Geld und Heilige Kühe, Gold oder Kunst

Gedanken eines Spekulanten

«Kümmern Sie sich ums Geld», hörte er am Schluß zu sich sagen, und so trivial, volkssporthaft diese Aufgabe herkömmlicherweise in die Tat umgesetzt wird, er wollte mehr — und wußte auch schon wie: Mehr durch Spekulation! Spekulation, was sonst? Selbstzufrieden schmunzelnd begann er an später zu denken, wenn er dem gespannten Auditorium übertrieben leise den Weg zum Geld offenbaren würde. Mit seinem alten Scherz — ‹wer den Pfennig nicht ehrt, ist die Mark nicht wert› — würde er die Erwartungen der Zuhörer in die Höhe treiben, um dann immer noch nicht zur Sache zu kommen. Nein, zunächst gelte es, zu danken.

Wertvolle Anregungen kämen von den Babyloniern, den Alten Griechen, von den Antikenforschern Bernhard Laum und Carl Friedrich Lehmann-Haupt. Zeitgenössischer Dank gehe an Otto Steiger, Hans Christoph Binswanger, Michael Ende, Joseph Beuys. Walt Disney schließlich habe in in allerfrühester Jugend die Augen für das Thema geöffnet, habe die fruchtbarsten Bilderkämpfe entfacht, und mit den Geldbädern des Dagobert Duck einen verhängnisvollen Anachronismus auf die Spitze getrieben. Das Haptisch-Stoffliche dieses trägen Rubbelgeldes sperre sich den modernen Anforderungen in unseren Geld-muß-arbeiten-Zeiten. Die Hoffnung, die Lösung verkörperten dagegen die Panzerknacker. Als Vorkämpfer des modernen Prinzips machten sie deutlich, daß die Moneten nicht dem sinnlichen Genuß eines einzelnen, wenn auch noch so netten Bonzen dienen dürften. Das Geld müsse befreit, sozialisiert, unters Volk, auf Trab gebracht werden — zirkulieren. Den in der Jugendlektüre entdeckten Prinzipienstreit habe er sich später zu übersetzen versucht, etwa als: Lord Keynes gegen die Klassiker. Allerdings sei er von solchen Gedankenspielen bald wieder abgekommen. Mehr denn je meine er mittlerweile, daß der Dauerkampf Panzerknacker gegen Duck die realen Geldzustände exakt charakterisiere, nämlich als Herrschaft der Vielfalt. Das heißt, es gebe gar kein Geld an sich, hingegen würden die unterschiedlichen Geldtheorien und -praktiken das Leben durchziehen. Schläfriges Sparstrumpfgeld und lichtgeschwind digitalisiertes existierten in vielen Abstumpfungen und zur gleichen Zeit. Alle Geldbegriffe zusammen hätten sich im Lauf der Geschichte zu einem buntscheckigen Amalgam verschmolzen, zu einem real existierenden Geldgebräu. Das Geld gleiche der Zwiebel, bei beiden könne man auf der Suche nach dem Kern immer mehr Schalen lösen, bis dann zum Schluß nichts mehr übrig bliebe. «Wirklich nichts?» würde er die verdutzten Zuhörer fragen, würde sich zugleich an die Nase greifen, den Mund verziehen und, ohne abzuwarten, selbst die Antwort geben: «Nichts, abgesehen vom Geruch.»

