«Ich bin schwarz, aber schön»

Zur Installation Schwarze Madonna von Passau von Vollrad Kutscher

So spricht die Braut im Hohenlied Salomons im Alten Testament: «Ich bin schwarz, aber schön» (1,4). Die Bibelexegese hatte dafür im Laufe der Zeiten mehrere Deutungen parat. So wurde die Braut — die in der Typologie mit Maria gleichgesetzt wird — als Äthiopierin aufgefaßt, aber auch, dem Wortlaut folgend, als von der Sonne verbrannt, während sie den Weinberg hütete. Eine neuere Auslegung sagt, im Hebräischen sei das Wort «dunkelbraun» unbekannt, weswegen es durch «schwarz» ersetzt worden sei. Die Übersetzungsschwierigkeiten — vom Hebräischen ins Griechische, vom Griechischen ins Lateinische, von dort mehrfach ins Deutsche — sind bekannt. Arno Schmidt hat dazu bemerkt: «Solange man als die reinste Quelle ‹Göttlicher Wahrheit›, als heilige Norm der ‹Vollendetsten Moral›, als Grundlage von Staatsreligionen ein Buch mit, milde gerechnet, 50 000 Textvarianten (also pro Druckseite durchschnittlich 30 strittige Stellen!) proklamiert; dessen Inhalt widerspruchsvoll und oft dunkel ist; selten auf das außerpalästinensische Leben bezogen; und dessen brauchbares Gute (schon vor ihm und zum Teil besser bekannt) auf unhaltbaren Gründen eines verdächtig-finsteren theosophischen Enthusiasmus beruht: solange verdienen wir die Regierungen und Zustände, die wir haben!»

In einer Legende aus der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts wird berichtet, Lukas habe versucht, die Gottesmutter auf einer Tischplatte aus dem Hause Mariens zu portraitieren — daher die Färbung der sogenannten Schwarzen Madonna. Schwarze Madonnen gibt es häufig, eine Studie listet allein in Europa 272 Stück auf. Eine sehr prominente befindet sich schon in der Diözese Passau, nämlich in Altötting, einer besonders frühen Stätte der Marienverehrung in Bayern.

Wie werden nun Madonnenbilder schwarz? Das ist kein Wunder, die Erklärung ist einfach: Es kann sich um die natürliche Färbung des Holzes handeln oder um chemische Veränderung des Inkarnats z. B. durch Kerzenrauch oder ähnliches. Verbindungen zu heidnischen Kulten oder vorchristlichen Religionen wurden hergestellt, etwa zur Fruchtbarkeitsgöttin Demeter (Ceres) oder zu Isis mit dem Horusknaben. Sollte ein solches Bild tatsächlich aus Afrika gekommen sein, etwa aus Äthiopien — Marienkult ist dort durchaus früh belegt —, wird es sich um die ganz natürliche Annäherung an die Physiognomie der dortigen Bevölkerung handeln.

In Anspielung an die ‹Schwarze Braut› aus dem Hohenlied ist im Klosterneuburger Altar, vollendet 1181, die Königin von Saba als Negerin dargestellt. Der hl. Augustinus, immerhin einer der vier Kirchenväter, stammte aus dem Gebiet des heutigen Algerien und sah auch so aus. Der berühmteste christliche Negerheilige ist Mauritius, an dem nicht nur seine Heiligkeit faszinierte, sondern vor allem seine Physiognomie, ein bekanntes Bildbeispiel stammt von Matthias Grünewald (heute in der Alten Pinakothek in München). Aus der Zeit vor der Mitte des 13. Jahrhunderts datiert eine bemerkenswert realistische Skulptur des Afrikaners im Magdeburger Dom mit blauschwarzer Gesichtsfarbe.

Generell stand das Mittelalter Menschen mit schwarzer Hautfarbe nicht besonders positiv gegenüber, beliebt war die Darstellung des Teufels oder von Dämonen als Neger. Das änderte sich, als durch Reisen ein exotisches Interesse aufkam, etwa bei der Darstellung der vier Weltteile oder in Portraitstudien, man denke an diejenigen von Dürer.

