Pippi Langstrumpf soll Präsidentin werden! 2004: Die Bundesversammlung wählt Horst Köhler im ersten Wahlgang mit knapper Mehrheit zum neunten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Von 1202 gültigen Stimmen kann er 604 auf sich vereinen. Auf seine Gegenkandidatin Gesine Schwan entfallen 589 Stimmen. In seiner Ansprache nach der Wahl fordert Köhler, Deutschland solle ein «Land der Ideen» werden und sein «Selbstvertrauen zurückgewinnen». Ob der frühere Sparkassendirektor und spätere Hüter des Internationalen Währungsfonds 2009 als Bundespräsident überlebt? Wir melden Zweifel an und sehen uns deshalb genötigt in unserem vorwahlkämpferischen Ansinnen, noch ein paar Jährchen zurückzugehen und zu erinnern. So greifen wir einen alten Vorschlag wieder auf, zumal es uns umtreibt im Land der Ideen, in dem eine Kandidatin seit 2006 bereits recht aktiv ist. Damals meinte Hans Pfitzinger: Nichts scheint die Deutschen gegenwärtig mehr zu interessieren als Präservative und Präsidenten. Früher war das anders, da hatten wir noch Sorgen um Arbeitsplätze, Naturzerstörung und Karten für David Copperfield. Inzwischen sehen wir ein, daß solche Sorgen überflüssig sind — Arbeit und Natur gehen eh vor die Hunde, und der schöne David setzt einfach noch ein paar Zusatzvorstellungen an, damit ihm jeder beim Zaubern zusehen kann. Also machen wir uns jetzt mal Sorgen, die noch überflüssiger sind. Die Frage lautet: Weshalb sollte ausgerechnet Steffen Heitmann Bundespräsident werden? Wenn ich mir vorstelle, daß der Kohl es tatsächlich schafft, diesen (Heit-)Mann durchzubringen ... Ich gebe es offen zu: Der Kerl ist mir zuwider. Paßt schon, daß nur Kohl und die CSU ihn mögen (vielleicht noch seine Frau, aber die habe ich nicht gefragt). Und seit ich Herrn Heitmanns dezidierte Meinung zu Europa las, will ich eigentlich gar nichts mehr von ihm hören: «Europa ist für mich eine Selbstverständlichkeit.» Da soll der Stern erst mal gegen anstinken! Doch dann hatte ich einen Einfall. Der kam mir — Freud laß nach! — beim Zähneputzen: Claudia Schiffer muß Präsidentin werden. Je länger ich putzte, um so zwingender erschien mir die Idee. Schon im direkten Vergleich mit allen anderen Kandidaten gewann sie um Längen. Im Gegensatz zu Herrn Rau hat sie Lippen, im Gegensatz zu Herrn Heitmann Haare, und im Gegensatz zu Frau Hamm ist sie auch im Ausland bestens bekannt (ganz Italien hat ihre hübschen runden Brüste am Zeitschriftenkiosk bewundert). Und im Gegensatz zu Thomas Gottschalk hat die Jagd nach der ganz großen Kohle bei ihr noch keine verkniffenen Kerben im Gesicht hinterlassen. (Den Gottschalk hat übrigens Theo Waigel vorgeschlagen, nicht das Laubacher Feuilleton. Da legen wir Wert drauf!) Doch das wichtigste: Frau Schiffer hat garantiert keine belastende Vergangenheit, weder hat sie KZ-Baupläne entworfen, wie einstmals Herr Lübke, noch war sie, wie einstmals Herr Weizsäcker, Geschäftsführer in einer Firma, die dem Pentagon geholfen hat, mit dem dioxinhaltigen Giftstoff Agent Orange den vietnamesischen Dschungel zu entlauben. Claudia ist sauber. Kurzzeitig drängte sich noch Roberto Blanco in die Kandidatenriege. Der hätte den Vorteil, wie Heitmann von der CSU akzeptiert zu werden, weil er schon mit FJS ganz gut konnte («wir Schwarzen müssen doch zusammenhalten»). Da entzückte mich die Vorstellung gewaltig: Der deutsche Bundespräsident Roberto Blanco auf Staatsbesuch in Togo oder Kenia, wie er unter den Klängen von «Einigkeit und Recht und Freiheit» den dortigen Präsidenten die Hand schüttelt und ausruft: «Wir Schwarzen müssen doch zusammenhalten!» Und dann moderiert er gleich noch den Musikantenstadel, live aus Afrika, mit Maria Hellwig, King Sunny Adé, dem Napalm-Duo und Youssou N'Dour, hollärädulliöh! Eine schöne Vorstellung, aber Claudia hat auch Herrn Blanco gegenüber den Vorteil, eine Frau zu sein, und davon gehen wir nicht ab: Wir wollen eine Präsidentin. Da tauchte Uschi Glas auf, das Ex-Schätzchen aus dem Film mit Werner Enke (der wär' auch kein schlechter Präsident). Damals trug sie ein wunderhübsches weißes Korsett, das ihre Brüste drall und appetitlich nach oben wölbte. Und jeder Deutsche kennt sie, zumindest als Münchnerin in Hamburg um halb acht oder so, im Erste-Reihe-Fernsehen. Auch Frau Glas würde, wie Herr Heitmann, wie Herr Blanco, von der CSU freudig begrüßt werden, denn im Münchener OB-Rennen machte sie per Inserat darauf aufmerksam, daß sie zum Kandidaten Gauweiler hält, Kanzleipacht hin oder her, legal, illegal, Zillertal, a Hund isser scho', da Peter. Und außerdem trennt die Frau Glas ihren Müll, das bringt Stimmen von Bündnis 90/Die Hünen, und sie lebt fest verwurzelt in einer oberbayrischen Gemeinde, wo sie früher alle nur katholisch waren, jetzt aber auch noch alle 'nen Katalysator haben. Konkurrenz für Frau Schiffer — was nun? Als Ausweg doch die britische Queen fragen, ob sie nicht den deutschen Job mit übernehmen möchte? Schließlich interessiert sich die deutsche Frau (und auch sie wird von der Präsidentin repräsentiert) für nichts mehr als das Familienleben der Windsors, dagegen kommt nicht mal die Schwangerschaft von Boris' Babs an. Außerdem macht Elizabeth II. den gleichen Job schon für die Australier mit, so nebenher, und die möchten sie jetzt loswerden, damit sie nicht etwa Olympia 2000 in Sydney eröffnet. Da hätte sie leicht Zeit für Deutschland. Und die Tradition spricht auch dafür, daß die Mountbattens wieder Battenbergs werden. Trotzdem, ich bin für Claudia. Ob der Herr Heitmann tatsächlich «Igitt» sagt, wenn er die vielen Ausländer sieht, ob er wirklich glaubt, nationales Denken könnte auch nur ein Problem lösen auf dieser Welt, ob er die Frau lieber mit Kind an der Brust und Schürze am Herd sieht als im Kostüm hinterm Schreibtisch — mein Unbehagen an dem Kerl nährt sich aus anderen Quellen, darunter der Sehnsucht nach Schönheit. Warum, so frage ich, hat der Kohl ihn überhaupt aus dem Hut gezaubert? Er meinte wohl, damit könne er dem Richie heimzahlen, daß der nicht nach seiner Pfeife tanzen wollte: Schau mal, jede Träne kann Bundespräsident werden, siehste jetzt ein, was für 'ne Flasche du bist? Und Dieter Hildebrandt hat auch nicht so unrecht: Der Heitmann aus Dresden ist für den Kohl die Rache für die Eier aus Halle. Doch der Mann, um dessen massive Gestalt der Mantel der Gechichte weht, sollte sich klarmachen: So mancher Kritiker des CDU-Kandidaten schlägt den Sack Heitmann und meint den Esel Kohl. Zu recht spricht die FAZ deshalb von einem «Kulturkampf» um den Ersatzkaiser. Nur ein Punkt wurde bei aller Kritik übersehen: Der Kohl, sauschlau und volksnah, nahm diesen Sachsen, weil er glaubte, Dinos würden zur Zeit am besten