Von Schüssen und Hintermännern Telefax aus Paraquay Mein Lieber, kennst Du die Geschichte von dem General, der einer Gewehrkugel entkommen ist, weil er anstatt seines Chauffeurs selbst am Steuer saß? Könnte überall passiert sein, sagst Du. Was hältst du dann von der Fortsetzung: Der Geschorene (Bild für General), der ungeschoren blieb, ruft Verstärkung, die — Hauptmann Ruiz-Diaz sowie ein Oberleutnant und zwei Unteroffiziere — schon nach zehn Minuten da ist. Der General springt zu seinen Mannen in den Wagen, braucht aber gar nicht viel zu sagen. Der Sachverhalt ist so klar, daß, kaum ist man losgebraust, gleich wieder ein Schuß knallt, diesmal tödlich, weil direkt und aus nächster Nähe in den Hinterkopf unseres Unglücklichen. Kaliber 6.35, 7.45 Uhr, und nicht weit davon beginnt gerade die Schule, wohin der wenige Stunden später, um 12.30 Uhr, verstorbene Militär seine Tochter — ein Nachzüglerkind — am Morgen hatte bringen wollen. Falsch. Die Schule hat nicht begonnen — wahrscheinlich nicht. Vielmehr werden alle noch draußen herumgestanden haben, von den Lehrern, wie überall auf der Welt, so auch in Paraquay, halb drohend, halb herzig angetrieben, sich endlich der Straße ab- und dem Lehrstoff zuzuwenden. Stoff. General Ramón-Rosa Rodríguez war formal nicht mehr aktiver Soldat, sondern Direktor einer Antidrogen-Einheit, die direkt Staatspräsident Wasmosy unterstellt ist. Der mutmaßliche Mörder, Hauptmann Ruiz-Diaz, wurde selber leicht verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Keinenfalls habe er auf den General geschossen, sagte er in einem ersten Verhör. Er hätte nichts anderes wollen, als sich selbst das Leben nehmen, man habe ihn aber entwaffnet. Beides, das Mord- wie das Selbstmordmotiv für den Hauptmann wäre immerhin nachvollziehbar, wenn es stimmt, daß er Geld unterschlagen hat: 40 000 US$, und sein Chef sei daran gewesen, die Sache aufzudecken — also doch wieder (s. o.) eine Allerweltsgeschichte. Es stört nur ein wenig, daß der verletzte Hauptmann noch im Besitz (s)einer Waffe war, als er in das Krankenhaus eingeliefert worden — dies schwört der behandelnde Arzt. Mittlerweile gilt Ruiz-Diaz als überführt. So ist es! Oder ist es so? Genieße den Sonntag, es ist dein letzter, verkündete die Mafia dem Rauschgiftfahnder, der wohl Dinge wußte, die sich aktuell mit den Aussagen eines Piloten deckten, der von einem Kokain-Transport von 323 Kilogramm von Bolivien in den Chaco nach Paraquay berichtete. Hintermann dieser Operation, sie fand 1990 statt, war, so der Pilot Andrés Rodriguiz, auch ein ehemaliger General, der im fraglichen Jahr sogar Staatspräsident von Paraquay war, nachdem er vorher, 1989, den Diktator Stroessner weggeputscht hatte. Genau genommen konnte sich der Staatspräsident nur als Hintermann fühlen. In Wahrheit nämlich sei er, so der Pilot, einer verdeckten Aktion des DEA, der Antidrogen-Einheit der USA, aufgesessen, die sich mit diesem Handel Aufschlüsse über die Szene versprach und gewann. Vielleicht gewann, denn es kann ja auch der paraquayanische Staat gewesen sein, und mit ihm der jetzt so genannte Hintermann Staatspräsident Rodríguez, der damals nichts anderes versuchte, als die Mafia zu entlarven. Nur deshalb wurde dann bei dem Geschäft mitgespielt, das sich heute als Finte der Amis erweist bzw. als solche ausgegeben wird. Gut möglich wäre es dann, das dieses ganze Hin und Her mit den Drogen lediglich Produkt der jeweils verdeckten Bekämpfungsstrategie ist. Um Fallen zu stellen, muß man nunmal dieses Zeug bewegen. Was — im konkreten Fall — stört, ist der fast schon vergessene Tote. Nein, das geht zu weit. Hätte ihn, wie es sonst üblich ist, ein professioneller Killer aus Brasilien auf dem gewissen, dann könnte man sich darauf konzentrieren, den Mörder zu schnappen. Ach so, den Mörder haben wir ja schon. Bald wird er es selbst glauben. Lieber, die Geschichte ist hier nur künstlich beendet. Ruiz-Diaz, der «Mörder», war in der Zeit der 323 Kilo Kokain Chef der Militärpolizei in der entsprechenden Gegend im Chaco, ein Landstrich, in dem die Indianer zu rechts links sagen, weil sie sich in ihr Gegenüber hineindenken. Ich muß mal wieder das Buch raussuchen, wo ich das gelesen habe. Vorher aber, jetzt, endlich, muß ich meinen Max vom Kindergarten abholen. Melde Dich! Rainer Willert Laubacher Feuilleton 12.1994, S. 16
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