Kinners, tut das not?

Also, ich komm' gerade runter in Papis Arbeitszimmer, um auf seiner alten ‹Adler› mal wieder meine Einsichten in die Welt der Erwachsenen runterzuhacken.* Hat er doch wahrhaftig versehentlich seinen Computer angelassen! Und was muß ich für eine gequirlte Sch... (Ferdinand und ich dürfen dieses Wort nicht in den Mund nehmen, sonst hagelt's einen Satz leere Drohungen) lesen? «Vom pädagogischen Standpunkt aus gesehen bieten die phantastischen Geschichten des Käpt'n Blaubart wenig Neues. Schon Odysseus und andere Protagonisten haben in den klassischen Sagen des Altertums ...» Schnarch, Gähn!

Wenn die Leser des Laubacher Feuilletons (Ob dieser Titel für die Verkaufe gut ist, will ich mal dahingestellt sein lassen. Wer weiß schon, wo Feuilleton liegt und was ein Laubacher ist?) tatsächlich was über Käpt'n Blaubär erfahren wollen, sollen sie sich gefälligst vertrauensvoll an mich wenden. Wenn also ich (Annika, kurz vor sechs) und mein Bruder Ferdinand, dreieinhalb) uns Sonntag morgens Die Sendung mit der Maus (ARD, 11.30 Uhr) reinziehen (auch als Kind hat man so seine festen Rituale), kommt garantiert kurz vor zwölf Papi in seinem allseits beliebten Bademantel angetrabt, hockt sich vor die Glotze und fragt: «Na, ihr Ratzen, hat Käpt'n Blaubart schon angefangen?» Wir (unisono): «Nee! Außerdem heißt der Käpt'n Blaubär!» (Auf die reine Rhetorik seiner Frage sprechen wir ihn lieber erst gar nicht an. Schließlich sieht er doch selber, daß sie gerade zeigen, wie die Kapitalisten die Regenwälder abholzen, um pro Baum ein Streichholz zu produzieren, und was für tolle Maschinen sie dafür hernehmen,) Trotzdem ist es schön, zu sehen, daß es wenigstens etwas gibt, daß unsere Generationen miteinander verbindet.

Dabei ist dieser Käpt'n Blaubär eigentlich gar nichts Besonderes: ein hellblauer 08/15-Teddy (Kaufhof, 19,95 Mark, schätze ich mal), den sie in Hamburger Platt schnacken lassen. Der wohnt mit seinen drei Enkeln (nicht Neffen, ha, ha!) in einer gestrandeten Kogge hoch droben auf einem Riff: drei Mini-Bären (14,95 Mark pro Stück), die, statt irgendwas in Richtung Tick, Trick und Track zu heißen, einfach gelb, rosa und grün sind.

Gelegentlich taucht auch noch eine Tunnelratte namens Hein Blöd auf (bei dem haben sich die Puppenbildner vom Fernsehen etwas mehr Mühe gegeben). Über dessen Verwandtschaftsverhältnis zu den Buntbären werden keine klaren Aussagen gemacht (entweder ein Leibeigener oder eine Erblast aus den Neuen Bundesländern, nehme ich mal an).

Die Episoden fangen mehr oder weniger jedesmal damit an, daß Gelb, Rosa und Grün allein zu Hause sind und sich furchtbar langweilen. Dann, endlich, taucht Käpt'n Blaubär auf! Und spinnt seinen Enkeln sein Seemannsgarn vor (als ‹Stilmittel› setzen die Jungs vom Fernsehen für solche Einschübe den Zeichentrick ein; vermutlich immer noch billiger, als beim Kaufhof neue Plüschtiere nachzufassen). Der Käpt'n erzählt von Bonsai-Männchen, die er geschenkt bekam, nachdem er mit der Lupe Japan entdeckt hatte. Oder wie er als Perltaucher die Perlzwiebeln aus dem Sauren Ozean raufgeholt hat und zum Gurkenkönig von Cornichon gewählt wurde.

Papi: «Gurkenkönig von Cornichon? Ich dachte, das wär' Käpt'n Blaubart.»

Ich und Ferdinand: «Blaubäääär!» (Wahrscheinlich lernt er's nie. Einer von diesen humorlosen Erwachsenen halt.)

Weil Gelb, Rosa und Grün nicht so doof sind, wie sie aussehen, und jede Facette von Käpt'n Blaubärs Story kritisch hinterfragen (das könnten sie glatt von mir haben), verstrickt sich ihr Opa in immer gewagtere Lügenkonstruktionen, vor denen die drei dann schließlich doch kapitulieren müssen (von mir können sie das nicht haben).

Manchmal stößt Hein Blöd dazu und erzählt auch noch was vom Pferd. Zum Beispiel, wie er als Ratte von Calais mit den Ratten von Dover Karotten gegen Fruchtgummis tauschen wollte und dabei der Kanaltunnel beinahe schon 100 Jahre früher entstanden wäre.

Aber natürlich haben seine Schwänke längst nicht das Format, sonst würde die Serie ja ‹Hein Blöd› heißen.

So, jetzt muß ich Schluß machen. Papi hat gerufen. Wahrscheinlich soll ich ihm erklären, was ein Bonsai-Männchen ist oder wo der Saure Ozean liegt. Kann er haben. Was ich ihm allerdings nicht verraten werde: daß Käpt'n Blaubär samstags in der Frühe auch im Radio kommt (Antenne Bayern, 8.13 Uhr).

Ullrich Jackus

Laubacher Feuilleton 6.1993, S. 16

* 39 von der Sorte sind bereits in Buchform erschienen: Ullrich Jackus, Nachrichten aus dem Kinderzimmer — Die geheime Elternfibel.

 
Mi, 18.03.2009 |  link | (1435) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Filmisches






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