Fuck you, Kikes & Krauts, Guineas, Micks & Niggers

Fuck you, fucking Motherfuckers. «Kennst Du den Unterschied zwischen Himmel und Hölle?» fragt der Nachbar über den Terrassenzaun, während er den Käfig seines Wellensittichs säubert. «Das will ich doch meinen», antworte ich mit Engelszungen und versuche derweil den Staubwolken zu entkommen, die ich mit jedem Beutel neuen Katzenstreu entfache. «Und?» «Ist doch klar, im Himmel gibt es nur Limousinen, in der Hölle nur Muggins.» «Vielleicht, aber darum geht es nicht.» «Na gut, im Himmel wohnt man mietfrei, während in der Hölle Donald Trump dem Teufel den ganzen Wohnungsmarkt abgeluchst hat.»

Wieder nicht. Sondern: Im Himmel wird man von den Engländern begrüßt, die Franzosen kochen, die Deutschen organisieren das Reisen, und die Italiener sind für die Unterhaltung zuständig. Wahrlich, ein schöner Himmel, gebe ich mich beeindruckt. Aber wie schaut es in der Hölle aus? Triumphierend baut sich mein Nachbar auf und gibt Zug um Zug jede Höllenqual frei: Man wird von den Franzosen begrüßt, die Engländer kochen, die Italiener buchen die Reisen, und — jetzt nimmt er mich stechend ins Visier — die Deutschen sind für Entertainment verantwortlich. Das sitzt, wir prusten los. «Und die Amerikaner?», will ich wissen. «Ach, die sind doch jenseits von Gut und Böse», lautet die nachbarschaftliche Nachhilfe. Aber die Juden, Iren, die Schwarzen, die Puertoricaner, die Japaner? «O je», stöhnt da der jung-dynamische, progressive New Yorknik von nebenan hinter seinem Wellensittich-Käfig, «wer will denn New Yorker Verhältnisse auch noch ins Jenseits retten?»

Jeder ist Teil dieser «New Yorker Verhältnisse», denen zufolge mein Nachbar, laut Eigendefinition und in dieser Reihenfolge, New Yorker, Jude und Amerikaner ist. Daß ich Deutsche bin, hat unser nachbarschaftliches Verhältnis lange auf höflich verklemmter Distanz gehalten. «In New York will jeder jedem an die Gurgel», sagt Norman Mailer zum wiederholten Mal und lächelt charmant sein ‹tough guy-Image› weg. Während Tom Wolfe mir auf den Weg gibt: «New York ist durch und durch ethnisches Terrain — von der Wall Street bis hinauf nach Johannesbronx — auf dem die Weißen, d. h. die WASPs, verzweifelt versuchen, die Macht zu behalten.»

New Yorker Verhältnisse heißt, daß sich soziale, ethnische und kulturelle Grenzen überschneiden; ganz abgesehen von dem Grundkonflikt der amerikanischen Gesellschaft Schwarz gegen Weiß. New Yorker Verhältnisse heißt aber auch oft genug: alle gegen alle. Jesse Jackson nannte New York während seiner ersten Präsidentschaftskampagne 1984 «Hymietown» und konnte sich deshalb einige Jahre nicht mehr öffentlich blicken lassen am Hudson. Denn «Hymie» ist ein ganz übles Schimpfwort für Juden, und New York kann sehr jüdisch sein. Aber auch New Yorks jüdischer und legendärer Bürgermeister Ed Koch, der mittlerweile von dem Schwarzen David Dinkins abgelöst wurde, trat gewaltig ins Fettnäpfchen. Als er während Jesse Jacksons zweiter Kampagne laut bekundete, «Juden und andere Unterstützer Israels wären verrückt, wenn sie Jesse Jackson wählten. Genauso wie Schwarze und ihre Verbündeten verrückt wären, George Bush zu wählen», da war der Aufschrei groß. Denn New York kann sehr schwarz sein, und die zweite Hälfte von Kochs Satz hatte niemand mehr gehört.