So weit also war sein fiktiver Vortrag gleich gediehen, und im selben Stil hat er ihn dann zu Ende geschrieben. Eine goldene Nase im herkömmlichen Sinn war mit dieser Art Spekulation natürlich nicht zu verdienen. «Dafür sind aber auch die Verluste vernachlässigbar», sprach er bedächtig vor sich hin, als er in dem fertigen Manuskript blätterte. Mehr als schon in der fiktiven Einleitung angedeutet, sprang er da von Epoche zu Epoche, handelte von sogenannten Fünfzigpfennigjungfern, von gebrauchsunfähigen Werkzeugen, von Wagenrädern, Goethes Faust, Legionären, Kredit ohne Geld, Gottesbeweisen, davon und von vielem mehr, alles im Zusammenhang mit Geld. Man wird sich wohl persönlich ein Urteil über diese Art der Spekulation bilden müssen. Er selbst meint, daß sein Schluß, die Geschichte mit dem Beuys-Geld, vielleicht noch einmal kontrolliert werden sollte. Aufgebaut hat er seine Argumentation vermeintlich ganz fleischlich: Sollen die doch ihre Heiligen Kühe schlachten! Dieser gute Rat geht einher mit großen Versprechungen, die allerdings nicht, wie man meinen könnte, den Buddhisten in Indien gelten, sondern unseren gebeutelten EG-Bauern. Der in Aussicht gestellte Lohn soll ihnen ein Opfer schmackhaft machen, genau gesagt, ein Tieropfer, zelebriert am Altar der Überproduktion. Vom Strom des Tierbluts — dieser Gedanke drängt sich auf — verspricht man sich systemreinigende Wirkungen. Dahinschmelzende Butterberge, verdampfende Milchseen sollen auf höherer Ebene kristallisieren, eine Metamorphose durchlaufen, von der kostenträchtigen, kräftezehrenden Ware zum einerseits spar-, andererseits dynamisierbaren Geld.

Zugegeben, solche Ansichten sind etwas ungewohnt. Was jedoch dahintersteckt, ist einfach: Bevor der Bauernstand selbst vertrieben wird, hält er sich — und züchtet er — potentielle Ersatzopfer, die, je zahlreicher, produktiver, ordengeschmückter sie sind, um so wirksamer seinen Schutz zu übernehmen versprechen. Prinzipiell nicht anders verfuhren — ganz allgemein — unsere vorzeitlichen Brüder und Schwestern, nachdem sich herumgesprochen hatte, daß die Götter einerseits auch mit Ersatzopfern vorlieb nahmen, daß sie andererseits trotz Menschenopfern nicht unbedingt verläßlich wirkten. Die Konsequenz heißt Tierhaltung. Die Tiere schaffen Manövriermasse für religiös-mythische Zwecke. Tierhaltung siedelt im religiösen Denken, und was ihre wirtschaftliche Seite betrifft, so mag da eher jener Satz gegolten haben, der von den Bantu-Negern noch aus dem letzten Jahrhundert überliefert ist: «Warum sollten wir uns Herden halten? Die Tiere sind doch da, um für unsere Ernährung zu sorgen, und nicht umgekehrt, wir für die ihre.»

Die Entwicklung für Menschenopfer über das Opfertier zum Geld bahnt sich im Kultischen ihren Weg. Wenn diese Aussage im folgenden mehr und mehr Plausibilität erlangt, dann müßte auch jene Behauptung akzeptiert werden, die da meint, der Handel und die Wirtschaft hätten das Geld nicht erfunden sondern vorgefunden; hätten es dann für ihre Zwecke übernommen und adaptiert. Dies klingt schon einigermaßen logisch, wenn man bedenkt, daß ein eigenes Wertsystem zu erfinden, zu lancieren und durchzusetzen für die Wirtschaft ungleich mühsamer gewesen wäre. Der Umweg über eine bestimmte Wertrelation mag dies verdeutlichen: die Wertrelation zwischen Silber und Gold.

