Oberbürgermeisterparade

Der kostümierte Festzug zum Tag der deutschen Kunst 1937 in München endete mit der SS, die Parade zur Amtseinführung des Lord Mayor mit der Straßenreinigung. Sie stellte nicht nur ihren Service dar, sondern kehrte auch das Herbstlaub und die fein zertretenen Pferdeäpfel vom Asphalt der City. Durch die Gedenkminute für die Kriegsopfer zu Beginn des Umzugs ließen sich beide Ereignisse in eine nicht nur ästhetische Beziehung bringen, die den Übergang von der Show in die Wirklichkeit so bezeichnend organisiert. Dabei hatte das Londoner Spektakel ein strammes militärisches Rückgrat. Zwischen der Militärmusik zogen Fellmützen und bunte Röcke vorüber, aber auch schweres Pioniergerät der Schnellen Eingreiftruppe und der Royal Marines. Diese lagen in Kampfanzügen mit Schnellfeuerwaffen in fahrbaren Kulissen, um als lebende Bilder so etwas wie Falkland-Einsatz darzustellen und dabei dem dicht gedrängten Publikum zuzuwinken.

In dieser Schau zwischen Faschings/Karnevalszug, Militärparade und Werbeaktion war nichts eindeutig. Als weiße Tropenhelme an der monumentalen St. Pauls Cathedral vorbeimarschierten, setzte sich die koloniale Weltmacht in Szene. Doch kurz darauf ging vor dem selben Hintergrund ein Afrikaner mit großem Vorsprung als Sieger des Sechs-Kilometer-Straßenlaufes durchs Ziel. Auch dieses Wettrennen gehörte zum Programm. Der Sport: überall steht dasselbe Wort für Wettlauf und Rasse — race . Dazu paßt das Plakat, das in der U-Bahn hängt. Es zeigt ein kleines Gehirn und drei gleich große. Unter den großen steht: Europäer, Afrikaner, Asiate, unter dem kleinen: Rassist.

Zurück zur Show. Das zweite Bein, auf dem sie daherkam, waren städtische Dienste sowie ‹ehrwürdige› Companies, Gilden und Clubs. Da zeigten sich die Bank von Schottland und das Hundeasyl, Telephon und Blutbank, Vereine für Junggärtner und Rentnerbeschäftigung (hier der bezirkssoziale Queenhithe Ward Club 1990 nach der Wahl von Frank Green). Meist stand die hilflose oder auch konventionelle Gestaltung der Wagen im umgekehrten Verhältnis zur Gemeinnützigkeit der jeweiligen Institution, aber auch zur ästhetischen Suggestivkraft der Truppenornamentik. Dafür folgten die Angestellten der Milchzustellung oder des privaten Luftverkehrs dem bunt uniformierten Profos, der mit seinem streng waagerecht unter die Achsel geklemmten Disziplinarstöckchen wie eine Automateninmitation hinter seiner Marschkolonne einherschritt.

Die Chargen der Stadtverwaltung, ansonsten für Waserversorgung und Abfallbeseitigung, Schulen und Krankenhäuser zuständig, saßen, in traditionellen Amtsroben, in schwarzen Kutschen oder Oldtimern, natürlich Rolls Royce. Für den historischen Hintergrund der Zeremonie, der ins 13. Jahrhundert zurückgeht und mit dem man gerne durchblicken läßt, daß sie im größten Bankenzentrum der Welt stattfindet, muß es einen reichen Fundus geben. Doch auch ohne Maskenbildner paßten die Gesichter zu jedem Kostüm. Erst im Wechsel der Garde-Roben zeigt sich so etwas wie eine trans-historische Physiognomie, die sich in der Oberschicht stabilisiert und nach unten ausfranst. Hotelportiers sehen ja häufig aus wie Herren, Lords wie Lords oder Bohemiens oder Alpinisten. Auch heute wird den Eton-Boys vom ersten Schultag an anerzogen, sich von früh bis spät im schwarzen Gehrock mit weißer Binde zu bewegen.

Sechsspänning in vergoldeter Staatskarosse daher kommt das neu erwählte 668. Stadtoberhaupt von London, ein durch viele Ämter und Ehren aufgestiegener Chirurg, der noch im vergangenen Jahr operiert haben soll). Sein Motto ‹Gesundheit für Stadt und Nation› sieht man dem Festzug an: Klinikpersonal in grünen Kitteln mit reichlich roten Spritzern darauf mimt auf auf einem Plattformwagen den chirurgischen Eingriff, Gesellschaften für freiwillige Hilfsdienste, medizinische Weiterbildung, Hospitäler, Ambulanzen und Apotheker demonstrieren ihre Selbstdarstellungsphantasien. Dazu gibt es Marschmusik und Dixieland. Ein Konzern für ›gesunde‹ Nahrungsmittel ist mit dabei, eine Firma für ein vitaminreiches Sportgetränk, ein Verein für Billigangebote, und auch die Blindenhunde und die Funktaxis mit Kindern aus den Armenvierteln sind mit von der Partie.

Eingedenk militanter Umzüge bayerischer Gebirgsschützen oder der krachenden Fröhlichkeit rheinischer Jecken erscheint die Lord Mayors's Show als lange eingeübter, lässiger, heiterer unaufgeregter und pragmatisch aufgeführter Spiegel demokratischer Praxis. Auch dann, wenn man Umzüge gar nicht mag, die Arbeitslosen, die Organisationen für Frauenrechte, Schwule und Lesben, Amnesty International oder Greenpeace fehlten. Aber die heizen zur Zeit dem Premier Mayor gerade wieder ein — zuletzt wegen dessen Haltung zu den französischen Atomtests im Pazifik.

Thomas Zacharias

Laubacher Feuilleton 16.1996, S. 16
 
Mo, 09.03.2009 |  link | (3299) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Anderenorts


edition csc   (10.03.09, 03:34)   (link)  
Thomas Zacharias
(Prof. Dr., * 1930) lehrte rund 30 Jahre Kunsterziehung an der Akademie der Bildenden Künste in München. Nach seiner Pensionierung war er unter anderem für das Laubacher Feuilleton als Korrespondent in London tätig. Er lebt als Künstler und Kunstpublizist — wenn er sich gerademal nicht wie üblich auf Reisen befindet — in Leutstetten bei Starnberg (Oberbayern).






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