Schwatte Perlen

Frankreich, so geht die Kunde, konnte nach 1938 nur deshalb (wieder) Welt- und dann Europa-Weltmeister ff. im Football werden, da man sich der wenigen natürlichen Ressourcen besann, die man im Landesinneren zur Verfügung hatte. Findige Trüffelsucher erinnerten sich einstiger erfolgreicher Kolonialpolitik und damit des andersfarbigen Fußballmenschenmaterials, das mehr oder minder zwangsläufig über einen französischen Paß verfügte — und ohnehin längst in den französischen Ligen kickte. Es soll Nationaltrainer Aimé Jacquet gewesen sein, der meinte, das seien schließlich auch Franzosen. Mit den aus Algerien beziehungsweise Armenien stammenden Zinédine Zidane und Youri Djorkaeff hatte er Les Bleus bereits mit Fremdblut «gedopt». So wurden schließlich auch die «schwarzen Perlen», gegen den Widerstand vieler (Frankreich den Franzosen!), in die Equipe Tricolore integriert, und Roger Lemerre als Nachfolger von Jacquet setzte diese Durchrassung fort. Das erbrachte 1998 den Weltmeister- und 2000 den Europameistertitel — und (fröhlich nebenbei) dem Rassisten Le Pen herbe Stimmenverluste.

In der Bundesrepublik Deutschland war das etwas schwieriger. Der deutsche Offizielle konnte nicht mal eben einen Inlandsflug über tausende von Kilometern buchen, um einen Spieler heim ins Reich zu holen. Wie bekannt, war das spätestens nach 1945 vorbei. Überhaupt tat man sich in deutschen Landen schwerer mit dem Fremdländischen. Tat? Tut? Half und hilft da auch kein europäisches Urteil? Da es nun nun — das Sommermärchen ist vergessen — wieder losgegangen ist mit dem Alltagvolkssport, sei daran erinnert, wie sich das anließ in den Anfängen des Umbruchs.

—jst


Mein Ausländer ist ein Fußballspieler

Glaubt man dem pastoralen Chefschwadroneur des DFB und nimmt man noch die treuherzigen Augen des Bundes-Berti hinzu, so sind spätestens mit dem Wiedergutmachungsspiel zwischen dem inländischen und dem internationalen Auswahlteam im September alle Reparationen bezahlt, Stockhiebe und Springerstiefeltritte abgegolten wie auch Molotow-Cocktails gelöscht. Wir ‹herzerln› unsere ausländischen Mitbürger der Bundesliga — womit auch alle anderen Feindseligkeiten geklärt wären —, für meisterschaftsentscheidende Tore lieben wir sie ganz besonders, und hernach legen wir noch ein paar Mark drauf, damit nicht wieder andere ausländische (namentlich italienische) Vereine unsere Fußballer noch lieber haben als wir, sprich aufgrund stärkerer monetärer Potenz sie uns abkaufen. Daß Liebe wie auch Gegenliebe käuflich sind, hat gute Tradition, der sich natürlich auch Bundesligamanager nicht entziehen mögen. Und so kommt es zu einer erstaunlichen Personalstatistik der laufenden Saison: die Bundesliga, so eine sid-Meldung, ist eine Dépendance der Vereinten Nationen; 144 Beine aus 32 Ländern spielen, schnaufen und schwitzen sams-, sonn- und montäglich in modernen Kolosseen resp. Fußballtempeln, und das entspricht etwa einem Fünftel der Gesamtbelegschaft der Bundesliga. Für den Leser, der sich nicht unter die Experten rechnet, hier ein paar Figuren von besonderer Publizität. In Bremen haben ein Kiwi, ein Elch und ein Wiener Walzerist den Hauptanteil am Gewinn der letzten Meisterschaftstrophäe (und an dem des diesjährigen Wettbewerbs, Otto der Große will es so); in Frankfurt feiern die Zeugen Yeboahs ihren Religionsstifter (dessen Knie-Fall und damit Ausfall für Monate womöglich den Titel versaubeutelt); in München kommt el tren überhaupt nicht in die Geleise, weil er zwar intelligent, aber nicht so sprachbegabt sei, daß er auch in der dort gepflegten Variante des Deutschen vorne und hinten verstehen könne (und das bei einem Ablösefleischpreis von 100.000 DM pro Kilo!). In Bochum wird die Abwehr von einem niederländischen Nationalspieler namens Käse zusammengehalten und soll jetzt auch ein Wikinger im Sturm mächtig aufs gegnerische Schild dröhnen. Forza Sforza (italienisch für «Petermann geh du voran») kreiselt und werkelt im Lauterer Mittelfeld; ein Orchester von Kuhglocken accompagniert die Bemühungen des Dortmunder Schweizers Chappi, den Ball auf rätselhafte Weise ins Netz zu fummeln. Weniger filigran, eher brachial teilt dieses Ansinnen Hamburgs Litauer Ivanauskas, dessen Gesichtszüge schon beim Warmlaufen nichts Gutes, also eher Schreckliches verheißen.