Lange Zeit, von der Antike bis weit hinein in Mittelalter und Neuzeit galt in vielen Landstrichen die Relation 13 1/3 : 1 als Wertverhältnis zwischen Silber und Gold. «13 1/3 : 1 = 40 : 3, verhalten sich, worauf zuerst Lehmann-Haupt hingewiesen hat, ‹wie 360 : 27›, d. i. das Verhältnis der Tageszahl des sexagesimalen Rundjahres zu der des periodischen (siderischen) Monats bzw. das Verhältnis der scheinbaren Umläufe der Sonne und des Mondes. ‹Gold ist hier der Sonne gleichgesetzt und Silber dem Monde. Ob der Mythische Vergleich zwischen Sonne und Gold, Mond und Silber das Hysteron oder das Proteron ist›, mag unentschieden bleiben.» (Beides, Zitat und Zitat im Zitat, präsentieren Lehmann-Haupts Erkenntnisse in Kurzform. Ausgedehnte Beweise führt er um diesen Satz auf Seite 598 herum in dem grundlegenden Artikel über ‹Gewichte› in Paulys Real-Encyklopädie, Supplementband 3, Stuttgart 1918.) 13 1/3 : 1, als kosmischer Takt im Reigen der Himmelsgötter, als Liaison zwischen Sonne und Mond galt den babylonischen Priestern erhaben genug, um auch Modell sein zu können für weltliche Beziehungen. Maße in Zeit und Raum sind dieserart vom Himmel über die Babylonier nach Westen gewandert. Lapidar vermerkt dazu Lehmann-Haupt: «Wo Zahlenverhältnisse zu ordnen sind, stützt man sich überhaupt stets gerne auf bereits gegebene, wenn auch auf anderem Gebiete verwendete und wirksame Abstufungen und Verhältnisse.» (Seite 599)

Von planetarischen Konstellationen als Norm scheint heute nichts mehr übrig zu sein. Schon jede Stammtischrunde würde schwören, daß die Preise aus nichts anderem als der Knappheit resultieren. Wer jedoch weiß mit Sicherheit, wie knapp dies und jenes ist oder oder gar in Zukunft wird? Global bestimmt niemand, und trotzdem würde man seine Hand ins Feuer legen dafür, daß Gold immer teurer sein müsse als Silber. Daß es aber so ist, liegt einzig an der Relation 13 1/3 : 1. Aus dem Bewußtsein gerückt und doch darin eingesenkt bildet die Relation die Norm, die die Rangfolge zwischen Silber und Gold begründet und die neben vielen anderen, hier nicht erörterten Elementen der kollektiven Erfahrung Orientierungspunkte markiert. Die Norm regelt den Grundsatz und — jetzt wieder bezogen auf Silber und Gold — setzt den Fixpunkt, um den herum dann erst die temporären Knappheiten und Überschüsse den Tagespreis tänzeln lassen. Diesen realen, irdischen Marktumständen verschloß sich übrigens auch das alte Babylon nicht und setzte doch alles — nämlich Macht — daran, um der himmlischen Ordnung auch auf Erden Geltung und Wahrheit zu verschaffen. Mit Macht wurde durchgesetzt, daß die Tribute aus den eroberten Gebieten in der erwähnten Quelle flossen. Die Quote war das Werkzeug, mit dessen Hilfe den Besiegten die babylonischen Himmelsgötter ins Bewußtsein gemeißelt wurden. Das Werkzeug diente, so darf man vielleicht sagen, geistigem Hegemoniestreben; die Wirtschaft hatte an alledem offenbar keinen Anteil. Ihre Grundlage hatte die Gold-Silber-Relation im Himmel, und davon sollte der kleine Umweg über Babylon zeugen.