ankommen. Was? Na, schauen Sie sich den Heitmann bloß mal an — der sieht doch jetzt schon aus wie ausgestorben, mit diesem langen Hals und dem kleinen Kopf oben drauf! Ein Dinosaurus neufünflandis: Der Mann ist, wie Kohl, aber anders, ein ästhetisches Problem. Schon deshalb müssen wir auf Claudia Schiffer bestehen. Nun könnte jemand einwenden, unserer Kandidatin fehle die politische Reife für das Amt. Unsinn! Dauernd irgendwo hin im Jet verreisen und sich dann photographieren lassen — das kann die Claudia locker, macht sie ja jetzt schon. Im Moment erzählt Richie gerade den Politikern in Litauen, er würde sich für ihre Interessen einsetzen, wenn er wieder zu Hause ist. Bravo, Richie! Hast du ihnen noch erzählt, daß du als Präsident auch zu Hause verbal ablassen kannst, was du willst, und es bleibt ohne Folgen? Nicht immer, zugegeben: Neulich hat mich Richie übers Fernsehen aufgefordert, mich nicht so hängen zu lassen und nicht zu resignieren, sondern voller Optimismus zuzupacken, damit's endlich aufwärts geht mit der Wirtschaft. Da habe ich mich im Sessel aufgerichtet und beschlossen, morgen mal wieder mit meinen Hanteln zu trainieren, so sehr hat Richies Appell mich beeindruckt. Aber wenn Claudia uns derart ins Gewissen reden würde — da ginge es ganz toll aufwärts, mit der Wirtschaft und so. Außerdem würde sie hinreißend dabei aussehen, in so 'nem Wahnsinnsfummel von Karl Lagerfeld. Seit ich sie in meiner Tageszeitung lächelnd mit unwiderstehlichen Grübchen in den Wangen an der Seite von David Copperfield erblickte, fühle ich mich erst recht bestätigt. Sie und der Magier haben es in der Hand, uns von dem schwarzen Loch aus Oggersheim zu erlösen. Und zwar so: Unauffällig könnte sie mit dem lockigen David bei einem offiziellen Anlaß Deutschland, die Schönheit und die Magie repräsentieren und dazu den Kohl einladen, und dann ... oh Mann, ich werd' schon ganz kribbelig ... Der Copperfield läßt sogar eine Harley-Davidson mit laufendem Motor von der Bühne verschwinden. Für ihn wäre es doch ein leichtes ... Denn glauben Sie mir, durch Wahlen werden wir den Kohl nicht los, niemals! Im übrigen wird Claudia auf den Photos Pippi Langstrumpf immer ähnlicher. Vielleicht ist sie's wirklich. Egal, ich bin flexibel: Dann soll eben Pippi Präsidentin werden! Hans Pfitzinger Laubacher Feuilleton 8.1993, S. 2; Überall ist Laubach, München 1995, S. 57–61
Turbulenzen in der Zeitmaschine
hatte ich gerade: "...eine Kandidatin seit 2006 bereits recht aktiv ist. Damals meinte Hans Pfitzinger: ..."Dieses "Damals" war gefährlich, es brachte den Heisenbergkompensator kurzzeitig zum Ruckeln. Heitmann, Copperfield, Schiffer, das liegt ja doch etwas weiter "zurück" in dem, was Sie als Zeit wahrnehmen. Dann hat sich's aber wieder eingerenkt: 1993 war's, in dieser Zeitanomalie, als der Kohl immer noch da war. Ich weiß, das kam Ihnen damals unrealistisch vor. Das hatte aber was mit diesem Riss im Raum-Zeit-Kontinuum zu tun, anders war da nichts zu machen. - So, ich muss dann, Essen ist fertig. «Riss im Raum-Zeit-Kontinuum»
«Zeitanomalie.» Irgendwie haben Sie ja durchaus recht. Normal war das nicht, dieses «damals». Doch dann kam bald das Heil in der Unheilform der Enkelgeneration daher. Manchmal sehnt man sich geradezu die Birne herbei ...>> kommentieren Claudia
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