SportSprech oder: Der Wontorra in uns allen Alle Theorie is grau, Praxis is auffen Platz — gäbe es ein Motto zum Kapitel Sport und Nostalgie, wäre dieses geeignet wie kein zweites. Vielleicht gab es einmal eine Zeit, da noch die Sachen von der Sprache getrennt werden konnten, wo Phantasmen der unmittelbaren Körpererfahrung und das intellektualverdächtige Reden/Schreiben zwei grundverschiedene Bereiche waren. Das distante Verhältnis von Wort und Sport geht noch aus einer Eintragung zum Stichwort im Grimmschen Wörterbuch hevor, wo fast pikierlich über ‹Sport› geschrieben steht: «mask. leibesübung als spiel und zum vergnügen; ein englisches Wort, das die vergnügungen des feldes, der jagd, wettrennen, schwimmen und sonst allerlei kurzweil nach festen regeln ausgeführt, bedeutet; im mittelenglischen disport, mit dem verbum disporten sich vergnügen lautet und auf altfranz. desport, ital. diporto belustigung, freude, vergnügen zurückgeht.» Sport wird dort noch als Lehnwort beschrieben, man merkt das Langhosige und Kurzatmige dessen, der von Büchern umstellt nichts als neue Bücher schreibt. Im Medienzeitalter scheint jedoch das Verhältnis von Körperschrift und Schriftkörper unentwirrbar geworden, mit Vorteilen für beide Seiten: Sport affiziert Sprachgewohnheiten, die zu Sprachgesten werden, schafft Textkreationen, die nur im innigsten Verbund von Körper und Text denkbar sind, es geht um ein umfassendes Sprachspiel mit kulturellen Ambitionen. Ein Beispiel für den Epochenwandel dieses Verständnisses zunächst aus dem Bereich des Schiedsrichterdeutsch. Folgender wichtiger Dialog zwischen Willi Ente Lippens und einem Schiedsrichter anläßlich einer gelben Karte wird bis heute an der Essener Hafenstraße memoriert: «Ich verwarne Ihnen.» — «Ich danke Sie.» Was den Platzverweis nach sich zog, denn irgendwie ging dem Schiri auf, daß da was nicht stimmte — oder war ihm gar klar, daß es sich um eine intertextuell veranlagte, ironisierende Replik auf den Satz von Boß Rahn handelte (der 1954 auf den Glückwunsch des Essener Bürgermeisters ebenso antwortete, nur ernstgemeint)? Das Bild des stammelnden Profis gehörte lange zum Grundverständnis des Sportfreundes, und vielleicht liegt es in der Tradition der Naturbünde, Wandervögel et cetera, daß man nur bei Hirnabgabe so richtig Mensch sein durfte, das Andere der Vernunft zu seinem Recht kommen lassen konnte. Aus dem Rahmen fallend, wenn mal einer lesen/schreiben/sprechen konnte oder gar Zahnarzt war (wie Frankfurts Torwart Peter Kunter, dessen Doktorgrad bei jeder Robinsonade mitgenannt wurde). Heute hingegen gehört Eloquenz zur Grundausstattung wie Ballstoppen, Anlaufnehmen oder Schuheputzen, sind Interviews ja auch vertraglich festgelegt — und wiederum betrifft das auch den Schiri, vulgo: Schiedsrichter, der sich gegen Videobilder mit Rhetorik wappnen muß: «Ich pfeife live, nicht Zeitlupe», eine staunenswerte synästhetische Figur bei adverbialem Gebrauch eines Substantivs (hier von Dieter Pauly). Sport hatte bis tief ins 20. Jahrhundert keinen Platz in der Höhenkammliteratur, sieht man von gelegentlichen asides ab (im King Lear lautet eine — signifikant genug — Beschimpfung: «you base football-player»), wird dann im Zuge der Annäherung von Alltag und Kunst langsam salonfähig. In Joyces Finnegans Wake gibt es eine Passage über Football, aber so hoch muß man gar nicht greifen; Ringelnatz spottet über den Fußballwahn eines, der alles treten muß, was ihm in den Weg gerät, zum guten Schluß den Erdball spannstoßen will und sich zum Anlaufholen aus der Atmosphäre entfernt. Daß Fußball diskursfähig wurde für die Linke, hat Walter Jens gefördert, der sich seit einiger Zeit mit Sitten und Gebräuchen des DFB befaßt oder die Fußballer ob ihrer Berufsauffassung mores lehrt (s. Deutschland-Österreich 1:0). Von noch größerer Wirkung war vielleicht die Geste Peter Handkes, eine Nürnberger Mannschaftsaufstellung zum Gedicht-Standbild zu (v)erklären, ganz zu schweigen von seiner Angst des Tormanns beim Elfmeter, wo Fußball, obzwar