Nun aber zurück zur Geldfrage. Die Entwicklungslinie vom Menschenopfer über das Opfertier zu dem noch symbolischereren Opfer Geld steht zur Debatte. Alle drei gelten nur, wenn man an sie glaubt. Der Glaube ans Geld liegt heute in seiner simulierten Kaufkraft. Sollte hingegen jedes Geldstück diese Kraft real beweisen, dann fände sich niemand, der Geld akzeptierte; jeder wollte es ja umsetzen. Dem gegenüber auf die augenblickliche Vergewisserung zu verzichten, zugunsten späterer Segnungen, ist allen Opfern gemein. Nur, anstatt der Kaufkraft, ist es beim Götteropfer die Weihe durch den Priester, die die Anerkennung vermittelt. Neben dieser Ähnlichkeit geht die Spur des Geldes noch ganz unmittelbar in den Kult zurück: Zum kultischen Opfer gehören Gerätschaften, und mit diesen zu hantieren, zeichnet die berechtigte Person, den Priester aus. Die Übertragung solcher Werkzeuge vermittelt Prestige an die Nächsten, die kultischen Geräte selbst erhalten eine Aura, werden Objekte des Glaubens und Begehrens. Der Schritt zu einer Art ‹Gerätegeld› könnte erfolgen, indem die Priester solche Werkzeuge an würdige Nachfolger weitergeben und, mehr noch, an verdiente Personen — einem Orden gleich — verleihen. Tatasächlich fand Gerätegeld in der Bronzezeit weite Verbreitung, war in ganz Mitteleuropa in Gebrauch, wobei allerdings schon massenhafte Verwendung darauf schließen läßt, daß hier nicht nur Originale in Umlauf kamen. Um Fälschungen aber handelte es sich ebenfalls nicht, in Umlauf gelangten schlicht Nachbildungen der ursprünglichen kultischen Geräte. Diese Opferwerkzeuge waren im praktischen Sinne keine mehr. Ihre Form war stilisiert, verkümmert. Die Äxte etwa hatten stumpfe Schneiden, geringere Größe, verengte Stiellöcher; dem ideellen Wert dieser Gegenstände konnte das jedoch nicht schaden. Zu beweisen ist es zwar nicht, aber die Möglichkeit liegt nahe, daß die Priester selbst solche Nachbildungen der Kultgeräte anfertigen ließen und in Verkehr brachten — dies, um dem Opfernden einen Beweis seiner Gabe aushändigen zu können, ihm wieder, dem Orden gleich, ein Ehrenzeichen zu verleihen.

Einen ähnlichen Wandel in Richtung Gerätegeld haben die bronzenen und später eisernen Spießchen durchgemacht, die im frühen Griechenland dazu dienten, den Beteiligten am öffentlichen Opfermahl die ihnen zustehende Fleischration zuzumessen. Den Bürgern wurden dieserart ihre Verdienste für den Staat durch den Staat entgolten, wobei die Fleischration als ‹Zahlung› mehr als schlichten Nährwert besaß. Ihr Mehrwert hieß Ehre, war die Auszeichnung, die man als Teilnehmer am gottgeweihten Opfermahl erfuhr; ein gewisses Mengenargument steigerte die Ehre, und das drückte sich in der Größe des Spießchens aus, das man beim Opfermahl zugeteilt bekam. So ein Spießchen übrigens hieß ‹Obelos›, und im Zusammenhang mit Geld kommt der Obolus selbst heute noch vor.

Eine Form des Geldes, die ebenfalls bis heute ungebrochen existiert, ist das Rund der Münze. Entstanden ist diese Münzform im siebten vorchristlichen Jahrhundert. Könnte sie nun ebenfalls als Gerätegeld bezeichnet werden? Die Münze ist rund — rund wie das schnelle Wagen-, das fleißige Spinnrad. Von dieser Seite betrachtet wäre das Vorbild dieser Münzform recht irdisch. Ebensogut könnten aber auch hier die Götter mitgespielt haben; sie hätten, vermittelt über die Priester, das Rad als ihre Spende für die Menschen reklamiert. Eine durchaus nützliche Geste wäre das, besonders daran gemessen, daß in der Legende das Feuer den Göttern noch hatte gestohlen werden müssen.

Wie dem auch sei, immerhin taugt die runde Form der Münze trefflich zum göttlichen Symbol. Um die Götter sollte sich das Leben drehen, dies könnte der Kreis in seiner Ewigkeit, ohne Anfang und Ende, vermitteln. Immerhin zeigten die Prägebilder auf den Münzen lange Zeit kultische Szenen, Opfergaben und deuteten in Richtung Opferersatz — man betrachte nur die deutsche Fünzigpfennig-Jungfer, die anstatt ihrerselbst einen Eichbaum übergibt.