Nichtsdestoweniger wirkt es immer noch fremdartig, das Christentum in etwa in die Umgebung hineinzustellen, aus der es kommt, seine orientalischen Wurzeln deutlich zu machen. Der nordische bzw. deutsche Volks- und Aberglaube setzt beispielsweise Maria gleich mit Frau Holle. Im Fest Mariä-Schnee am fünften August treffen sich beide. Daneben spielt die Farbe Weiß auf die Immaculata an.

Vollrad Kutscher liegt also gar nicht so sehr außerhalb einer — allerdings punktuell auftretenden und nicht allzu weit verbreiteten — Tradition, wenn er den Terminus ‹Schwarze Madonna› im Sinne von ‹Negermadonna› wörtlich nimmt und seine Figuren in Benin herstellen läßt. Unbekannt in der ikonographischen Überlieferung ist jedoch eine schwarze Maria Gravida, eine schwarze schwangere Madonna.

Die Maria Gravida alleine ist ein wiederum häufig auftauchendes Motiv, oft mit einem kleinen intrauterinen Kindlein deutlich gemacht. Eine Ausnahmestellung hat die Madonna del Parto (Madonna der Niederkunft) von Piero della Francesca in Monterchi. Das Bild der schwangeren Maria wurde zu einem Anlaufpunkt für vor allem ebenfalls schwangere Frauen, da Maria traditionell als Geburtshelferin gilt, daneben aber auch als Kinderbringerin für die Fruchtbarkeit zuständig ist. Die naturnahe Darstellung Pieros veranlaßte eine Frau aus der Umgebung Monterchis zu folgender Äußerung: «Überall gibt es Madonnen. Zwar ist es immer die gleiche, aber du mußt sie vor dir sehen, und noch besser ist es, wenn sie dir gleich ist, denn dann fühlst du, daß sie dich versteht.»

Solche topographisch punktuell konzentrierten Kultstätten oder auch Wallfahrtsorte wie Lourdes oder Fatima verlieren im Zeitalter einer postulierten und auch realisierten grenzenlosen Mobilität und der unbegrenzten Verfügbarkeit von Information ihren Sinn. Paradox wird damit ebenfalls das Verhältnis zwischen dieser Mobilität, die ja einen relevanten Wirtschaftsfaktor darstellt, und einer gleichzeitigen Abschottung gegen das sogenannte Fremde, einem erneuten Insistieren auf einer nationalen Identität. Das Konzept einer solchen Mobilität ist als einseitiges gedacht. Selbst am Ende des 20. Jahrhunderts ist der Kolonialismus noch lange nicht überwunden. Es gilt immer noch, was Carl Einstein 1921 einleitend in seinem Buch über afrikanische Plastik schrieb: «Exotismus ist oft unproduktive Romantik, geographischer Alexandrinism. Hilflos negert der Unoriginelle.» Diese Feststellung ist keineswegs auf den ästhetischen Bereich beschränkt, sondern nimmt die Maxime ‹schneller, höher, weiter› aufs Korn.

Devotionalienhandel ist an den bekannten Kultstätten weit verbreitet: das Bildchen des heiligen Antonius von Padua auf einer Miniatur-Kloschüssel, die als Aschenbecher dient. Die Wirklichkeit ist kaum zu übertreffen. Erasmus schrieb in einem Brief an den Erzbischof von Canterbury vom ersten April 1516, daß er die einfache Frömmigkeit des Volkes nicht verachte, er sich aber über die verkehrte Urteilsfähigkeit der Masse wundern müsse, die Schuhe von Heiligen und vom Rotz schmutzige Nasentüchlein küssen und dabei dulden, daß ihre Bücher, das allerheiligste und wirkungsvollste Erbe des Göttlichen, vernachlässigt daliegen.

