninchenzüchterverein, aber auch ein Vermögen, das in die juristische Form der Stiftung gegossen ist. Dieses führt zu der keinen Juristen zum Erstaunen bringenden Konsequenz, daß ein Vermögen sein eigenes Grundrecht auf Eigentum hat.

Der Leserbriefschreiber der Zeitschrift GEO verkennt etwas Grundlegendes: Aus juristischen Gründen ist nichts unmöglich. Selbstverständlich kann der Gesetzgeber bestimmen, daß Tiere Grundrechte haben und praktischerweise zur Ausübung dieser Rechte hierzu geeignete natürliche oder juristische Personen bestimmt werden. Hieran ist ebensowenig oder ebensoviel bemerkenswertes, wie an jeder juristischen Person: ‹Real› ist, wenn man sich nicht auf eine philosophische Diskussion über die Realität des geistigen Seins einlassen will, die juristische Person nämlich in keinem Falle. Sie ist ein Gespenst, das allerdings erstaunliche Macht entwickeln kann. Unser Leben wird weitgehend von derartigen Gespenstern bestimmt, nämlich von den GmbH und Aktiengesellschaften, die als Arbeitgeber oder Geschäfts- und Vertragspartner auftreten, von dem öffentlich-rechtlichen juristischen Personen bis hin zum Staat.

Das Gespenst GmbH kann besonders tückisch sein. (Diese Gesellschaftsform ist übrigens erst 1892 beim deutschen Gesetzgeber ohne historisches Vorbild aus Zweckmäßigkeitsgründen erfunden worden; man sage also nicht, daß das Gesetz seine Legitimation aus ‹dem Volk› hole!) ‹Inhaber› einer GmbH kann auch eine einzelne Person sein, die gleichzeitig Geschäftsführer ist. Diese Person spricht dann auch davon, sie habe eine GmbH. Das Gegenteil ist richtig: Die GmbH hat sie. Als Geschäftsführer hat sie nämlich die Interessen der GmbH zu wahren und nicht die Interessen des Kapitalgebers. Sie kann deshalb unter Umständen sogar wegen Veruntreuung verurteilt werden, Veruntreuung von Geldern, die, so sollte man meinen, wirtschaftlich doch eher ihr selbst zustanden.

All dieses ist uns selbstverständlich geworden, obwohl es doch eigentlich nicht menschlich ist; aber auch mit diesem Argument sollte man vorsichtig sein: Das Wort ‹homo› bezeichnete im alten römischen Recht denjenigen, der eben keine persönliche Rechte hatte, nämlich den Sklaven. Dieses könnte man zum Anlaß nehmen, zu behaupten, daß die Zuerkennung von Rechten, gleich welcher Natur oder Konstruktion, ohnehin eine Fiktion sei. Jedenfalls hätte der oben erwähnte GEO-Leserbriefschreiber als alter römischer Jurist argumentieren müssen, daß es unmöglich wäre, einem ‹homo› Rechte zu gewähren.

Wolf Schenk

Laubacher Feuilleton 18.1996, S. 14
 
Mi, 25.05.2011 |  link | (1621) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Philosophisches






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