Das Werkzeuggeld in seiner ganzen Vielfalt stammt — das ist wohl nicht zu leugnen — aus dem Opferkult. Diese Werkzeuge nebst Nachbildungen wurden ‹verliehen› und begannen als sakrales, nicht wirtschaftliches Wertobjekt zu zirkulieren. Auf staatlicher Ebene dienten sie zur Abgeltung einer außerwirtschaftlichen Schuld, sie dienten als Zahlungsmittel im religiösen und rechtlichen Leben. Auch der Sprung in die Wirtschaftssphäre, vom Zahlungs- zum Tauschmittel, muß eng mit diesem Glauben verbunden gewesen sein, profan ausgedrückt: mit Kredit. Die Notwendigkeit des Kredits setzt temporär unvollständigen Tausch voraus, d. h. die Erfüllung der materiellen Gegenleistung ist für einen späteren Zeitpunkt versprochen. Daran zu glauben fällt leichter, wenn jemand dieses Versprechen gibt, der schon anderweitig positiv ausgewiesen ist, etwa als Besitzer dieser außerökonomischen sakralen Wertobjekte. Solche immateriellen Wertzeichen dann auf den Gläubiger zu übertragen — als Pfand —, wird die nächste Stufe sein. Nach Einlösung der materiellen Schuld muß das Pfand den Rückweg zu seinem ursprünglichen Besitzer antreten; das Pfand würde sich wieder zurückverwandeln von der Kreditsicherung zum immateriellen Wertstück. Ist andererseits die Akzeptanz des Pfandes erst universell geworden, dann löst sich das persönliche Band zwischen Pfandgeber und Pfand. Das Pfand beginnt frei zu zirkulieren, und dem Versprechen auf Gegenleistung, das es in allgemeiner Form in sich trägt, glaubt man analog zum Götteropfer: Via Kredit zieht das Geld ins Wirtschaftsleben ein und stützt jetzt den Glauben an die ersehnte Gegenleistung. Vom Götterzeichen als Begrenzer der Ungewißheit im Universum wandelt sich das Geld zum Beruhigungsmittel für Handel und Wandel; Wandel zum Beispiel, wie er im England des ausgehenden 14. Jahrhunderts stattfand.

Die Welt dort hatte sich damals gründlich verändert. Nach Bauernaufständen waren dem Adel die Leibeigenen davongelaufen. Ihre Revolution blieb jedoch auf halber Strecke stecken, Land erstritten die jetzt Freien nicht. Dem Adel andererseits nützten mangels Arbeitskräften die Ländereien nur noch wenig; die alten Verhältnisse waren zebrochen, die neuen blieben unvollständig. Etwas mußte geschehen, um die beiden Getrennten, Arbeit und Boden, wieder zusammenzubringen. Das Bindemittel hieß Kredit; Geld aber war in dieser naturalwirtschaftlich dominierten Gegend kaum in Umlauf. Sogar die Aristokratie war, im finanziellen Sinne, mittellos. Schaden sollte das nicht, denn der damalige Kredit setzte überhaupt kein Geld voraus. Es gaben ihn die Ärmsten, die freien Bauern, indem sie, bewegt von dem Versprechen, am Ertrag beteiligt zu werden, die Feldarbeit wieder aufnahmen.

Kommt dieses Versprechen schriftlich daher, dann ist geradezu ein Wunder vollbracht, der Geldschein erfunden. Literatur geworden ist diese Art Geldschöpfung bei Goethe, im Faust, in der Tragödie zweitem Teil. Um dort sozusagen der Inflation vorzubeugen bzw. den Kredit, den Glauben ans Geld nicht zu verspielen, muß sein Herrschaftsgebiet wachsen, wird im Drama dem Meer neues Land entrissen. Nach dem gleichen Muster stützten die römischen Legionäre das Geld und arbeiteten zunächst auf Kredit. Sie bekamen zwar Münzen, mußten denen aber im Feindesland erst noch Anerkennung und Geltung verschaffen. Ihr Eigeninteresse und das Machstreben der Kaiser wirkte dieserart — wie später in England — trefflich zusammen.

