Faire Menschenbilder

Die Heiligen des Michael von Cube

«Die Vorbilder für seine ins Karikaturenhafte und Groteske gesteigerten Figuren», schreibt Andreas Kühne, «entnimmt er der allgemein zugänglichen, vermittelten Bilderwelt, wie wir sie aus Zeitschriften, dem Fernsehen und dem Internet kennen. Durch die malerische Bearbeitung doppelt gebrochen gewinnen sie gleichsam ihre Individualität zurück. Mit scheinbar leichter Hand zeichnet, malt und aquarelliert von Cube Physiognomien, Begegnungen und Interieurs einer mit Bosheit, Niedertracht und Banalität kontaminierten Welt.»

«Wann findet Cube den Weg zu einem fairen Menschenbild?» läßt Kühne Wolfgang Längsfeld anläßlich einer Ausstellungbesprechung in der Süddeutschen Zeitung von 1983 fragen.

Es ist davon auszugehen, daß Längsfeld (der früher auch über bildende Kunst schrieb, bevor er sich gänzlich auf seine Lehrtätigkeit an der HFF konzentrierte) diese Frage nur augenzwinkernd beziehungsweise rhetorisch gestellt haben kann. Doch sie bietet (dem überaus geschätzten Andreas Kühne) nunmal den idealen Übergang, nämlich feststellen zu können:

«Glücklicherweise ist seine Kunst bis heute nicht in einem ‹fairen› und damit zwangsläufig spannungs- und reibungslosen Bilderhafen angekommen. Ganz im Gegenteil haben seine Arbeiten aus den 90er Jahren — ob sie nun die Physiognomien einer neuen Generation von Politikern oder dem Wahnsinn perfekt organisierter Urlaubsfreuden gelten — nichts an satirischem Biß verloren. Auf Lessing, Lichtenberg und Hogarth verweist der aufklärerische Impetus seiner Bilder, die uns nicht belehren, sondern den Zerrspiegel vorhalten wollen.»

Auch im 3. Jahrtausend nach christlicher Zeitrechnung malt Michael von Cube glücklicherweise aufklärerisch. Für ein faires Menschenbild ist kein Platz in (s)einer Welt, in der Menschen sich alles andere als fair verhalten, wenn es darum geht, anderen Menschen Aufklärung zu bieten.

Es braucht nicht einmal eine Bildbearbeitungssoftware, um die Wirklichkeit so darzustellen, wie man sie gerne dargestellt haben möchte. Zudem gibt es in den Medien genügend Helferlein, die mittels flotten Schnitten eine Person ins rechte Beliebtsheitsbild rücken. Der wirtschaftlich am Laufband hängende Fernsehsender n.tv stellte dieser Tage eine deutsche Führungspolitikerin auf diese Weise derart dar, daß ein nicht so recht Aufgeklärter durchaus glauben konnte, sie hätte die Weltkanzlerschaft übernommen.

Besagte Politikerin, das ist bekannt und naheliegend, reist für ihr Leben gerne in der Weltgeschichte herum, schreitet einen (farblich nicht eben ihrer Überzeugung gemäßen) roten Teppich nach dem anderen derart ab, daß die Führungskollegen befürchten müssen, bald keine passenden Teppiche mehr zur Verfügung zu haben. Im Zuge dieser außenministeriellen (Neben-)Tätigkeit besuchte sie vergangenes Jahr einen weiteren führenden Politiker, aus der alteuropäischen Perspektive quasi den Weltführer. Daß es sich dabei auch noch um einen Deutschen handelte, machte das Bild (in den Medien) noch perfekter.

Dieses Bild hat Michael von Cube aufgegriffen; es ließe sich auch behaupten: zurechtgerückt — vor allem aber hat er es in die Werte-Debatte um die Kulturen eingebracht, die zu dieser Zeit hochgekocht war. Er wandte sich an die Presse:

Sehr geehrte Damen und Herren,
angesichts der Debatte um die Karikaturen des Propheten Mohammed, auch der Idomeneo-Aufführung und der darauf folgenden Entrüstung in Öffentlichkeit und Politik, die sich massiv dagegen verwahrte, die Kunst politischen Interessen zu opfern und/oder sie einer Zensur zu unterwerfen, habe ich einen Test auf die Toleranzschwelle bei der Beurteilung der hiesigen Werte und Idole versucht und eine politische Karikatur für die große Kunstausstellung im Haus der Kunst 2007 eingereicht.

Nachdem ich seit über zwanzig Jahren nie abgelehnt, oft auch mit Werken nicht nur in den lokalen Pressebesprechungen herausgehoben wurde, vermute ich, dass die Ablehnung aus politischen Gründen erfolgte (Begründung der Jury: Platzmangel). Die Schirmherrschaft der Großen Kunstausstellung wird seit Jahrzehnten vom Freistaat Bayern übernommen, der — so eine weitere Vermutung — wohl schweren Schaden nehmen wird, wenn sich die Kunst den herrschenden politischen Ansichten nicht umstandslos anschließt.

Ob sich nun herausstellt, dass in der Debatte über Meinungsfreiheit mit zweierlei Maß gemessen wurde? Wenn das freie Äußern nur dann funktioniert, wenn es offiziellen Standpunkten dient, macht es sich selber überflüssig und entlarvt sich als Witz bei der demokratischen Willensbildung, die unterschiedliche Meinungen als ihre Grundlage sieht. Gerade im Haus der Kunst sollte man schon beim Geruch einer möglichen Ausgrenzung aus den angegebenen Gründen sehr vorsichtig sein.

Sollte Ihnen dazu etwas einfallen, würde ich mich freuen von Ihnen zu hören. Anbei (Anlage) ein Foto des inkriminierten Werkes.

Mit freundlichen Grüßen

Michael von Cube


Außer einer Absage kam es zu keiner weiteren Reaktion.


Ursprünglich veröffentlicht 2007 bei Schmoll et copains (eingestellt).
 
Do, 01.07.2010 |  link | (3360) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Detlef Bluemler






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Letzte Aktualisierung: 05.12.2013, 18:31



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