Kunst der Nichtschwimmer Für Frank Auerbach In den Dreißigern hat es Versuche gegeben, innerhalb der École de Paris eine jüdische Fraktion ins Leben zu rufen. Zu ihr gehörte, natürlich, Marc Chagall, und ihr zugerechnet wurden nicht nur Amadeo Modigliani und Chaim Soutine: minder bekannte Leute wie Kikouïone oder Mané-Katz sollten in dieser Fraktion eine Heimstatt finden. Mané-Katz oder Kikouione sind heute vergessen, ob zu Recht oder zu Unrecht, bleibt dahingestellt. Vergessen aber ist die vierte Galionsfigur der Fraktion, ein Mann, der einst erfolgreich war bis zum Geht-nicht-mehr, der, im übrigen, mit Balthus oder vor Balthus das Lolita-Sujet, kleine Mädchen mit hochgeschürzten Röcken, ins Bild gebracht hat: Julius Pinkas, genauer: Jules Pascin. Dieser Mann war ein Vorbild: als er sich das Leben nahm, hat ihn Ringelnatz in Versen beklagt; Gotthard Jelicka hat in Worten sein Portrait gezeichnet. Er war der typische Montparnos, ein Weltenbummler, den man mit Fug auch einen Halbweltenbummler, ein Zeichner von hohen, ein Maler von etwas weniger hohen Graden. Warum ist er vergessen? Ein Beispiel aus der Literatur hilft da weiter. Vergessen wie Pascin ist auch der Schriftsteller Jakob Wassermann, einst ein Star. In London sagte mir ein Antiquar, man lege Wassermann nicht mehr auf, weil er Jude ist. So allerdings, auch was Pascin angeht, stimmt es nicht. Ob nämlich jemand Jude ist, Neger, schwul oder, wie Djuna Barnes, Lesbe, bleibt irrelevant; was zählt, ist Nightwood von Djuna Barnes oder die Falschmünzer von André Gide. Das Outing bringt keine Kunstgebilde zustande, sondern Beschämungen. Wo es bei Pascin (oder Wassermann) hapert, drückt das schöne Wort von Kierkegard aus: «Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, endet als Witwer.» Es gibt Maler, und sonst nichts. Biographisches können oder sollten die Bilder nicht einlösen; schon bei Chagall beginnt die Spekulation. Wifredo Lam: halb Neger, halb Chinese; seit wann ist Folklore ein Malmotiv? Wenn das Beispiel der Dreißiger Schule macht, wird bald eine Kunst der Nichtschwimmer kreiert. Picasso ist allemal dabei. Hans Platschek Laubacher Feuilleton 5.1993, S. 10
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