Nebenthema, doch stilbildend wirkt bis in die Kriminalstory hinein: ein ehemaliger Torwart begeht einen Sexualmord und wird verfolgt, hat eine Menge sonderlicher Wahrnehmungen und betreibt Erkenntnistheorie; es geht um die Vorwegnahme der Perspektiven von Täter und Opfer, Verfolger und Verfolgtem, allerhand Intersubjektivitätsproblematik also, die da am Torwart erläutert wird (wenn der Stürmer weiß, daß sich sein Gegenüber meistens die linke Ecke zum Fliegen aussucht, dieser aber weiß, daß der Stürmer das weiß, also heute andersherum spekuliert und in die rechte Ecke tauchen wird — womöglich, denn er weiß ja auch, daß der Stürmer dies weiß, der nun vielleicht ... usf. ad infinitum). Mittlerweile gibt es regelrechte Anthologien, wohlfeil als Insel- oder Reclam-Taschenbuch (Literatur und Sport, Doppelpaß und Abseitsfalle) zu haben, vorzügliche mentalitätsgeschichtliche Beiträge finden sich in: Kein Mann, kein Schuß, kein Tor von Helmut Böttiger. Sport und Sprache kokettieren miteinander (oder machen im rebreak Anleihen, pardon, Tennisfreunde); Zeugen gibt es dafür, daß aus Otto Rehhagels Ballonseidenanzug ein Hölderlin- oder Adorno-Bändchen lugte, nicht nur für den Fall eventueller Langeweile, sondern um das Spiel am Wort, das eine am anderen steigern zu können. Vorbei ist das antike Trainerdeutsch: «Ihr fünf spielt jetzt drei gegen vier!» (Adi Preißler), gesprochen von Dummdeubeln des «Mach ihn rein», heute muß man schon subtilere Verbalgebäude bauen, um Stellung zu nehmen. Oder man wird gleich zum Philosophen wie Dettmar Cramer («Der Mensch steht dem Menschen im Weg»), intelligenter wohl César Luis Menotti, der wie folgt für einen linken Fußball plädiert: «Das Spiel basiert auf Inspiration, auf Einsatz zu Diensten der Intelligenz. Nur dann ist Fußball ein kulturelles Phänomen» — der Mann hat nie die deutsche Nationalmannschaft trainiert, oder der Spruch ist eine Warnung vor ihr ... Nicht nur hat aber die Sprache rund um den Sport mindestens soviel Unterhaltungswert wie die Sache selbst; vielmehr wäre SportSprech als Unterabteilung der Alltagssprache eine umfassende linguistische Aufgabe. Da gibt es die Kalauer der Regelsprache, nach der ein Tor erzielt ist dann, «wenn der Ball die Torlinie zwischen den Torpfosten und unter der Querlatte vollständig überquert hat, ohne dabei von einem Spieler der angreifenden Mannschaft absichtlich mit dem Arm oder mit der Hand angehalten bzw. geworfen, getragen oder gestoßen worden zu sein, ausgenommen vom Torwart, der sich innerhalb seines eigenen Strafraumes befindet». Man könnte auch befinden: drin ist drin, das Runde muß in das Eckige, Bude ist Bude. Es gibt die Sprache der Fans, und auch hier mit ganzer Bandbreite: von Schmähungen («Heino» für Effenberg) und Drohgebärden: «Zieht den Bayern die Lederhosen aus» (minder begabt) bis zu Beschwörungsformeln: «unabsteigbar/sofortwiederaufsteigbar» (kleistpreisverdächtig). Ungezählt sind die Verbaltaten der Spieler, die jeden kulturellen Rand epiphanisch zum Zentrum werden lassen. Dazu eine kurze Blütenlese — etwa in moderner Melancholie: «Heute hatte ich kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu» (Jürgen Wegmann), zu Wasserständen des Emotionshaushaltes: «Vom feeling her hatte ich ein gutes Gefühl» (Andreas Möller), die phatische Phase der Gesprächs-und Satzeinleitung studierend: «Ja gut, ...» (Lothar Matthäus et alii), geheimnisvoll orakelnd bzw. Tautologien erprobend: «Das Geheimnis des Fußballs ist der Ball» (Uwe Seeler), oder Boris Becker adaptieren: «Wir waren heute mentalmäßig nicht so gut drauf» (bei Bedarf jeder mal). Es gibt dann die Unwörter des Reporterdeutsch: «Werkself» (die Mannschaft verdient so viel wie ein ganzes Werk), «Pausentee» (Amphetamin-Vitamin-Cocktail, gerne auch intravenös verabreicht), «Großverdiener» (einer, der mehr als drei Mio DM per annum hat) vs. «Malocher» (solche mit nur 500.000 Mark), «Es läuft gut für den FC» (wer wird hier gelaufen, mit Rilke: «welcher Spieler hat uns in der Hand?»), eine Mannschaft spielt zum Tanz auf, die