Ach ja. Wir lieben unsere Metaphern und könnten gar nicht ohne sie, die Schwierigkeiten erträglich und Spaß überdies machen. Solcherart könnte man weiterschwelgen, viele andere Vorschläge machen für den Titel des Bundesligafußballers des Jahres fremdländischer Provenienz; phantasiereich könnten Vorstellungskomplexe entwickelt werden, und durch Assimilation via Spitznamen verleibte man sich Entferntestes ein. Die Motti «Mein Freund ist Ausländer» und «Friedlich miteinander» sind wohlmeinend, ihre Publikation notwendig (und die hiesige Überschrift also durchaus titanicmäßig). Doch schlägt ihre Wirkung schnellstens nach Schönfärberei, und nicht zuletzt sind sie ausgesprochen quotenfördernd: um wieder zu Sat 1 aufschließen zu können, haben sich die RTLer einen besonders hübschen Spot einfallen lassen, der an Fußballern und Malochern die internationale Solidarität (und Effizienz) belegt. Bleibt man dagegen beim Sportalltag, ist das Bild nicht so nett: ist Wattenscheids Senegalese Souleyman Sane am Ball, schallt es bei Auswärtsspielen vielfach «Husch husch husch — Neger in den Busch» bzw. in der Variante, die auch der Fan mit IQ von 5 Punkten unterhalb der Toastbrotmarke beherrscht: «Uh uh uh» (daheim hingegen ist er die «schwatte Perle»). Ähnliches wird über den famosen Jay Jay Okocha oder über Martin Dahlin berichtet (der kommt noch besser weg, ist ja auch Mischling); im Falle Yeboahs bleibt die Schmähung einzig aus, weil sonst der Fan Gefahr liefe, seinen Fachverstand aberkannt zu bekommen. Umfassendes outing ist das Leitprinzip — dagegen nehmen sich die Verunglimpfung Effenbergs als Heino und die Pfiffe gegen ihn nett aus —, und daß Fußballfans in puncto Rechtsradikalismus immer schon etwas besonderes waren, gibt nicht vielen zu denken ... Im übrigen: was ist von der «Ausländerregel» zu halten, die europaweit den Einsatz von mehr als drei ausländischen Spielern verbietet — über die bereits die Frankfurter Multikulti-Truppe wie auch, folgenreicher, die übereifrigen Stuttgarter gestolpert sind? Fußball scheint prinzipiell für die Dichotomie von Innen und Außen, Eigenem und Fremdem äußerst aufnahmebereit zu sein.

Abseits dieser und vieler anderer möglicher Belege stört aber noch etwas anderes. Gerade die Kategorien von In- und Ausland sind doch wohl auch Teil einer Täuschung, einer künstlichen Differenzierung, die unter den Spielern selbst nicht existiert. Nationalität ist unter Kollegen, die gleichviel verdienen, kein Thema, mit anderen Worten: in Termini von Ökonomie ist das Exemplar des Ausländers (extraneus, peregrinus) nicht mehr vom geographischen Standort aus zu beurteilen, sondern vom ökonomischen. (Vorbei die Zeiten Shakespeares, in dessen King Lear noch jemand als niederträchtiger «base football-player» bezeichnet werden konnte!) Könnten sie etwas dafür, müßte man heute umgekehrt Profis beschimpfen, die sich ohne Wimpernzucken das Dreißigfache eines Taxifahrergehaltes einstecken und um mehr feilschen; die Lunge könnten sie sich aus dem Halse rennen, und doch stimmen die Relationen lang schon nicht mehr. Ohne die Gehaltsstreifen der ledertreibenden Geschäftsleute im einzelnen zu kennen, ist die These nicht weit hergeholt, daß, gibt es noch einen Ausländer in der Bundesliga, dies in der Tat der nebenberufliche Spieler, oder, im Managerjargon, der Vertragsamateur ist. Zumindest einen gibt es noch, der dies auch nicht aus Not, sondern aus Überzeugung ist: Joachim Hopp, Stahlkocher bei Thyssen (wie lange noch?), samstags auch für den MSV Duisburg tätig, dem sie wahrscheinlich im stadionbenachbarten Zoo dafür demnächst ein Denkmal setzen. Auf jeden Fall ist dieser Paradiesvogel Vorbild für meinen Tip zur Wahl des Fußballers des Jahres, In- und Ausländerabteilung zugleich. Und der lautet, dafür steht auch Beuys Pate: ein jeder nehme seine Eier selbst in die Hand, den Ball auf Schlappen oder Klebe und sei sein eigener Künstler, sein eigenes Vorbild, auch wenn er in der untersten Kreisliga der lederumhüllten Gummiblase nachjagt. Habent sua fata idoli! Viel Spaß wünscht der Ruhrpott-Rastelli:

Ralph Köhnen

Laubacher Feuilleton 8.1993, S. 7; wiederabgedruckt in: Überall ist Laubach. Berichte vom Nabel der Welt.
 
Di, 08.09.2009 |  link | (2683) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Sportliches






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