Wirtschaft und Geld, nachdem beide zusammengekommen waren, haben sich durchaus kräftig befruchtet. Den Glauben an das Geld beflügelten dessen kultische Wurzeln; die Verweltlichung des Geldgebrauchs aber ließ das Wissen um seinen göttlichen Ursprung verkümmern. Das Geldgeheimnis wuchs, der Glaube daran wanderte von außen, von Form und Prägung der Münze, nach innen, zum Material. Die Wertschätzung geht vom Bild zum Bildträger, und der muß dann selbst mehr und mehr vom Feinsten bieten: Edelmetall. Daß aber auch die Edelmetalle voll sind von religiöser Symbolik, mag nicht nur die babylonische Gold-Silber-Gleichung in Erinnerung rufen. Hinzu kommt die Zeitlosigkeit des Edelmetalls — rostfrei, ewig, wie die Götter. Solche Ähnlichkeiten waren nicht zufällig. Sie wurden im Gegenteil bemüht, und das läßt sich aus dem harschen Umgang schließen, den die Herrschaft mit eigenmächtigen Münzfälschern pflegte: In allen griechischen Staaten und auch in Rom stand auf Münzfälschung der Tod, und bis in die mittelalterliche Strafordnung hinein galt sie als geistiges Vergehen, nicht als weltliches Delikt. Das war so, obwohl andererseits die Münzen immer deutlicher zum Propagandamittel der weltlichen Herrscher mutierten, die Münzstempel den Ruhm der Herren in die Welt zu tragen hatten und ihren raumzeitlichen Machtanspruch auf diesem Wege markierten.

Die modernen Geldformen stehen mittlerweile zu ihrer weltlich-wirtschaftlichen Existenz. Sie verzichten, laut Lehrbuch, auf jeglichen inneren Wert, und selbst solche Hilfskonstruktionen wie die Golddeckung sind, obwohl sich das anscheinend noch nicht überall herumgesprochen hat, abgeschafft. Ersatzlos. Geld muß heute nichts anderes als funktionieren, als Recheneinheit, als Zahlungsmittel, zur Wertaufbewahrung.

Welche Rolle aber spielt in diesem kühlen Funktionalismus der Zins, eine Einrichtung übrigens, gegen die das Christentum jahrhundertelang Sturm gelaufen ist, die Allahs Banken noch heute verschmähen? Bei aller Diesseitigkeit des Geldes: der Zins vermittelt ihm so etwas wie Schöpferkraft von innen heraus, ist vom Charakter her das, was auf religiöser Ebene nie gelungen war: Gottesbeweis. Während den Göttern die Hände gebunden sind, bekommt man die Gewalt des Geldes schwarz auf weiß vorgeführt — z. B. per Zinsgutschrift auf die über 600 Milliarden Sparmark, die bundesdeutsche Privathaushalte mittlerweile angesammelt haben.

Wie fruchtbar jedes einzelne dieser Markstücke im Zeitablauf rechnerisch wäre, hat der Schriftsteller Michael Ende vorexerziert, als er 1985 in Wangen im Allgäu mit einem anderen Künstler, Joseph Beuys, drei Tage lang diskutierte. Eine Mark im Jahr Null auf die Bank gebracht, ergäbe, so Ende, bei fünf Prozent Jahreszins in der Gegenwart ein Vermögen, das dem Wert von vier Goldklumpen entspräche — jeweils im Umfang der Sonne. Jemand, der im gleichen Zeitraum fleißig gearbeitet hätte, etwa fünf Millionen Arbeitsstunden, käme auf einen bedeutend kleineren Goldklumpen: Durchmesser eineinhalb Meter. Daß diese Geschichte nicht unendlich funktionieren kann, scheint logisch, und für Michael Ende ist klar: der Besen ist dem Zauberlehrling außer Kontrolle geraten.