roten Teufel brennen und beißen, die Geißböcke müssen bei den Hörnern gepackt werden (beliebte Stilfigur der Zoomorphisierung von Sportlern). Hatte noch Jahn, der Turnvater, sich nicht nur um Brustkorbweitung, sondern auch um die unsägliche Eindeutschung so manchen Fremdworts bemüht und sich als Purist hervorgetan, ist heute ein Katalog von Internationalismen gefragt. Nicht immer richtig, aber immer öfter: «á la bonheur» soll soviel heißen wie «gut gemacht» (Jörg Wontorra, Gesichtsstrecker, derselbe, der auch jetzt noch vom «catennaccio» spricht, vom «match» oder «event», gar Frauen für den Sport begeistern will). An Figuren noch erwähnenswert: Dieter (der ehrlich Betroffene) Kürten, jovial-pastoraler Schwadroneur zwischen Du und Sie, oder der nationalistisch geifernde Heribert (Schöngunnabendallerseits) Faßbender, bei dem die Tottenhamer Hotspurs zu «Tottenhämmerchen» werden (auch er in Sachen Übersetzung stets um Volksbildung bemüht: aus dem Titel «We are red we are white, we are danish dynamite» macht der Quasisimultandolmetscher «Wir sind rot, wir sind weiß, wir sind Dänisch-Dynamit!»), sein unglaublicher Kompagnon Rummenigge KarlStrichHeinz, der sich für keine Doublette zu schade ist, noch den mörderspannendsten Angriff mit einem «Ja, das war natürlich eine ganz gute Chance» erledigt oder bei drei Toren Vorsprung alle 45 Sekunden «bis dato» gar «fast so etwas wie eine kleine Vorentscheidung» gefallen sieht; der softe Michael («Ich tu's mit allen») Steinbrecher, der sein ‹Ich-versöhne-mich› inszeniert — alles eher identifikationsuntaugliche Leute. Und erst die Privaten: der doppelt-inkompetent-gelockte Uli Potofski, der «aiaiai» und «ojeojeoje» ejakuliert und dies mit Authentizität verwechselt, der charmant an allen wichtigen Fragen sich vorbeischlängelnde Reinhold Beckmann, Bremen-Wontorra wie gehabt, und nicht zu vergessen das unbestrittene Talent Marcel Reif (Wer zweifelt so smart durchs ganze Land?), der stets mit wabernden Lyrismen zu begeistern wußte («Einsam steigt der Ball in den Abendnebel», «Uerdingen spielt wie Maria Stuart, schön, aber unglücklich»), der auch mit kessen Sprüchen nicht geizte («Wenigstens hat er einen talentierten Friseur», über Jürgen Kohler), Wahrheiten schuldlos benannte («Ich kann Sie beruhigen, in der Halbzeit hat sich am Spielstand nichts geändert»), dann aber ein bißchen verkalauerte («Lieber Ephedrin als Effe draußen») und nunmehr in den Jagdgefilden der Champions-League bei RTL — wes Brot ich eß', des Lied ich sing — sich auch schon mal sehr parteiisch gibt. Nur noch Nostalgikern bekannt sind Herbert Zimmermann (der Redliche von 1954: «Tor, Tor, Tor, Tor, Tor für Deutschland, halten Sie mich für verrückt, halten sie mich für übergeschnappt, ich glaube, auch Fußball-Laien sollten ein Herz haben»), oder Ernst Huberty, der mit unfehlbarem Turnlehrercharme den samstäglichen Gottesdienst zur Institution machte, vergleichbar dem ‹Henkel-Mann›, der in den 70er Jahren über die Vorteile dieses Waschmittels werbenderweise dozierte. Kaum eine Träne gibt es aber wohl für Hans-Joachim Rauschenbach, den Überwinder des Fußballs aus dem Geist der gequälten Metapher. Ach, endlos wäre ein Glossar der Redefiguren anläßlich sportiver Ereignisse. Was bleibt, sind Denk-Bilder, mit Sprache stets neu zelebriert, nihil humanum alienum est. Wie Netzer auf und davon geht und 1972 den Pokalsiegtreffer markiert, wie Hoeneß 1976 den Elfmeter in die Wolken jagt, wie der kesse Rabah Madjer mit der Hacke hinterfüßig den Bayern den Europapokal wegschießt (1987) oder der Dortmunder Borsigplatz gelb-schwarz angestrichen wird — Bilder alles, die aber die Sprache brauchen und so in die Wahrnehmung aller zukünftigen Ereignisse eingezeichnet sind. Es regnet, es schneit, es spricht, es schreibt, keine Narrheiten ausgeschlossen, die das demokratischste an der Sprache sind — der Rest wäre sonst Schweigen. Kein Ende sei des ewigen Sprüchemachens! Ralph Köhnen Laubacher Feuilleton 15.1995, S. 2
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