Bis zur Unkenntlichkeit:

Joyce, die Echolalie und ein virologischer Befund

... riverrun, past Eve and Adams, from swerve of shore to bend of bay, brings us by a commodius vicus of recirculation back to ...

Kleinkinder — und darum bemüht sich manch erwachsener Autor erst wieder — benutzen im Zuge physiologischer Sprachentwicklung mehrsilbige Wörter, um sie sprechend durch dann stetig beschleunigte Wiederholung der Unkenntlichkeit preiszugeben (Nachvollziehen etwa mit dem Wort ‹Panamakanal› erwünscht!).

Echolalie wird dieser Effekt genannt, und er ist das Resultat einer stürmischen Regelverletzung: der Laut wird selbst zum greifbaren Material, ihm geht jede Sinnebene verloren, weil Sprachproduktion und Wahrnehmung nur einen bestimmten Wert von sich formenden und rückbildenden Lauten pro Zeitabschnitt aushalten können, der hier überschritten wird.

Ein schwedischer Virusforscher, Albert von Magnus, konnte 1947 ein Phänomen beobachten, das als molekulare Entsprechung der Echolalie gesehen werden kann — anhand des Vermehrungsverhaltens von Grippe-Viren bei Hühnerembryonen zeigte er, daß mit steigender Viruskonzentration zwar bei den Nachfolgegenerationen bestimmte immunologische Eigenschaften bestehen bleiben, die Infektiösität bei diesem Vorgang jedoch abnimmt. Beimpfen des Nährmediums mit steigenden Viruskonzentrationen und folgende Erhöhung der Umsatzgeschwindigkeit brachten zudem defekte, impotente Viruspartikel hervor, die ihre ursprüngliche Information eingebüßt hatten und daher auch keine weiteren Zellen infizieren konnten.

Echolalie und Viruskinetik treten plötzlich in hermeneutische Spiegelung: werden zu viele Laute zu rasch hintereinander gesprochen oder zu viele Viruspartikel im Nährmedium zu schnell umgesetzt, ist die Antwort beider Systeme gleich: das Produkt wird unkenntlich. Die Sprachproduktion verwischt Ränder, kann nicht mehr entschlüsselt werden, die Virussequenz hat die Fähigkeit zum Sinntransport, also zur Infektion eingebüßt. Je gröber der Regelverstoß gegen die Bedingungen der räumlichen und zeitlichen Verbreitung ausfällt, desto eher wird sich Unkenntlichkeit einstellen.

Phänomene, die sowohl in angesehenen virologischen Forschungslabors als auch auf Kinderspielplätzen beobachtete werden, erwecken den Verdacht, ein Prinzip zu erklären — das in diesem Fall von hermetischer Literatur noch zugespitzt wird. Der Unkenntlichkeitskoeffizient als Lupe, die Lichtstrahlen auf den ersten Satz von Finnegan's Wake gerichtet, dem bislang zum Glück nur in Teilen übersetzten Alterswerk von James Joyces: so tauchen «riverrun — Lichtinseln — past Eve and Adam's — aus einem verborgenem — brings us back — Schattenreich — by a commodius vicus of recirculation — hervor — to Howth Castle and Environs»: ein Anfangssatz, der nun wie ein Brückenschlag zwischen Echolalie und Molekularbewegung erscheint. Der Betrag des Unkenntlichkeitskoeffizienten, anfangs hoch (riverrun), die Unkenntlichkeit versprechend, strebt sofort wieder gegen Null (by a commodius vicus), wobei molekulare Prinzipen des Fließens wie die der Rezirkulation die Bühne bilden, auf der Joyce die Möglichkeiten der Unkenntlichkeit spielen läßt. Bittere Pointe einer dieser Szene begleitenden Unkenntlichkeit: der Autor hatte, wie als Reaktion auf zu viel Reize oder als Vorahnung des Unkenntlichkeitskoeffizienten, zu diesem Zeitpunkt sein Augenlicht fast ganz verloren. Und folgte damit einem anthropologischen Axiom: man kann entweder nur fühlen oder sehen, niemals beides gleichzeitig.

Vielleicht ist die weitere Erforschung des Unkenntlichkeitskoeffizienten ein erfolgreicher Tauchversuch auf den Grund der Dinge, dorthin, wo Sprache Moleküle bewegt: Finn, again! Take, Bussoftlhee, mememormee! Till thousendsthee. L(i)ps. The keys to. Given! A way a lone a last a loved a long the ...

Achim Küppers

Der Autor, Jahrgang 1961, hat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung mit Ralph Köhnen zusammengearbeitet. Weiteres ist uns nicht bekannt. Wir vermuten allerdings, daß er als Arzt tätig ist.

Laubacher Feuilleton 2.1992, S. 8

 
Fr, 20.03.2009 |  link | (1778) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache


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James Joyce
Die Photographie von James Joyce stammt von sokaris73.Joseph Breitenbach und ist lizensiert unter CC.






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