Berührungsverbot

Seiner Haut schenkt der Deutsche Beachtung, er setzt sie aber nicht gern aufs Spiel. So sehr sein Gegenüber auch beteuert, er führe nichts Übles im Schilde, man läßt die Fundamente des Seins lieber unangetastet.

Wenig verwunderlich, daß auch die Hautderivate Heim und Auto unter diesen Vorbehalt fallen; ihre Unberührbarkeit gehört zum quasi-religiösen Inventar unserer Nation. Man sieht das deutlich am Stoßstangen-Phänomen. In südlichen Ländern zählt die Stoßstange zu den kaum gebrauchten Ersatzteilen, weil sie per se ein Ersatzteil darstellt, das ab Fabrik am Auto hängt und deshalb nie ausgetauscht werden muß. Paradox der Gedanke, sie wegen ihrer in Dellen nachgewiesenen Funktionsuntüchtigkeit — Stöße zu ertragen — ersetzen zu wollen.Twingo In Deutschland gelten Stöße aller Art als Wertminderung, weswegen Stoßstangen zu den häufigsten Kaskoschäden gehören; nämliches gilt für den Lack. Dieser Mentalität gemäß vollzog sich zunächst ein Bedeutungs-, dann ein Konstruktionswandel im Automobilbau: Die optisch störende, nur ob ihrer Funktion geduldete Stange wurde ins Karrosseriekleid integriert und symbolisiert das Berührungsverbot mit unübersehbarer Deutlichkeit. Wer jetzt beim Einparken den Kontakt nicht zu vermeiden weiß, hat es nicht mehr bloß mit einem geringgeschätzten Ersatzteil zu tun, sondern greift die gesamte Fahrzeugintegrität an. Jeder Stups ein Unfall, jede Plastikschramme eine Kriegserklärung. Zur Grundausstattung des Gebrauchtwagenverkäufers gehört deswegen eine Lupe, mit der er frühere Verstöße gegen die Verkehrsordnung registriert. In diesen Gefilden hat das Konzept der Jungfräulichkeit überlebt.

Florian Felix Weyh

Aus: Vita intacta, Wider die Berührungsangst. Ein Versuch. Erschienen unter dem Titel Die ferne Haut; vergriffen, allerdings noch erhältlich.

Laubacher Feuilleton 19.1996, S. 15

 
Di, 03.03.2009 |  link | (2191) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Philosophisches






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