Satellit für Südindien

Endlich: «Sacred dimension of technology»

Ich glaube, der Laden heißt ESA und klingt nicht zufällig wie NASA. Die ESA, so las ich in meiner Tageszeitung The Daily Horror (abgekürzt AZ), hat einen Satelliten in eine Umlaufbahn geschossen. Zweck: Die Übermittlung von 120 Fernsehprogrammen nach Südindien und in andere Wohngegenden Asiens. Mir scheint, das ist genau das, was dort noch gefehlt hat. Ob die Inder jetzt auch MTV sehen können? Ich wünsche es ihnen, denn dann werden sie feststellen, das inzwischen bei vielen Videoclips eine Buchstaben- und Zahlenkombination eingeblendet wird, die Adresse, unter der man die jeweilige Pop- oder Rockband im Internet erreicht. Nun kann es natürlich sein, daß so mancher nette Inder noch nie in seinem Leben vom Internet oder MTV gehört hat (möglicherweise nicht mal weiß, was ein Take That ist, und weshalb zwölf Jahre alte Mädchen hierzulande bitterlich schluchzen, wenn in diesem Zusammenhang der Name Robbie erwähnt wird). Das wird sich ändern, liebe Inter, äh, Inder. Denn die Zukunft liegt im Internet, von der Gegenwart ganz zu schweigen, da würde ich glatt meine neue Packung BASF-Disketten drauf wetten.

Bestärkt wurde ich in dieser Ansicht von einer US-Zeitschrift, die monatlich erscheint und sich zu dem entwickelt hat, was Ende der sechziger Jahre Rolling Stone war: Das aufregendste Blatt an der vordersten Kulturfront. Wired heißt das Magazin, und es widerlegt alle vier Wochen die These, daß der moderne Mensch, vor allem der mit dem Computer beschäftigte, nicht mehr liest. Der längste Artikel in der Juni-Ausgabe ging über 18 volle Druckseiten (Format: 27 mal 23) und einen genialen Hacker, Ted Nelson, der bereits 1964 eine Software im Kopf hatte, die nicht nur dem derzeit beliebtesten Net-Zugang World Wide Web überlegen gewesen wäre, sondern auch noch eine Lösung für die brennenden Copyright-Probleme im Internet geboten hätte. Allerdings erreichte Nelsons Software mit dem schönen Namen Xanadu nie die Marktreife.

Das nur nebenbei — noch mehr fasziniert hat mich ein Artikel einer Dame, die so vorgestellt wurde: «Jennifer Cob Kreisberg (jkreisberg@igc.apc.org) has an MA in theology and studies the sacred dimension of technology.» Ich las noch einmal — das in Klammern ist Frau Kreisbergs Adresse im Internet —, und blieb wieder hängen: «Sacred dimension of technology» — die geistliche, sakrale Dimension der Technologie. Falls Sie noch nicht gewußt haben, daß es die gibt, wissen Sie's jetzt. Die Überschrift lautete: «Ein Globus, der sich mit einem Gehirn umhüllt». Und dann legt sie los, die Studentin der Sakraltechnologie, und erklärt dem gewillten Leser den Zusammenhang zwischen der Theorie von der Noosphäre, dem Globalbewußtsein, des Jesuitenpaters und Wissenschaftlers Pierre Teilhard de Chardin und der praktischen Umsetzung dieser Theorie vor unseren Augen und Ohren mittels TV-Satelliten und weltumspannendem Computernetzwerk. Klaro, daß da auch Marshall McLuhan und sein globales Dorf nicht weit sind. Kurz gesagt: Die Autorin kommt zu dem faszinierenden Schluß, daß die Evolution, ganz im Sinne Teilhards, jetzt vollverdrahtet zu einem Bewußtsein ihrer selbst gelangt: «Eine neue Beziehung zur Erde entsteht. Wenn das passiert, schrieb Teilhard, ‹haben wir den Beginn eines neuen Zeitalters. Die Erde bekommt eine neue Haut. Noch besser, sie findet ihre Seele.›»

So in etwa wurde mir damit schon klar, was die sakrale Dimension der Technologie sein könnte. Jetzt hoffe ich nur, daß bald möglichst viele Inder Net benutzen, und sei es nur, um mehr über Robbie und Take That zu erfahren. Der nächste Schritt zum Punkt Omega, der wahren Weltkultur Teilhards, wird dann nicht lange auf sich warten lassen. Ich hole mir inzwischen schon mal einen virtuellen BigMäc bei McDonalds — die sind schon lange im Internet.

Hans Pfitzinger


Laubacher Feuilleton 15.1995, S. 15
 
Mi, 15.07.2009 |  link | (1166) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Philosophisches






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