Juden und Schwarze in New York sind sich traditionell nicht wohlgesonnen. Das rühre aus der gemeinsamen Erfahrung des Unterdrücktseins, behaupten die Soziologen, und dem Umstand, daß sich die Juden im Gegensatz zu den Schwarzen daraus befreit hätten; zumindest in materieller Hinsicht. Aber wie alle aufsteigenden gesellschaftlichen Gruppen schauten sie nun auf die sozial Schwächeren hinunter, und das seien nun mal die Schwarzen. «Sie Litanei der Beschimpfungen, die Verfluchung eines Stammes durch den anderen, das entsprang einer Enge und einem Schmerz, der alle Ghettos kennzeichnete, einem verzweifelten Verlangen, das rechte Phänomen zu finden, das das eigene Mißgeschick erklärte», schreibt Jerome Charyn in Metropolis über seine Kindheit in Crotona Park, einem schwarz-weißen Ghetto in der Bronx. In jener ‹prä-Black-is-beautiful›-Epoche hießen die Schwarzen, auf jiddisch geschimpft, noch «shvarzes». Die Italiener werden als «guineas» und die Iren als «micks» verflucht. Während für die Juden alle Weißen «Gojim» sind. «Der ist wie ein Goi — dieser jiddische Spruch ist mir von früher am geläufigsten — war eine Mischung aus Rassismus, Ignoranz und Dorfklatsch», schreibt Charyn weiter. Alles Schläge in den Solarplexus der ethnischen Sensibilitäten, die mit jeder neuanschwappenden Einwanderungswelle noch komplizierter und komplexer wurden. Neidisch und mißmutig schaute jede Gruppe auf die nach ihr kommende, die ihr die Löhne und den Ruf verdarb. Die Iren waren die erste große Einwanderergruppe, die New York ihren Stempel aufdrückte. Lange Zeit beherrschten die Iren die Politikerkaste und den Polizeiapparat. Heute ist ihnen gerade noch das Amt des Erzbischofs von New York sicher, und jede St. Patricks Parade verbeugt sich selbstredend vor der gleichnamigen Kathedrale auf der Fifth Avenue, vor der dann Bischof O'Connor seinen Landsleuten den Segen erteilt.

Als die Italiener kamen, rümpften die Iren die Nase. Doch als dann die nächste Welle von Immigranten hereinbrach, taten sie sich zusammen und schimpften über das arme Gesocks, das ihnen die Stadt und das Leben unsicher zu machen schien. »Italiener und Iren sind Tiere«, heißt es in Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten. Ohne Iren und Italiener läuft nichts in New York, das wissen die Politiker, das weiß die Stadtverwaltung, wissen die New Yorker. Zusammen gehören sie zu der größten Wählergruppe New Yorks, den drei Millionen Katholiken. Die armen jüdischen Einwanderer der Lower Eastside und die Chinesen haßten sich in den 20er Jahren derart, daß sie sich einen erbitterten (Wäscherei-)Krieg lieferten, bei dem es einige Tote gab. Als die Waffen endlich wieder begraben waren, blieben die Schimpfworte und Flüche.

Schlitzaugen und Rattenfresser gegen «sheenies», Christenmörder. Alles «motherfuckers» für die Blacks, die Schwarzen, die in ihrer Mehrheit einfach noch nicht den Sprung auf die Karriereleiter der Stadt gemacht haben. Fuck, fuck, fuck them all. Fuck the fucking motherfuckers. Nirgenwo wird so viel geflucht wie in den Straßen New Yorks. Das Echo von Fuck fuck fuck ist eine permanente Geräuschkulisse, vorneweg in den ärmeren Vierteln, und nicht nur in denen der Schwarzen. Aber das ganze Fuck fuck fuck-Gefluche klingt heute fast schon wieder wie Gut Glück!, wie Sprüche aus dem Poesie-Album. Denn zur Zeit haben alle die ‹Neuen› im kritischen Visier: übernehmen nicht die Koreaner mit ihren Delis, den rund um die Uhr geöffneten Gemüseläden, die Japaner mit ihren nippongehärteten Yen die Stadt? Alles neue Skandale, kaum daß man sich daran gewöhnt hatte, daß die Kioske in den Händen der «sandnigger», der Inder und Pakistani sind.

Laut allerdings spricht man diese Schimpfworte nie, niemals aus. Wird man darauf angesprochen, stellt man sich taub und naiv und kennt sie nicht einmal. Wer als Deutscher nicht aus reiner Freundschaft mal ein herzliches «Kraut» auf die Schulter getätschelt bekommt, wird hintenrum so beschimpft. Kaum macht man etwas anders als die anderen, ist es nicht nur total daneben, sondern typisch kraut. Alles ethnisch und daher entschuldbar. Die echten Widerlinge, fuck them, das sind die Stinkos und Jerks. Jede Einwanderergruppe und jede soziale Schicht bringt sie hervor. Ganz verdammte fucking Motherfuckers.

Gisela M. Freisinger


Laubacher Feuilleton 11.1994, S. 6 – 7
 
Mi, 18.11.2009 |  link | (1598) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftliches






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