«Alles unter Kontrolle», melden hingegen die wirklichen Fachleute, und gegen die wiederum hat Joseph Beuys seine Argumente vorgebracht. Das Geld, so Beuys, dürfe lediglich als ‹Rechtsdokument› fungieren und nicht, wie mittlerweile üblich, als eigenständiger ‹Wirtschaftswert›. Was darunter zu verstehen sei, hat Beuys nicht nur mit Worten versucht darzustellen. Nach umfangreichen Recherchen und Gedankenexperimenten, nach verworfenen und immer wieder neu installierten Versuchsanordnungen hatte sein Geldwesen im Jahr 1982 das ‹Labor› hinter sich gelassen. Ein Prototyp des Beuys-Geldes war entstanden, der dann im Feldexperiment geprüft werden mußte. Dies geschah in Gestalt der ‹7000 Eichen› auf der documenta 7 in Kassel. Zu sehen gab es dort zunächst eine amorphe Skulptur aus 7000 vor dem Fridericanum aufgeschichteten Steinquadern. Trotz seiner unartifiziellen Behäbigkeit war das Gebilde mehr als labil; es trug insofern Dynamik in sich, als seine 7000 Bestandteile an dieser Stelle nicht bleiben sollten. Jeder einzelne Stein war dazu bestimmt, umzusiedeln, an anderer Stelle im Stadtgebiet neben einer neu gepflanzten Eiche zur Ruhe zu kommen. Auf ihrem Weg in die Stadt verwandelten sich die Steine in symbolische Werkzeuge. Sie bewirkten, anders als die versteinerten ‹Argumente› der Demonstranten, ein Sesam-öffne-Dich, die Beseitigung des Asphalts, um aus der Erde neues Leben sprießen zu lassen. Die Umsetzung, der Umsatz, erbrachte je Stein 500 Deutsche Mark, und so begann ein Wandlungsprozeß, der aus 7000 mal 500 kapitalistischen Geldeinheiten dreieinhalb Millionen Alternativ-Mark metamorphisierte. Schlichter ausgedrückt: diese Einnahmen bildeten den Grundstock zur Vorfinanzierung, Kreditierung weiterer ökologischer Projekte; die Bepflanzung des Spülfeldes in Hamburg sollte ja folgen.

Über das Bäumepflanzen hinaus wollte Beuys mit seinem Kasseler Prototyp die Wandelbarkeit des Geldwesens selbst erkunden. «Der Funktionswandel des Geldes», so schrieb er im begleitenden Documenta-Katalog, habe durch die Geldemission der modernen Zentralbanken ein neues Kreislaufsystem entstehen lassen, ohne daß dem der Geldbegriff selbst adäquat angepaßt worden wäre. Um dies nachzuholen, sei das Geld keineswegs gänzlich abzuschaffen. Es reiche die partielle Beschneidung der Rechte, die von ihm ausgehen.

Eine wesentliche Grundlage seiner Gedanken zum Geld spielt die von ihm so genannte ‹Demokratische Zentralbank›. Schon 1977 hat Beuys auf einer seiner ‹31 Tafeln um Geld› (vgl. den Katalog zur Ausstellung ‹Museum des Geldes›, Düsseldorf 1978) das Schema dieser ‹anderen› Zentralbank skizziert. «In 5 Jahren nachkontrollieren!» steht auf einer der Tafeln über einem Gewirr von Kreidekreisen und hingekritzelten Begriffen zu lesen. Diese damals von ihm geäußerte Notwendigkeit der Kontrolle fand dann — so hat es den Anschein — tatsächlich statt, eben auf praktische Art: in der Aktion ‹7000 Eichen›. In dem erwähnten Katalogtext von 1982 schreibt Beuys dazu, daß Geldschöpfung in seiner wie in der herkömmlichen Zentralbank aus dem Nichts geschieht. Von dort aus geht das Geld als Kredit an die Unternehmungen. Es leistet — auch das ist im Prinzip nichts Neues — die Vorfinanzierung der Produktion und läßt zugleich die Einkommen der Arbeitnehmer entstehen. Bei der folgenden Einkommensverwendung fließen hier wie dort die Konsumentenausgaben als Umsätze an den Produktionssektor zurück. Jetzt aber, anders als im ‹wirklichen› Leben, wird das Beuys-Geld wertlos: «Als solches berechtigt es die Unternehmen, an die es gelangt, zu nichts.» Diese Einnahmen müßten in voller Höhe an die ‹Demokratische Zentralbank› zurückfließen, und von hier aus wird die neue Produktionsrunde eingeleitet.

