Neusprech (1996)

«Wer Ladyisches will, der searcht nicht bei Jil Sander»: Das Snacken auf die junge Art.

Von einem akuten Erstickungsanfall wurde der Autor jüngst beim Verzehr einer süßlich ummantelten Erdnuß befallen, nachdem er zufällig auf die Packung geblickt und dort folgenden Satz wahrgenommen hatte:

«Genießen Sie die knusprig feurigen NIC NACs. The double-crunch-Peanuts. Erst nict man die köstliche Hülle, dann nact man die knackige Erdnuß. Das ist Snacken auf die junge Art. NIC NACs Turn it up!»

Es ist ja eine Sache, die nach schulärztlicher Auskunft ohnehin zu verfrühter Wohlbeleibtheit tendierende Jugend mit immer neuen Kalorienbomben der Versuchung auszusetzen; eine andere — schlimmere — ist es aber, dies in einer Art und Weise zu tun, die schon voraussetzt, was allenfalls ihre Folgen sein könnte: daß nämlich die konsumierende Jugend geistig weit hinter jede Schwachsinnsgrenze zurückgefallen ist. Definitiv hinter dieser Grenze bewegen sich inzwischen größere Teile der Werbungstreibenden: Sie sind offenbar dumpf entschlossen, die deutsche Sprache in ein seltsames Gebräu aus falschem Amerikanisch und noch falscherem Deutsch und damit in eine der vielen Pidgin-Varianten des Englischen zu verwandeln. Die Lufthansa zum Beispiel informiert: «Miles & More führt ein flexibles Upgrade Verfahren ein: Mit dem neuen Standby-Oneway Upgrade-Voucher kann direkt beim Check-in das Ticket aufgewertet werden» — und wir sind ernstlich der Meinung, daß eine verantwortungsbewußte Bundesregierung einer Fluggesellschaft, die solche Sätze in großer Auflage drucken läßt, für mindestens ein Jahr die Landerechte auf allen deutschen Flughäfen entziehen müßte.

Die Bayerischen Motorenwerke verspielen ihren Ruf als Erzeuger intelligenter Fahrzeug- und Motorentechnik, indem sie zur Förderung ihres Absatzes von Kombilimousinen auf ganzseitigen Anzeigen — tiefer, breiter, dümmer — stammeln: «Skate, Jog, Camp, Race, Glide, Sprint, Drive«.

Die Telekom verkündet, daß samstags und sonntags zwischen Dagebüll und Altglashütten ein «Weekend-Tarif» gelte, und die Deutsche Bundesbahn bringt einen «Intercity-Night» durch das Schwäbische auf den Weg.

Und die seit längerem völlig durchgeknallte Textilbranche faselt außer von «Casual Wear», «Basics» und «Classics» neuerdings auch noch was von «Ausstatter-Socks», und ein Normalgebildeter hat ja einige Mühe herauszufinden, daß es sich dabei um Strümpfe (englisch: Stockings) der besseren Art handeln soll.

In einer unappetitlichen Mischung aus Sprachmasochismus, Jugendlichkeitswahn und schlichter Verblödung taumeln Medien, Werbung und alle anderen Trendbesoffenen in einen Sprachgebrauch, dessen Folgen man in 15 Jahren wird besichtigen können — wenn die heutigen Jugendlichen, denen dieser Müll in die Lebensphase geschüttet wird, in der Sprachgefühl und Sprachstil sich bilden, zu sprechen, zu schreiben und «zu sagen» haben werden.

Wer nicht solange warten will, muß allerdings nur den richtigen Leuten zuhören: Frau Jil Sander etwa, einer Modeschaffenden, die «etwas Weltverbesserndes» in sich verspürt und möglicherweise deswegen in ihren öffentlichen Verlautbarungen die verheerenden Folgen langjährigen Modemachens, Werbungstreibens, Trendsettens und Cityhoppens dramatisch illustriert:

«Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das future-Denken haben muß. Meine Idee war, die handtailored Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wel Ladyisches will, searcht nicht bei Jill Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.»

Ich weiß: Die Anhänger eines immerwährenden «Laissez faire, laissez aller» wiegeln ab und meinen, dieses Kauderwelsch sei ein bezahlbarer Preis für Weltläufigkeit und kosmopolitische Gesinnung; und beide seien im Zeitalter der Globalisierung ganz unverzichtbar.

Weltläufigkeit und kosmopolitische Gesinnung? Die Haltung, die einmal «weltbürgerlich» genannt wurde, zeichnete sich gerade dadurch aus, daß sie kulturelle und sprachliche Unterschiede zu schätzen, auszuschöpfen und zu genießen wußte. Das allerdings erfordert eben Kenntnis dieser Unterschiede — und Respekt vor und Liebe zu den jeweiligen Eigenarten: der eignenen und der anderen Sprache und Kultur.

Was sich heute mit «Global village» und «It's one world»-Phrasen in einem schauderhaften Sprachverschnitt als «kosmopolitisch» herausputzt, ist kein neues Weltbürger-, sondern ein kenntnis-, gedanken- und empfindungsleeres Weltbanausentum, geprägt von einem dumpfen, spießbürgerlichen Ressentiment gegen alles «Nichtglobale».

Thomas Hoof

Laubacher Feuilleton 19.1996, S. 11

aus: ‹ManuFactum›-Hausnachrichten (Sommer 1996) des Versandhauses, das sich das Motto ‹Es gibt sie noch, die guten Dinge› aufs Firmenschild geschrieben hat (siehe Laubacher Feuilleton 12.1994, S. 12) Unser Autor, dem wir herzlich für die Nachdruckgenehmigung danken, betreibt außer der genannten auch noch eine Firma namens ManuScriptum, mit der er sich der ‹Wiederlebung› alter Bücher widmet, beispielsweise: Charles Dickens, Werke in 12 Bänden, in der Übersetzung von Gustav Meyrink.

 
Mo, 03.05.2010 |  link | (1975) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache






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