Die nordrheinwestfälischen Bayern

Einmal im Jahr, wenn die Informationsarmut den Rand des Sommerlochs erklommen hat, tragen die Meinungsforscher Prozentzahlen in ihre Kladden ein. Und jedesmal gibt's dann ein Pressegetöse um die paar Stellen vor oder hinter dem Komma, die nicht anderes besagen als das, was wir seit Jahren eh schon wissen: Alle lieben sie Bayern, und keiner mag Nordrhein-Westfalen.

Vor allem in der weiß-blauen Metropole, von nestbeschmutzenden Insidern «größtes Dorf der Welt» tituliert, ist die Demoskopenformel eindrücklich belegt. Unter der Ägide der berühmten, aber auch berüchtigten Liberalitas bavariae drücken die Rhein-, Sauer-, Münsterländer oder sonstigen Exilanten aus dem nordwestlicheren Teil der Republik München sämtliche verfügbaren Stempel heimatlicher Lebensarten auf.

Bayerischer Sud wird kaum noch ausgeschenkt, sondern aus den Hähnen der Kneipen, die mit ihren langen Tresen an solche in Essen, Düsseldorf oder Dortmund erinnern, fließt Pils, Alt oder auch Kölsch. Um sich abzeichnende erhebliche Marktverluste abzufangen, bliesen die Münchner Großbrauereien zur Attacke auf die nordrhein-westfälische Konkurrenz. Sie stellten auf Pils und Alt um und merkten bei letzterem, gar nicht pro domo, an, das Rezept dafür sei ein ur-altbairisches. Und im Zuge der Rheinlandisierung bzw. Westfalisierung des Münchner Dialektes wird langsam, aber sicher aus diesem mit etwas Fleisch durchwirkten Brotklops namens Fleischpf(l)anzl (ja, es heißt Pfanzl, denn es kommt aus dem Pfandl) eine Frikadelle.

Eine Begründung für das Phänomen dieser Völkerwanderung im ausgehenden 20. Jahrhundert von Nordwesten gen Süd schreit regelrecht nach Historie. Und richtig, es scheint sich um eine Art Rachefeldzug gegen das Herrschergeschlecht der Wittelsbacher zu handeln, wenn auch um einen etwas verspäteten. Die hatten sich nämlich 1583 den Zugriff auf das entgleitende Erzstift Köln gesichert, in dessen Folge fast 200 Jahre lang ein jeweils nachgeborener Prinz den Kurhut von Köln und die Mitra der Nachbardiözesen trug. Was also liegt näher, als daß demnächst die Erzdiözese Regensburg-Freising der kölnischen zugeschlagen wird? Und in einem Aufwasch sich sich dann auch der Champagner-Verein FC Bayern in einen wirklich volksnahen FC Bayer umfunktionieren.

Andererseits ist es doch ein elementarer Unterschied, ob man von einem Früh-Kellner in Köln wegen der Frage, ob man den Halve Hahn auch kalt serviert haben könne, mit einem Flücheschwall zugedeckt wird oder die K.O.-Tropfen von einer Münchner Donisl-Bedienung wortlos in die Maß zum Leberkäs geschüttet bekommt.

Denn so kommt man wenigstens noch in den Genuß, zuschauen zu können, wie ein Dom, der diesen Namen auch verdient, von Abgasen langsam paralysiert wird. Ein solches Ereignis muß einem in der nordrhein-westfälischen Exklave München vorenthalten bleiben, da dort bei der Messung von Emissionen andere Werte zugrunde gelegt werden ...

Davon ist sicherlich auch der Oberbürgermeister der Stadt ausgegangen, von der bekannt ist, daß die Welt morgens um sieben noch in Dortmund ist, als er kundtat, die Kinder seiner Gemeinde benötigten keinen Aufenthalt im welschen Süden, da die Luft in den angrenzenden Naherholungsgebieten genauso sauber sei.

Die Ausreisewellen mit Stoßrichtung Südbayern hätten verhindert werden können, würde der WDR dem Beispiel des bayerischen Buntfunks gefolgt sein, mehr über die friedliche Koexistenz von Natur und Kernkraft zu berichten. Nun braucht es (zunächst mal) ein paar Milliönchen Steuergelder, um von einer Düsseldorfer Werbeagentur denen fern der Heimat mitteilen zu lassen, daß in «Duisburg Tag und Nacht gelöscht werden» muß; was «die Rothschilds in Gelsenkirchen» treiben; daß die «Filmgeschichte ohne Oberhausen» quasi nicht geschrieben werden könne; und «statt Fachchinesisch das Fach Chinesisch» an der Bochumer Uni gelehrt wird.

Doch die Öffentlichkeitsarbeiter im Landtag haben eine Zielgruppe vergessen. Schließlich gibt's in Bayern auch noch Immigranten aus anderen Landstrichen Nordrhein-Westfalens. Nicht nur «aus der Ruhr bei Schwerte» fischt Fischer Fritz frische Fische. Auch unter der Ruhrbrücke in Arnsberg tanzen gesprenkelte Flossenträger ein Wasserballett, das der Choreographie des Bayrischen Fernsehens entstammen könnte. Auch ließe sich mit einer erweiterten Werbe- und Informationskampagne erreichen, bildungsbeflissenen Westerwäldern klarzumachen, daß die Bürger der Weltstadt mit Herz grundsätzlich nach Köln fahren, wollen sie Kunst mit Kopf erfahren. Auch reicht eine Tankfüllung nicht aus, um von München aus ein Museum der Güteklasse des Mönchengladbachers zu erreichen oder in ein ‹Provinz›-Theater zu kommen, das so Furore macht wie das in Moers. Ebenso sollte der angehende münsteranische Dentist wissen, daß es die 10.000 Mark von Papi für den Studienplatz an der Münchner Uni nicht braucht, weil es in Münster genug steile Zähne zum Anbohren gibt. Zudem geht es an den oberbayerischen Hausbergen im Winter zu wie während der ‹rush hour› auf der Autobahn zwischen Wuppertal und Leverkusen. Das kann man auch in Winterberg haben.

Fazit: Statt eine Werbeagentur mit Imagepflege zu beauftragen, sollte Bürgervater Rau das Stimmvieh der Meinungsforscher auf die satten Weiden Nordrhein-Westfalens treiben lassen. Dann rutschten die Zahlen auch wieder gen Nordwesten.


Vorwärts Spezial, Heft 9, Dezember 1985, S. 3
 
Fr, 12.11.2010 |  link | (2280) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Detlef Bluemler






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