So eindeutig dieses Schema zu sein scheint, auf der praktischen Ebene läßt es noch viele Fragen offen. Woher sollte z. B. ausgerechnet eine noch so demokratische Zentralbank ihre Weisheit nehmen? «Wir werden sehen», hatte Beuys auf solche Bedenken gerne geantwortet, ohne damit auf die visuelle Ebene zu setzen. Wirklich zu sehen gab es im Lauf der Zeit nur das, was zu erwarten war: 7000 ungleiche Paare, ein Baum, ein Stein, in Kassel verteilt.

Mehr Stoff zu verarbeiten bekam hingegen das geistige Auge; ein Kunststück vielleicht würde sich da auftun, von dem wahrhaft zu behaupten wäre, daß jeder es vollbringen könne. Ein Wirtschaftswert, verkäufliche Kunstwerkware ist solche Massenkunst natürlich nicht. Ihr Wert wäre von anderer — ökologischer — Natur. Beuys selbst ist mit dieser Aktion aus der Kunst ausgetreten, und so ein Ausstieg ist doch wohl ein Opfer, zumindest auf wirtschaftlicher Ebene. Mit dem Künstler übrigens haben noch viele andere, etwa die Käufer der Steine, Verzicht geübt: Verzicht auf persönliches Eigentum als Gegenleistung für ihr Geld. Nicht einmal — Modell Parkbank — ein dezentes Spendertäfelchen hält die Erinnerung an sie wach. Die Opfer allenthalben machen — wiederum geistig — aus den Pflanzungen in Kassel 7000 Opferstätten, die, in diesem Fall, den ökologischen Göttern geweiht wären. Als erstes Zeichen der Götter, daß sie von den dargebrachten Eigentumsopfern angetan sind, gilt das Stück Erde, das sie für neues Leben, zur Stadtbewaldung, freigegeben haben. Demgegenüber zu behaupten, es sei das Geld gewesen, das diesen Prozeß bewerkstelligte, wäre zweifellos ebenso berechtigt. Faktisch waren es beide nicht, weder Steinquader noch Geld, die das Werk vollbrachten. Geschafft haben es — eine Platidüde — die Menschen. Als übergeordnetes Werkzeug, um die Getrennten, Natur und Zivilisation, sich wieder ein Stückchen näher kommen zu lassen, diente Geld; allerdings scheint auf, daß mit zwei ganz verschiedenen Geldbegriffen das Ziel zu erreichen wäre. Mit herkömmlichem Geld, das sich nie verbraucht, das die Menschen sogleich zur nächsten (Un-)Tat drängt, um stetig die Zweifel an seiner ewigen Fruchtbarkeit zu widerlegen. Das andere Geld — das Beuyssche Rechtsdokument — käme nach vollbrachter Tat zur Ruhe. Seine Kraft wäre verbraucht, es würde niemanden und zu nichts mehr berechtigen.

Dauerhaft geschaffen hat die Kasseler Aktion solche Rechtsdokumente natürlich nicht. Auch die 3,5 Millionen Zuflüsse von den 7000 Steinkäufern sind dem herkömmlichen Geldkreislauf nicht wirklich entzogen. Immerhin aber, zumindest im Bild, ist dieses andere Geld entstanden, in Form der Steinquader nämlich, die nach vollbrachter Tat zur Ruhe kommen und verwittern. Als stumpf gemachte Nachbildung der weltbewegenden Geldkräfte treiben diese Werkzeuge nur noch die Legendenbildung an, nicht das Wirtschaftsleben.

Rainer Willert


Laubacher Feuilleton 9.1994, S. 4
 
Fr, 14.01.2011 |  link | (1589) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kunst und Geld






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