Bildung ist kein Sparobjekt

Zum Bonner Bildungsgipfel mit Kanzler Kohl

Als gäbe es in Deutschlands Vorweihnachtszeit keine härteren Nüsse zu knacken, verbeißt sich der Kanzler in die Bildungspolitik — und uns schlägt's auf den Magen. Gewarnt werden wir vor einer «Verakademisierung» der Gesellschaft. Wer hat da Angst vor der «gebildeten Nation»? Diese Gefahr — Gott sei's geklagt — besteht wohl nimmermehr. Was denn? Die Jugend drückt sich die wichtigste Zeit ihres Lebens auf der Schulbank herum — sie könnte Besseres tun. Zwölf Jahre sind übergenug. Also bitte: Zentral-Abitur bundesweit. Wir sparen 1,5 Milliarden. Woran? An dem ohnehin schon mangelhaften Minimalgrundwissen der jungen Generation. Und wofür? So genau sagt's uns niemand. Da sich nur Brandenburg der West-Länderregelung 13-Klassen-Abitur angeschlossen hat, könnte man die fatale Gleichung vermuten: Weniger Bildung West für mehr Aufbau Ost.

Und was die Universitäten betrifft: Die Notwendigkeit größerer Effizienz wird nicht bestritten. Weder die Studierenden noch die Lehrenden werden sich einer organischen Bildungsreform versagen dürfen; sie ist fällig an Haupt und Gliedern. Wir möchten sie nur nicht unter dem Unstern der Sparpolitik eingeleitet sehen, mit flotten Sanktionen, wie Strafgebühren für Langzeitstudenten und Exmatrikulationen. Wie wär's denn übrigens auch mit einem Abschied von den verbeamteten Langzeitprofessoren?

Glücklicherweise hat Helmut Kohl seinen Bildungsgipfel nicht allein erklimmen müssen. Mit von der Partie sind die Länderchefs, denn Kultur und Bildung liegen in ihrer Hoheit, die so hoch freilich nicht ist, daß sie stolz auf Kanzlers Geldsegen verzichten könnten. Aber höflichen Widerspruch wagen sie doch. Dieser ihr zaghafter Mut und die Wut der Studenten auf der Straße, sie lassen hoffen, daß die Erkenntnis reift: Bildung ist kein Sparobjekt. Wirklich taube Nüsse gibt's an tausend andern Stellen zu knacken.

Jörg Hildebrandt

Anm. d. Red.: Mal wieder ein Tagesthemen-Kommentar, dieses Mal des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg in Berlin, gesendet am 16. Dezember 1993 in der ARD; deshalb die «tauben Nüsse» der «Vorweihnachtszeit», die aber jetzt (zu den Zeitpunkten des Redaktionsschlusses im Januar bzw. zum Erscheinen im März 1994) alles andere als veraltet sind — weil der Sache Bildung In-diesem-unserem-Lande permanent immanent. Die Redaktion dankt dem Autor für die Abdruckgenehmigung bzw. das Wasser auf ihre geistigen Mühlen und wünscht dem kleinen, feinen denk-, autoren-, hörerfreundlichen und nicht reaktionshörigen Sender da oben weiterhin viel Mut und Wut und Chuzpe.


Laubacher Feuilleton 9.1994, S. 15

 
Di, 10.11.2009 |  link | (1128) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Politisches






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