Was können Marienbilder? Sie können, um nur einen kleinen Auszug aus dem «Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens» zu zitieren, «sich bewegen, reden, weinen, schreien, bluten, schwitzen, Gaben spenden oder annehmen, nicht gereinigt werden wollen, Unheil künden, Frevler bestrafen, mit dem Finger winken oder drohen, Verurteilte unter ihrem Mantel entrücken, vom Feuer verschont bleiben, Schätze zeigen oder bewachen, Spuk vertreiben usw. usw.» Ähnliches beklagte wiederum Erasmus in einem fingierten eigenhändigen Brief der Maria: «Und zuweilen bitten sie das von der Jungfrau, was ein ehrbarer Jüngling kaum sich unterstehn würde, von einer Kupplerin zu erbitten, und was ich mich schäme niederzuschreiben. Der Kaufmann, der Gewinn halber nach Spanien schifft, vertraut mir die Keuschheit seiner Konkubine an. Die gottgeweihte Jungfrau, die den Schleier wegwerfend sich zur Flucht bereitet, vertraut mir den Ruf ihrer Unschuld, welche sie eben preisgeben will. Der gottlose Soldat, der zur Schlachtbank geführt wird, ruft mir zu: heilige Jungfrau, verleihe reiche Beute! Der Spieler ruft: sei mir günstig, Himmlische, ein Teil des Gewinnes soll dir zufallen! [...] Die Unverheiratete ruft: Maria gib mir einen wohlgestalteten und reichen Bräutigam! Die Verheiratete: Gib mir schöne Kinder! Die Schwangere: Gib mir eine leichte Geburt! Die Alte: Verleih mir lange zu leben ohne Husten und Fieber! Es ruft der kindische Greis: Verleihe mir wieder jung zu werden! Der Philosoph: Verleihe mir unlösbare Knoten zu verknüpfen! Der Priester: Gib mir eine fette Pfründe!»

Anzumerken wäre hier noch, daß die Nachbildungen Schwarzer Madonnen, also die Devotionalien, bereits schwarz angefertigt wurden und werden. Die Schwarze Madonna von Passau existiert nur als Devotionalie, und sie ist nicht einmal immer schwarz. Das Gnadenbild selbst ist nur virtuell, übrig bleiben lediglich Attribute der Anbetung, etwa ein Kerzenständer mit elektrischen Kerzen vor einem blauen Fenster, wobei hier das Blau einen doppelten Zweck erfüllt: einmal als traditionell mit Maria verbundene Farbe, zum anderen als Zeichen romantischer Sehnsucht. Fernsehschirme nehmen dieses Blau noch einmal auf, kombiniert mit dem Schein — oder, einfacher, Bild — eines schwangeren schwarzen Bauches und dem einer Senufo-Figur, die, von einer weißen Hand gehalten, in den Boden gestoßen wird. Via Fernsehbild können auf elektronischem Wege die Objekte der Anbetung ins Haus geliefert werden, Realität braucht dazu nicht mehr zu existieren. Dem rituellen Stampfen mit der Senufo-Figur entspricht der magische Ritus im Raum: Mittels Ventilatoren werden Gipseier, auf die mit Lampen die Züge afrikanischer Masken projiziert sind, zum Leben erweckt. Das Gebläse der Ventilatoren versetzt die Lampen in leise Schwingungen, die Maskenprojektionen auf den Eiern bewegen sich sachte hin und her. Der Odem des Lebens wird elektrisch eingeblasen.

Vollrad Kutscher baut einen Kultraum zusammen, der, ohne ein Kultobjekt zu beherbergen, zeigt, daß durch sämtliche zugehörigen Attribute, von manifest existierenden Devotionalien bis hin zum flüchtigen Fernsehbild, das Objekt selbst überflüssig geworden ist. Ausgerechnet ein religiöses Thema eignet sich dazu hervorragend, da es ja ebenfalls Gegenstand reinen Glaubens ist. Seine Virtualität beweist dieses normalerweise ohnehin nur im Abbild, bei Kutscher gar nicht existierende Objekt zusätzlich durch seine Zusammensetzung aus Elementen vertrauter und fremder Kulte. Eigenartigerweise wird dabei eine existierende gängige Tradition durch wenige Kunstgriffe ins Fremdartige gesteigert, überhöht. Dem Betrachter sollte es gehen wie Joseph, der doch skeptisch ist, was die unbefleckte Empfängnis seiner Gattin betrifft. Die oft dargestellte Figur dieses skeptischen Joseph hat in der Ikonographie einen treffenden Namen: der Zweifel-Joseph.

Ivo Kranzfelder


Laubacher Feuilleton 16.1996
 
Sa, 26.09.2009 |  link | (3206) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kunst und Gedanken






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