Alternativgalerie Laudatio auf Klaus Lea, Preisträger des Schwabinger Kunstpreises 1995, 14. September 1995, 19.30 Uhr in der Münchner Seidl-Villa Lieber Klaus Lea, meine Damen und Herren, ohne über den horror vacui eines Künstlers referieren zu wollen (was ja noch interessant sein könnte) oder über die Angst des Laudators vor dem leeren Blatt beziehungsweise Bildschirm — ich muß mit einer Binsenweisheit beginnen: Aller Anfang ist schwer. Eine solche Banalität als Entrée verlangt selbstverständlich nach einer Erläuterung, nach einer Erklärung. Um zu dem (nicht selbst verliehenen Prädikat) ‹Untergrund›-Künstler, ‹Untergrund›-Galerist zu gelangen, mußte Klaus Lea tatsächlich ganz unten anfangen und sehr schwer arbeiten — nämlich unter Tage, im Kohleabbau. Damals, Anfang bis Mitte der fünfziger Jahre, war er auch noch strebsam im Sinne einer Gesellschaftsschicht, in die er hineingeboren wurde (und deren Reglement — nicht deren Aufrichtigkeit! — er dann ablehnen sollte). Als die Prüfung, die aus dem bergmännischen Lehrling den Knappen machen sollte, lediglich die Note 2,3 erbrachte, wechselte er das Revier. Aber nicht etwa innerhalb des Kohlenpotts. Da er wegen einer Farben-Seh-Untauglichkeit nicht zur ‹Christlichen Seefahrt› durfte, ging er in die vom Großonkel geleitete bremische Seehafen-Spedition. Und als er dort im Büro regelmäßig über den Karteikästen einschlief (was ihm auch heute noch passiert — er mag einfach keine Büroarbeit), da war man gnädig und entließ ihn in den Hafen. Dort mußte er zwar die schweren Kaffee- und Gewürzsäcke schleppen, aber er fühlte sich wohl unter diesen Menschen, die Platt sprachen, ähnlich denen aus dem Dorf in der Nähe von Worpswede, wohin es die Nachkriegswirren die aus Stettin gekommene Familie verschlagen hatte. Siebzig Mark verdiente er seinerzeit im Monat. Das war auch damals, wir wissen es, wenig Geld. Ich habe es mal zurück- beziehungsweise durchgerechnet: Für siebzig Mark gab es damals rund siebzig bis hundert Biere; heute bekommt ein Lehrling, ein ‹Auszubildender› für seine Ausbildungsbeihilfe (in München!) gut zweihundert! Nun, Geld hatte auch der spätere Galerist Lea nie viel — und es steht auch nicht zu ‹befürchten›, daß er Zeit seines Lebens nochmal reich werden könnte. Zumal er ja immer wieder Kunden hat, wie ich einer war: 1977, im Jahr der Eröffnung der ‹Alternativ›-Galerie in der Blütenstraße 1 am 7. Juli, sah ich dort ein Bild von einem englischen Maler namens Carré, das mir sehr gefiel. Viel Geld hatte auch ich nicht. Später wollte ich es, mangels Masse, dem Galeristen wieder verkaufen. Aber der hatte, wie auch anders, kein Geld. Heute bin ich, dank einer wirtschaftlich recht günstigen Entwicklung, im Besitz einiger Kunstwerke. Und einige, ich gestehe es, habe ich mittlerweile auch wieder verkauft. So ist das nunmal. Dieses Bild werde ich jedoch mit Sicherheit nicht weitergeben. Dazu hängt zu viel Erinnerung dran. Für mich ist das sehr schöne Erinnerung an die siebziger Jahre, an die Zeit, zu der ich zwei, drei Jahre in München lebte, genauer: in der Maxvorstadt; die Zeit eben, in der ich Klaus Lea und andere in München ansässige Künstler aller möglichen Gattungen und Richtungen, andere Galeristen kennenlernte. Von ihnen, mit denen ich aufgrund meiner Tätigkeit als Journalist im kulturellen Bereich (oft) mit viel Freude zusammensaß, weiß ich sehr viel über die Münchner Zeit davor. Viele dieser Stätten und Orte, die alles andere als die so vielgerühmte beziehungsweise von vielen so geschätzte Münchner Gemütlichkeit kennzeichneten, habe ich, sozusagen in den Endphasen, noch miterleben, ja teilweise genießen dürfen. Ich nenne nur: das Nest auf, ja auf der Leopoldstraße. Da saßen sie, die Brüder Schamoni, genannt Brüder Schabloni, ein mittlerweile siebzigjähriger Erwin Echternacht, ein Vlado Kristl, ein auch nicht jünger gewordener und sich heute aufs Schumannsche Altenteil zurückgezogen habender Maximilian Seitz. Es gab das Domizil, früher in Alt-Schwabing und dann später ebenfalls in der Leopoldstraße. Es gehörte Ernst Knauff, der diese weltberühmte Jazz-Kneipe durch die Stadt München nicht ausreichend gewürdigt sah und sich deshalb aus dem Engagement zurückzog. Ihn oder Baldur Bockhoff nennt Klaus Lea, wenn er an diese Stadt erinnert, in die er sozusagen zurückgekehrt ist, weil «das Leben in München einfach eine Härte hatte». (Verlassen hatte er aus diesem Grund seinen «Himmel» Basel, unter dem viele Freundschaften entstanden waren. Dorthin gekommen war er nach seinem zweimaligen Durchwandern Frankreichs, mit dem er der Mentalität des deutschen «Erzfeindes» auf die Spur kommen wollte.) Das Interesse des Klaus Lea vor allem am Zeichnen, aber auch an der Literatur hatte zwar sehr früh eingesetzt. Doch ein Jugenderlebnis dürfte entscheidend dazu beigetragen haben (das ist jetzt reine Spekulation meinerseits), sich vor allem zur Schriftstellerei hingezogen zu fühlen. Und es hat, wie auch anders, in München stattgefunden. Mit anderen Lehrlingen zusammen (das hatte der Leiter des Heimes, in dem er zu dieser Zeit lebte, arrangiert) zusammen war er von Erich Kästner zu einer Vorstellung, zu Bier und Würstl in das Kabarett Die kleinen Fische eingeladen worden. Immer wieder wollte er sich bei Kästner dafür bedanken. Doch da es Lea nie gelingen wollte, mußte er immer wieder zurückkehren ins Leopold, dem Stammlokal von Erich Kästner. Dort eben beziehungsweise im Nest oder im Domizil nahm Klaus Leas bemerkenswerte Karriere ihren Anfang. Auch in der Akademie der Bildenden Künste hielt er sich viel, ach was: dauernd auf, beispielsweise bei Heiner Kirchner. Als der ihn fragte, warum er sich nicht einschreibe, war die lakonische Antwort: Ich bin doch sowieso hier, warum soll ich mich dann einschreiben. Mit einem großen Teil der Künstler, mit denen er später zusammenarbeiten würde, hat er in der Akademiestraße streiten gelernt. Zwei Jahre ist Klaus Lea mit der viel gepriesenen Rockgruppe Embryo herumgezogen, natürlich immer wieder hierher zurückkehrend. Und eines Tages gab Horst Manfred Petz Adloff, der Münchner Filmregisseur und -produzent ihm Geld für die Räume in der Blütenstraße 1. Sogar der gefürchtete Bezirksausschußvorsitzende der Maxvorstadt, Klaus Bäumler, erteilte der damaligen Alternativgalerie, dieser Zweckentfremdung, seinen Segen. Schließlich hatte Klaus Lea in der Aktion Maxvorstadt heftig und kräftig gewirkt, hatte mit um den Leopoldpark, wegen der Amalienpassage gekämpft. (Und auch um den Erhalt des Hauses für die Bevölkerung, in dem wir uns heute befinden, hat er gestritten.) Doch geht es heute nicht so sehr, nicht allein darum, den Galeristen, als der er große Verdienste erworben hat, zu ehren. Die Jury der Schwabinger Kunstpreise, für die ich hier spreche, hat sich für den ‹Allround›-Künstler Klaus Lea ausgesprochen. Deshalb will ich ein bißchen von dem aufzählen, was er in seiner Umtriebigkeit alles gemacht hat: Gemeinsam mit Uwe Lausen, diesem anderen Interdisziplinären, hat er vier Jahre lang die Zeitschrift MAMA herausgegeben. Er hatte regen literarischen Austausch mit Heroen der Beat Generation, mit William S. Bouroughs in den USA, mit Jeff Nuttall in England, Jean Jacques Lebell in Frankreich oder mit Simon Vinkenoog in den Niederlanden. Zusammengearbeitet mit dem Living Theatre hat Klaus Lea, hat Drehbücher (mit-)geschrieben, beispielsweise mit George Moorse, oder selbst gespielt – die Hauptrolle in Maran Gosovs Kurzfilm Nach Frankreich. Walter Höllerer hat in eingeladen nach Berlin ins Literarische Colloquium – verbunden mit einem Stipendium. Geschrieben hat er nicht nur für die Münchner Abendzeitung oder für den Bayrischen Rundfunk; zum Beispiel über ein Literatentreffen in der Londonder Royal Albert Hall, über die legendäre Musikgruppe Ammon Düül oder Weihnachtsgeschichten unter dem Titel Marias Sorgenbrecher. International bekannt wurde seine Erzählung Das deutsche Herz, eine Abhandlung über den ‹mörderischen› Sektenführer Charles Manson. Ach ja, und der Galerist. Nein. Der Veranstalter! Etwa dreihundert Veranstaltungen — das sind etwa sechzehn bis siebzehn pro Jahr! — gab es im zweiten Stock der Blütenstraße 1! Ich erinnere an den Bukowski-Marathon, an neun Stunden Video-Material. Alles ein bißchen schräg, daneben, aber immer mit intelligentem Humor. Und wenn beispielsweise ein Ingo Kümmel (wer die Kölner Kunstszene kennt, weiß um ihn), diese leider viel zu früh gestorbene Inkarnation des Fluxus', wenn Ingo in München war, dann konnte man ihn garantiert bei Klaus Lea treffen. Wie beinahe jeden, der sich aus der Etablierten-Szene heraushielt. Viele, die sich längst darin bewegen, gehen zu Klaus Lea — so geht beispielsweise ein Helmut Sturm mit seiner Akademie-Klasse zur Bildbetrachtung in Leas Galerie. Ach ja, die Expressiven, die Erruptiven, die mag Klaus Lea am liebsten. Doch so langsam nerven sie ihn, diese Bachmayers und Sturms und Fischers und Niggls und wie sie alle heißen. Seit achtzehn Jahren sehe er nur Bilder, hat er dieser Tage gestöhnt. Wieder mehr schreiben wolle er, also aufhören mit der Galerie, mit diesem Veranstaltungsbetrieb. Ach Klaus, seit ich Dich kenne, sagst Du das: Aufhören.
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